Die Kultusratswahlen stehen vor der Tür. Gewählt wird der Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde Wien.
Von Mark E. Napadenski
Die IKG versteht sich als Repräsentantin aller in Wien lebenden und aufgrund der demografischen Gegebenheiten auch als Sprachrohr aller in ganz Österreich lebenden Jüdinnen und Juden. Mit der üblichen Wahlbeteiligung zwischen sechzig und siebzig Prozent ist auch im Krisenjahr 2022 zu rechnen. In der Vergangenheit hat die Wahl immer wieder auch für medialen Wirbel gesorgt: Von Skandalen und Machtmissbrauch war bereits die Rede. Mittlerweile scheinen die Wogen jedoch etwas geglättet zu sein.
Die Coronakrise und das Ende der schwarz-blauen Koalition könnten ausschlaggebend für das subjektive Harmoniebedürfnis der Gemeinde sein; so wie steigende Zahlen antisemitischer Angriffe ein Motor für eine wachsende Solidarität zwischen den einzelnen Gruppen innerhalb der IKG (siehe „Wächst der Antisemitismus wirklich?“). Wichtige politische Schritte wurden bereits erfolgreich durchgesetzt. Ein Beispiel ist die Zusage der ÖVP-geführten Koalition, vier Millionen Euro mehr jährlich für die Sicherheit der jüdischen Gemeinde ausgeben zu wollen – dies wurde sogar gesetzlich beschlossen und muss nicht wie bislang per Förderantrag eingeholt werden.
Dieses Novum wird innerhalb der Gemeinde von allen begrüßt und fettet das Jahresbudget der IKG ordentlich auf. Aus einer APA-Aussendung des IKG-Präsidiums von 2020 lässt sich ein Budget errechnen, welches nun die 20-Millionen-Euro-Marke übersteigt. Bislang hat die Gemeinde 3,7 Millionen, knapp ein Viertel des bisherigen Budgets, für die eigene Sicherheit ausgegeben. Dass dieser Kostenpunkt verdoppelt wurde, spricht Bände.
Opake Machtstrukturen
An diesen Ausgaben wird sich freilich auch durch eine neue (oder alte) IKG-Führung nichts ändern. Spannend bleiben die individuellen Projekte und Akzentsetzungen der einzelnen Kultusräte, die alle zwei Jahre neu gewählt werden und die wiederum aus ihren Reihen den Präsidenten wählen. Ende November finden nun erneut Kultusratswahlen in Wien statt.
Am populärsten ist ATID, die Partei des Langzeitamtsinhabers Oskar Deutsch. Er hat vor zehn Jahren Ariel Muzicant abgelöst, der selbst wiederum vierzehn Jahre Präsident der IKG war. Zweitstärkste Fraktion ist der Verein für Bucharische Juden (VBJ), der als Partei gegründet wurde, um die Partikularinteressen der größten jüdischen Untergruppe in Wien zu vertreten.
ATID wirbt mit dem Topos der Einheitsgemeinde; der VBJ steht für Integration innerhalb der gesamten jüdischen Gemeinde Wiens und vertritt etwas theozentrischere Agenden.
Um verstehen zu können, was genau die IKG als politisches Organ leistet, muss man allerdings eingefleischtes Gemeindemitglied sein. Doch auch dann sind die internen Machtstrukturen oftmals opak. Wer mit wem kann und wieso die einen nicht mit den anderen wollen, erinnert, um dem Zynismus freien Lauf zu lassen, an den Disput zwischen der Volksfront von Judäa und der Judäischen Volksfront in Monty Pythons Leben des Brian. Im Mikrokosmos einer Gemeinde mit ca. 8000 Mitgliedern können da aber tiefe Gräben entstehen.
Momentan scheint es – und das kommt zumindest bei einer jüngeren und säkularen Generation gut an –, dass Religiosität Nebensache ist. Im Volksmund heißt es oft: „In Wien sind die Leute religiös, aber keiner glaubt an G’tt.“ Natürlich könnte sich diese Ausrichtung durch eine veränderte Machtstruktur im Kultusrat ändern. Dann werden konservative und religiöse Programme mehr gefördert und das übrige Budget nach bezahlten Fixkosten dort hineingepumpt, wo es eben opportun ist. Herrschen also nicht ganz einfach völlig übliche österreichische Verhältnisse?
Spiel für reiche Männer
Das wirklich Wichtige an der IKG-Wahl ist aber jenseits aller polemischen Wortklauberei die Frage nach der Repräsentanz. Von wem wird die Gemeinde in ihrer Gesamtheit besser nach außen vertreten: von askenasischen oder von sefardischen Männern? Denn bisher hatte den Posten des Präsidenten noch keine Frau inne. Eines ist klar: Benötigt wird neben dem politischen Pouvoir der eigenen Partei auch das nötige Kleingeld in den Taschen der Kandidaten. Vielleicht nicht für den Kultusrat, allerdings sehr wohl für das Amt des Präsidenten. Der Posten und daher die politische Funktion ist ehrenamtlich. Der Präsident wird dann in die ZiB 2 eingeladen, um den jährlichen Antisemitismusbericht zu kommentieren, oder er hält Reden bei diversen Gedenkveranstaltungen und muss viel Ausdauer beim Händeschütteln beweisen.
Das führt zur Frage der Selbstwahrnehmung der IKG. Und hier scheint es tatsächlich eine offenkundige Diskrepanz zwischen den jeweiligen Gruppierungen zu geben. Lange Zeit schon lässt sich ein Konflikt zwischen der IKG-Führungsriege und der bucharischen Gemeinde, die großteils eine eigene Infrastruktur mit Schulen, Synagogen und Supermärkten aufgebaut hat, beobachten. Dieser Konflikt wird auch öffentlich ausgetragen und könnte sich durch die kommende Wahl verschärfen. Die Zuspitzung der Auseinandersetzungen könnte zu einer Spaltung der Gemeinden führen, wie es in anderen Ländern bereits der Fall ist. Dass Wien einen eigenen Weg geht, ist allgemein bekannt, doch auch Diskriminierung und Machtmissbrauch sind eben typisch wienerisch.