Trotz internationaler Anstrengungen bleibt die Restitution von Raubkunst der Nazi-Zeit ein schwieriges Unterfangen.
Von Axel Reiserer, London
Als der Bezirksstaatsanwalt von Manhattan, Robert Morgenthau, am 7. Jänner 1998 die beiden Schiele-Bilder „Bildnis Wally“ und „Tote Stadt III“ in New York beschlagnahmen ließ, konnte er nicht ahnen, dass er den internationalen Kunstmarkt nachhaltig verändern würde. Seither wurden wichtige Schritte gesetzt, um ein weiteres finsteres Kapitel der Nazi-Zeit aufzuarbeiten: den Raub von Kunstgegenständen unter der NS-Herrschaft und die nach dem Krieg meist unterbliebene Rückerstattung an die Besitzer oder deren rechtmäßige Erben.
Dem von Morgenthau gesetzten Präzedenzfall folgte im Dezember 1998 die Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Nazi-Zeit. Zwar gelang es nicht, völkerrechtlich verbindliche Verpflichtungen durchzusetzen, immerhin einigten sich die teilnehmenden 44 Staaten auf elf Prinzipien, die das Auffinden und die Rückgabe von Raubkunst wesentlich erleichtern sollten.
In Österreich wurde knapp zuvor das Restitutionsgesetz beschlossen. Es sieht die Rückgabe von geraubten, abgepressten oder unmittelbar nach dem Krieg unter dubiosen Umständen erworbenen Kunstwerken in Bundesbesitz vor.
Die beiden weltweit führenden Auktionshäuser Christie’s und Sotheby’s setzten Ende der neunziger Jahre Abteilungen für Provenienzforschung ein, die sich intensiv mit den Besitzverhältnissen von Kunstwerken während der Nazi-Zeit beschäftigen. Eine der wichtigsten Informationsquellen dabei ist das Art Loss Register (www.artloss.com), das Hinweise über Tausende Werke von Raubkunst nicht nur der Nazis, sondern auch der Roten Armee und der Alliierten aus Museen und privaten Sammlungen in einer Datenbank gesammelt hat und Opfern bei der Restitution hilft. „Das ist eine moralische Verpflichtung“, sagt Isabel von Klitzing von der Londoner Sotheby’s-Zentrale. „Provenienzrecherche ist besonders wichtig für uns, weil Sotheby’s seit langem die Politik verfolgt, keine geraubten Kunstgegenstände zu verkaufen. Das umfasst Nazi-Raubkunst, aber auch alle anderen gestohlenen Kunstgegenstände. Es ist unsere Politik, die Provenienzen der uns angebotenen Objekte für die Jahre 1933 – 1945 so vollständig und genau wie möglich anzugeben. Niemand tut sich einen Gefallen, der nicht alles tut, um die Vergangenheit aufzuklären.“
Ein Beispiel: 1999 bot ein Kunde das Bild „Au Parc Monceau“ von Monet für eine Auktion an. In der Recherche tauchte der Hinweis „geraubt von den Hitler-Behörden und in einer Auktion verkauft“ auf. Sotheby’s lehnte den Verkauf ab, erhielt aber vom Verkäufer die Erlaubnis, die Erben des eigentlichen Besitzers zu suchen. Dabei entdeckte man folgende Geschichte: Der Monet gehörte vor dem Zweiten Weltkrieg dem Berliner Sammler Norbert Lévy. Er schenkte das Bild seiner Tochter Margret Lévy-Kainer. Sie flüchtete 1933 gemeinsam mit ihrem Mann Ludwig Kainer nach Paris und ließ ihre Kunstsammlung zurück. Diese wurde 1935 von den Nazis als „jüdisches Eigentum“ beschlagnahmt und in einer Auktion versteigert. Margret starb 1970, ohne den Monet jemals zurückbekommen zu haben. Durch Recherchen konnte man die Erben ausfindig machen. Die Rechtsvertreter des aktuellen Besitzers und der Erben fanden schließlich eine für beide Seiten akzeptable Vereinbarung. Anne Webber, die Leiterin der „Commission for Looted Art in Europe“ („Kommission für erbeutete Kunst in Europa“), anerkennt die Initiativen der großen Akteure auf dem Kunstmarkt. Doch sie gibt auch zu bedenken: „Wir würden uns wünschen, dass es eine Informationspflicht gibt, wenn irgendwo ein geraubtes Kunstwerk auftaucht, egal, ob es in der Vergangenheit verkauft wurde oder heute auf den Markt kommt. Die Auktionshäuser sind nicht verpflichtet, den Eingang von Raubkunst oder die Namen der aktuellen Besitzer bekannt zu geben. Das macht es den Erben enorm schwierig, ihre Ansprüche durchzusetzen.“
Die Kommission wurde 1999 gegründet, um Einzelpersonen, Gemeinden und Institutionen bei der Suche nach Nazi-Raubgut und dessen Wiedererlangung zu helfen. Sie vertritt den Europäischen Rat der Jüdischen Gemeinden und die Europäische Rabbinerkonferenz, ist aber eine unabhängige Einrichtung. Vor der Publikation steht eine Liste von etwa tausend während der Nazi-Zeit beraubten Familien, die man in jahrelanger Arbeit zusammengetragen hat. Die Liste wird im Internet unter www.lootedartcommission.com veröffentlicht. Webber weist darauf hin, dass es keine internationalen rechtlichen Verpflichtungen oder einheitliche Regelungen gibt, den Erben zu helfen. „Die Möglichkeiten, ein geraubtes Kunstwerk zurückzubekommen, sind extrem uneinheitlich, abhängig vom Engagement einzelner Regierungen und Institutionen und den Bemühungen von Einzelkämpfern und Organisationen wie unserer. Mehr Kohärenz in den verschiedenen internationalen Lösungsbemühungen ist notwendig. Für den Verkauf von Raubkunst brauchen wir mehr Regulierung. Es ist schwer einzusehen, dass man zum Beispiel ein Auto ohne vollständige Dokumentation nicht verkaufen kann, ein Kunstwerk aber schon.“ Sie hofft, dass eine einheitliche EU-Richtlinie auf Grundlage der Empfehlungen des Europarats von 1999 Möglichkeiten für Gerechtigkeit in ganz Europa eröffnen wird: „Es kann nicht so sein, dass die Möglichkeit zur Restitution davon abhängig ist, wo ein geraubtes Kunstwerk entdeckt wird.“ Auch kämen viele Staaten der in Washington vereinbarten Veröffentlichung von Informationen bestenfalls höchst mangelhaft nach. Der Zugang zum Recht sei oft prohibitiv teuer.
