Von Erwin Javor
Grießen musst du
Eine meiner Lieblingsgeschichten in der „Tante Jolesch“ von Friedrich Torberg handelt von Fritz Krasa, einem Prager Kauz, der wegen seiner roten Haare „der rote Krasa“ genannt wurde. Er war weder besonders schön noch besonders gescheit, und es konnte auch kein Anzeichen eines besonderen Charmes festgestellt werden. Trotzdem galt der „rote Krasa“ als der Prager Casanova schlechthin. Gefragt nach dem Rezept seines beneidenswerten Erfolges antwortete er geheimnisvoll: „Grießen musst du,“ sagte er. „So lange grießen, bis du sie im Bett hast.“
Wenn ich nicht in der „Gemeinde“ gelesen hätte, dass Ende November die Wahl zum Kultusvorstand stattfindet, hätte ich es auch so gemerkt. Man wird wieder freundlich „gegrießt“. Und zwar von den Kandidaten der jeweiligen Listen. Von denen, die es wirklich sind, und jenen, die hoffen, doch noch aufgestellt zu werden . Es werden, wie bei der letzten Wahl, wieder ca. zehn Listen kandidieren und wieder werden etwa 3.000 Juden ihr Wahlrecht ausüben und 24 Kultusräte in den Kultusvorstand nominieren. Ich denke mir oft, dass bei jeder mittelgroßen Bar-Mizwa-Feier demnach ein Wählerpotential von vier bis fünf Mandaten anwesend ist. Mit den Stimmen der Gäste einer „großen“ Hochzeit könnte man schon eine Koalition eingehen.
Nichtsdestotrotz wird diese Wahl immer wieder zu einem politischen Ereignis hochstilisiert. Ich persönlich halte das für Größenwahn. Die Liste des derzeitigen Präsidenten hat bei der letzten Wahl als stimmenstärkste Partei nur 621 (sic!) Stimmen erhalten. Das waren ca. zwanzig Prozent der abgegebenen Stimmen. Oder ein aktuelles Beispiel: Der Präsident berichtete vor wenigen Wochen in einer Presseaussendung von einer „dramatischen“ Zunahme der Neuregistrierungen der letzten vier Jahre. Diese Meldung entpuppt sich leider als eine der vielen üblich gewordenen Übertreibungen.
In Wahrheit hat sich in den besagten vier Jahre n die Mitgliederzahl von 6.500 auf lediglich 6.648 erhöht. Nicht berücksichtigt wird dabei zum Beispiel, dass immer mehr jüdische Jugendliche nach dem Studium auswandern oder im Ausland heiraten, ohne sich gleich von der Mitgliederliste streichen zu lassen.
Die One-Man-Show
Plenarsitzung. 29. August, 19 Uhr. Der Kultusvorstand tagt. Von den gewählten 24 Mandataren sind um 19.30 Uhr lediglich 15 anwesend. Später werden es mehr. Um 20.20 Uhr sind es stolze 18 Mitglieder des Vorstandes. Der Präsident macht Tempo. So werden Themen wie Wahlordnung, Beratung über weiteres Vorgehen mit dem fertig gestellten Bericht der Historikerkommission, Vermietung einer Liegenschaft in Baden, Wahl des Tempelvorstandes, Diskussion über ein finanzielles Risiko einer neu zu erbauenden orthodoxen Mädchenschule und Sanierung des Gemeindezentrums in atemberaubender Geschwindigkeit durchgepeitscht.
Die Kultusräte haben wenig bis gar keine Möglichkeit, sich auf diese komplexen Fragestellungen vorzubereiten, und werden mit der vorgefassten Meinung des Präsidenten abgefertigt. Fragen werden von ihm meist unwirsch und ungeduldig beantwortet. (Gerechterweise muss jedoch auch festgehalten werden, dass ein Teil der Mandatare sich überhaupt nur für finanzielle Zuwendungen interessiert, und zwar für jene, die für ihre eigene Gruppierung maßgebend ist.) In einigen Fällen werden wenige Minuten vor der Abstimmung schriftliche Informationen im Plenum verteilt. Natürlich kann sich niemand in so kurzer Zeit sachlich informieren. Das führt dazu, dass im Laufe des Abends die Kultusräte
zwangsläufig mehr und mehr zu Statisten degradiert werden.
Zwischen den Abstimmungen wird „Politik“ gemacht. Dr. Muzicant verteilt Zensuren. Nach einem Seitenhieb gegen Leon Zelman und dessen Eintreten für „sein“ Haus der Geschichte folgen lobende Worte für das neue Muzicant-Projekt des „Schoah-Zentrums“.
Anschließend werden dem Vorstand Pläne für die Errichtung eines weiteren Denkmals vorgestellt. Die aufkeimende Diskussion wird schnell abgewürgt und wenige Minuten später wird mit Mehrheitsbeschluss der Bau eines Mahnmahls im Vorraum des Stadttempels zum Gedenken an 65.000 ermordete österreichische Juden schnell beschlossen. Kostenpunkt: 200.000 Euro.
Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass die „Ethik-Regeln“, die von der Kontrollkommission in mühevoller Arbeit seit 18 Monaten komplett fertig ausgearbeitet wurden, dem Plenum nicht zur Beschlussfassung vorgelegt werden, obwohl dies als ein wichtiger Punkt in der Tagesordnung aufscheint, und zwar nicht zum ersten Mal. Der Leiter der Kontrollkommission bedauert dies ausdrücklich und wird vom Präsidenten abermals vertröstet.
Noch nie gab es in unserer Gemeinde einen Präsidenten mit derartigen Macherqualitäten. Zu seiner bemerkenswerten Dynamik gesellt sich ein ungeheurer Arbeitseinsatz. Zweifellos hat er für die Gemeinde viel erreicht und dafür gebührt ihm auch Dank. Aber wohin bewegen wir uns unter seiner Führung? Wie ein Bulldozer walzt er alles, was sich ihm wirklich oder auch nur vermeintlich in den Weg stellt, einfach nieder. Ständig wird gebaut, renoviert, Liegenschaften werden verkauft, getauscht, man legt sich mal mit der Regierung, mal mit den Behörden an, und das in immer kürzeren Abständen. Noch ein Denkmal, noch eine Schule, noch eine Presseaussendung, noch ein Fernsehinterview.
Wann hat der Mann eigentlich Zeit zum Nachdenken? Es ist wie bei Gerhard Bronners „Der Wilde mit seiner Maschin“: „I waas zwar gar net wo i hinwü, aber dafür bin i gschwinder durt.“ Von einem Präsidenten meiner Gemeinde erwarte ich mir auch Lebensweisheit und eine gewisse Demut, mit manchen Problemen sehr viel vorsichtiger umzugehen, als es jetzt geschieht.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die derzeitigen Kosten unserer Infrastruktur nicht mehr seriös zu finanzieren sind. Und wir alle sollten vermeiden, vom Wohlwollen der heutigen oder auch jeder zukünftigen österreichischen Regierung abhängig zu sein.