Im Vorkriegs-Wien war sie als „Die Weltmeisterin“ bekannt: die Hockeyspielerin Irma Pick-Ullmann. Heute lebt sie in Israel und hat für ihren 100. Geburtstag, den sie in zwei Jahren feiert, einen großen Wunsch: noch einmal ihre Heimatstadt Wien zu sehen. NU hat die betagte Dame in Haifa zu einem Gespräch getroffen.
Von Alexia Weiss
Wenn Pick-Ullmann von Wien erzählt, steigen immer wieder Tränen in die Augen. Keine Tränen der Verbitterung oder des Hasses, vielmehr Tränen der Rührung. Seit die Sportlerin 1938 Wien mit ihrem Mann verlassen hat, ist sie immer wieder zurückgekehrt in die Stadt ihrer Kindheit und Jugend, der Stadt, in der ihre Eltern ein koscheres Gasthaus namens „Zollner“ führten. Das erste Mal kam sie schon in den Nachkriegsjahren wieder. Der bisher letzte Besuch liegt rund fünf Jahre zurück. Wien-Besuch. Das bedeutete früher Theaterabend, Flanieren über Graben und Kärntner Straße, ein bisschen in Geschäfte schauen, Kaffeetrinken in einer Konditorei. Und natürlich eine Fahrt zum Friedhof, wo beim 4. Tor Vater und Schwester begraben sind. Sie sind schon vor Hitler gestorben, erzählt Irma Pick-Ullmann. Die Mutter nicht – sie wurde nach Theresienstadt deportiert. Und trotzdem: „Wien ist so schön“, sagt sie, und lächelt. Doch nun ist alles ein wenig schwieriger geworden. Die ehemalige Spitzensportlerin sitzt heute im Rollstuhl und verbringt ihre Tage im „Hospital Yefeh-Nof“. Von den Verwandten lebt niemand mehr, ihr Mann ist schon lange tot. Alleine fühlt sich Pick-Ullmann dennoch nicht. Denn sie hat Gabi, der eigentlich Gabriel Confino heißt, der Sohn einer Freundin ist, sich um sie kümmert und sie liebevoll „Umili“ nennt. Auch zu dem Gespräch mit NU hat Quasi-Enkel Gabi die Exil- Wienerin begleitet, und als sie mir ein Foto aus ihren aktiven Hockeytagen zeigen will, läuft er rasch vom Café, in dem wir sitzen, ins Hospital um die Ecke, um ein Buch zu holen. „Gabi ist wie mein Kind“, sagt sie. Es ist ein Buch über die Hakoah Wien, ein Band, herausgegeben zum 50-Jahr-Jubiläum des jüdischen Sportvereins. Zwischen Einband und erster Seite hat Pick-Ullmann auf einem Zettelchen einige Seitenzahlen notiert. Ich blättere also rasch an die gekennzeichneten Stellen. Zwei Aufnahmen finden sich, die die Hockeyspielerin im Kreis der Teamkolleginnen zeigen, eine von 1928, eine von 1930. Alle tragen sie weiße Shirts und knielange, weite Röckchen. „Pick-Ullmann Irma war Standardspielerin und Kapitän der Damen-Hockey-Elf“, ist im Biographienteil des Jubiläumsbandes unter „Pick-Ullmann“ vermerkt. Und weiter: „Bald nach dem tragischen Tode von Ida Neumann übernahm sie die Leitung der Sektion, die sie bis zur Auflösung des Vereins innehatte. Trotz zahlreicher Schwierigkeiten gelang es ihrer unermüdlichen Initiative immer wieder, ein schlagkräftiges Team auf die Beine zu bringen, wobei sie auf die Heranziehung neuer, junger Kräfte größten Wert legte.“ Tourneen brachten sie nach Frankreich, Ungarn, Deutschland und in die Schweiz. Und, so heißt es in dem Band: Sie sei 1938 unbestreitbar die repräsentativste Hockeyspielerin Wiens gewesen. Als „Die Weltmeisterin“ sei sie in Hockeykreisen tituliert worden. Ein wenig peinlich ist es Irma Pick-Ullmann heute, von diesem Spitznamen zu sprechen, schließlich solle man sich ja selbst nicht loben. Gleichzeitig ist sie aber stolz, wer galt schon sonst noch als „Die Weltmeisterin”. Die weltmeisterliche Karriere mit zufälligem Beginn – sie war eigentlich Schwimmerin, als sie eines Tages von einem Mädchen beim Training gefragt wurde, ob sie es nicht einmal mit Hockeyspielen versuchen wolle – fand jedoch mit dem Einmarsch Hitlers ein jähes Ende. Die Gewitterwolken waren für die Sportlerin jedoch schon früher aufgezogen. Es war 1936, da sollte sie als Mitglied der österreichischen Auswahlmannschaft bei der Olympiade in Berlin spielen. Doch jüdische Spieler waren vom österreichischen Hockeyverband bereits gesperrt worden – lebenslänglich, wie Pick-Ullmann heute erzählt. Lebenslänglich sollte in ihrem Leben schließlich die Emigration werden. 1938 brach sie mit ihrem Mann, ebenfalls Hockeyspieler, in Richtung Israel auf. Die abenteuerliche Reise ging über die Donau und Rumänien. Schließlich langten sie in Natanja an, mitten in der Nacht auf einem Kohlendampfer. In kleinen Booten wurden die Flüchtigen ans Ufer gebracht. Mit einem Bus ging es weiter nach Tel Aviv. Das Gepäck bestand aus einem kleinen Rucksack. Pick-Ullmann fand dort zunächst Unterschlupf bei einem russischen Ehepaar, ihr Mann bei einer anderen Familie. Bald schon brach das Paar nach Haifa auf, wo bereits Freunde lebten, die nach der Makkabiade 1936 in der Stadt am Meer geblieben waren. Die Anfänge waren schwer. In Wien sei die Sportlerin „Beamtin“ gewesen, wie sie erzählt, und zwar im „Kreditorenverein von 1870 in der Zelinkagasse 10“. Bei ihrer Entlassung bestand sie darauf, dass vermerkt wurde, Irma Ullmann sei „aus politischen Gründen ausgetreten“. In Israel musste sie zunächst als Hausgehilfin arbeiten, hat Stiegen geputzt. Ihr Mann hat Autos gewaschen. „Das war unser Start.“ Dann ging es langsam bergauf. Sie bekam eine Stelle als Verkäuferin in einem Geschäft für Damenstoffe. 27 Jahre arbeitete sie dort. Ein Großteil der Kunden waren Einwanderer aus Deutschland – „Jekls“ genannt. Da kamen ihr ihre Deutsch-Kenntnisse zugute. Deutsch spricht Pick-Ullmann bis heute perfekt, so als ob sie niemals fort gewesen wäre. Neuerlich kommt Rührung auf, als ich ihr das sage. Den Weg zurück nach Österreich wollte Pick- Ullmann, die in Israel Gründungsmitglied der „Hakoah-Israel“ war , dennoch nie gehen. „Ich bin keine Zionistin, aber ich bin eine bewusste Jüdin.“ „Ich bin keine Fanatikerin – aber ich gehöre hierher“ – und mit „hierher” meint sie Haifa. Sie habe keine Angst vor Krieg oder Selbstmord-Attentätern, in ihrem Leben habe sie schon mehrere Kriege mitgemacht, erzählt sie. Man müsse sein Leben leben, wie es komme. Ihr Ziel sei momentan ihr 100. Geburtstag. Und den will sie mit Gabi in Wien verbringen.