In Österreich lobt Webber die „großen Fortschritte“ bei der Arbeit der Bundes- und Landesmuseen seit Annahme des Restitutionsgesetzes. Auf die Frage nach dem Leopold Museum meint sie jedoch, dies sei „ein ernstes Problem. Das Restitutionsgesetz 1998 hat Standards für die österreichischen Museen gesetzt und es ist unverständlich, dass es dem Leopold Museum mit seiner Sammlung erlaubt ist, außerhalb des Gesetzes zu stehen. Es ist enttäuschend, dass Restitution nicht in ganz Österreich als Verantwortung und Verpflichtung gesehen wird. Die Anomalie des Status des Leopold Museums untergräbt die Reputation, die sich österreichische Kuratoren und Museumsdirektoren für ihre engagierte Arbeit in anderen Bereichen erworben haben.“ Im Leopold Museum sieht man das anders. Provenienzforscher Robert Holzbauer betont, dass sein Haus das einzige sei, das seinen Gesamtbestand im Internet veröffentlicht habe. Ergebnisse der Provenienzforschung würden, sofern möglich, umgehend veröffentlicht. Zur rechtlichen Stellung des Museums meint er: „Das Restitutionsgesetz gilt nur für Bundesmuseen, Träger des Leopold Museums ist hingegen eine Privatstiftung. Der Bund kann nur für Bundeseinrichtungen Entscheidungen treffen. Wir stehen so da, wie praktisch alle großen Museen der Welt. Es sind die Bundesmuseen, die in einer Sonderlage sind.“
Über das Ausmaß des Nazi-Kunstraubs in Europa kann nur spekuliert werden, und das Aufspüren und die Restitution von geraubten Gegenständen bleibt eine Sisyphus-Aufgabe. „Die Dunkelziffer ist riesig“, sagt Felicitas Kunth vom Wiener Dorotheum, einst eine Drehscheibe im Handel mit Raubkunst, das sich seit der Privatisierung 2001 mit dieser Schattenseite seiner Geschichte auseinander setzt. Der Raubzug begann unmittelbar nach der Machtergreifung in Deutschland 1933 und wurde systematisch betrieben. Eigentum von Juden, Oppositionellen und Regimegegnern wurde konfisziert. Zur Bezahlung der „Reichsfluchtsteuer“ waren viele Menschen gezwungen, ihre Kunstgegenstände zu verkaufen. In so genannten Judenauktionen wurden viele Werke verkauft. Andere gingen direkt an Nazi-Größen wie Göring. 1937 erließ Goebbels das Dekret über „entartete Kunst“, das zur Entfernung von 16.000 Kunstwerken aus deutschen Museen führte, die teilweise ins Ausland verkauft wurden, um Devisen einzunehmen. In Österreich wurde nach dem Einmarsch der Nazis im März 1938 die „Verwertungsstelle für jüdisches Umzugsgut der Gestapo“ eingerichtet, die Eigentum von geflüchteten, verhafteten und ermordeten Juden übernahm. In ganz Europa rafften Nazi-Schergen Kunstwerke für Hitlers geplantes Führermuseum in Linz zusammen.
Gigantische Vermögenswerte wurden geraubt und verschwanden. Nach dem Krieg wurde durch teilweise grotesk kurze Fristen in Deutschland und Österreich eine Restitution mehr verhindert als ermöglicht. Spektakuläre Einzelfälle im Zusammenhang mit heute enorm wertvollen Kunstgegenständen erzeugen bisweilen den Eindruck, dass es bei Restitutionsfragen um Reichtümer geht. Das ist falsch, weiß Anne Webber: „Der wahre Wert geht weit über Finanzielles hinaus. Oft ist ein Bild das letzte Erinnerungsstück an einen Vater oder eine Mutter, die im Holocaust ermordet worden sind.“
Weiterführende Informationen:
– European Commission for Looted Art: www.lootedartcommission.com
– Central Registry of Information on Looted Cultural Property 1933 -1945: www.lootedart.com
– The Art Loss Register: www.artloss.com
– Liste von Nazi-Raubkunst in deutschen Museen: www.lostart.de