Von Martin Engelberg
Gäbe es bei der bevorstehenden Nationalratswahl eine liberale, weltoffene, westlich orientierte, den Mief des Provinzialismus mutig bekämpfende Partei, dürfte man keine Sekunde zögern, diese nicht nur zu wählen, s o n d e rn mit Tat und Kraft zu unterstützen. Dem ist leider nicht so. Es gilt also, sich damit abzufinden, dass die vorh e rrschende Beschaulichkeit, Langsamkeit, Lahmheit, die wir mitunter positiv als Teil der guten Lebensqualität wahrnehmen, auch ihre Schattenseiten hat. In der Politik gibt es keine Spur von visionär inspirierten Gedanken und Ideen. Keiner hat offenbar das Zeug oder den Mut zu einem größeren Wu rf, egal ob in der Außen-, Wi rtschafts-, Sozial- oder Kulturpolitik.
Zur Ve rteidigung Österreichs muss gesagt w e rden, dass die Situation in Deutschland derzeit nicht viel besser ist und im Ve rgleich ist Österreich viel unbedeutender.
In Wirklichkeit können wir mit diesem Zustand der partiellen Lähmung bestens leben, nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass innerhalb der nächsten fünf Jahre Österreichs einzige Außengrenze jene zur Schweiz sein wird und uns innerhalb der nächsten zehn Jahre eine österreichische Regierung höchstens mit einer Ä n d e rung der Einbahnregelung in der Seitenstettengasse wirklich wird ärgern können.
Im Wahlkampf 2002 sind die Unterschiede in den politischen Inhalten aller wählbare n P a rteien (also ohne FPÖ) vernachlässigbar. Ambulanzgebühren, Abfangjäger – ein dritter „wichtiger“ politischer Streitpunkt fällt einem auf die Schnelle gar nicht ein – verh e lfen einem nicht leicht zu einer Entscheidung.
Weitaus mehr Bedeutung hat jedoch das Kriterium politische Integrität. Politische Integrität aber ist die Schwachstelle der ÖVP und geht dem Spitzenkandidaten Schüssel völlig ab. Im Ve rgleich zu Schüssel sind Gusenbauer und Van der Bellen geradezu Lichtgestalten. Unzweifelhaft sind beide Vertreter des „anderen“ Österreich. Unbestreitbar ist beider demokratische Gesinnung, beider Bereitschaft, sofort gegen jede Form von Antisemitismus, Rassismus etc. aufzutreten . Darüber hinaus haben sie und ihre Parteien sogar schon erste, positive Erfahrungen damit gemacht, in einem Wahlkampf off e n gegen Antisemitismus aufzutreten – ein Novum in der österreichischen Geschichte.
Demgegenüber hat es der ÖVP keinerlei Probleme mit ihrem Koalitionspartner bereitet, als die FPÖ im Wiener Wahlkampf noch einmal versucht hatte, mit Rassismus auf Stimmenfang zu gehen. Auch das letzte unsägliche Antisemiteln der ÖVP in einem Wahlkampf ist noch gar nicht so lange her. Gusenbauer, einige altvord e re Sozialdemokraten und die Quereinsteiger Petritsch, Broukal und Knoll einerseits und auf der anderen Seite Van der Bellen, Te rezija Stoisits, Christoph Chorh e rr und die gesamte Führungsmannschaft der Grünen verdienen unsere Stimme. Unentschieden bleibt nur, welcher