Im November legt die von der Regierung eingesetzte Historikerkommission ihren Endbericht vor. Verwaltungsgerichtspräsident Clemens Jabloner, Vorsitzender der Kommission, sprach mit NU über seine Arbeit und seinen eigenen jüdischen Hintergrund.
Von Alexia Weiss
Groß und weitläufig, fast imperial ist das Büro, von dem aus der Jurist Clemens Jabloner die Geschicke des Verwaltungsgerichtshofes lenkt. Der Schreibtisch, eine kleine Sitzgruppe – dazwischen viel, viel leerer Raum, horizontal wie vertikal. Auf dem Tisch steht eine weiße Schale in Form eines Magen David. Leicht könnte man sie übersehen in dieser stolzen k.u.k. Pracht, angesiedelt am Wiener Judenplatz.
Der breiten Öffentlichkeit ist kaum bekannt, dass der Verwaltungsgerichtshofpräsident und Vorsitzende der Historikerkommission jüdischer Herkunft ist. „Ich habe aus meiner Religion nie ein Geheimnis gemacht, sie aber auch nicht besonders nach außen thematisiert“, erzählt Jabloner im Gespräch mit NU. „Ich bin Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde und fühle mich als Jude. Aber ich muss dazu sagen, dass ich meiner Natur nach kein ausgeprägt religiöser Mensch bin.“
1998, als ihn Bundeskanzler Viktor Klima bat, den Vorsitz in der Historikerkommission zu übernehmen, „habe ich den Umstand meiner Herkunft geltend gemacht und gebeten, dass man das in Hinblick darauf noch einmal überdenkt. Man ist aber bei den Auftraggebern bei dieser Idee geblieben“. Doch es blieb damals bei einem Anwurf im niederösterreichischen „Freiheitlichen Gemeindekurier“- dieser sei aber „von einer so untergeordneten Stelle der Freiheitlichen Partei“ gekommen, dass er ihm keine Bedeutung beigemessen habe. Jabloner: „So etwas ärgert einen zwar immer, aber ich habe es mir nicht zu Herzen genommen.“
Was bedeutet es nun aber, gerade als Jude die Arbeit dieser für die Aufarbeitung der NS-Geschichte so wichtigen Kommission vorzustehen? „Ich sehe den Vorteil, dass ich mich in verschiedene Mentalitäten ganz gut einfühlen kann. Ich bin ein österreichischer Beamter und kenne daher die Denkweise der österreichischen Bürokratie sehr gut und ich kenne auch die Opferperspektive sehr gut. Da ist eine gewisse Sensibilität da. Und ich glaube auch nicht, dass ich deswegen parteilich wäre, denn wenn ich für etwas stehe, ist es ein methodisch sauberes Vorgehen der Kommission, und das ist auch gewährleistet.“ Gerade methodisch habe er „sehr viel gelernt“ in den vergangenen Jahren. „Ich habe gelernt, wie Geschichtswissenschaften vorgehen und da ich an methodischen Fragen sehr interessiert bin, ist das für mich sehr wichtig.
Was mir auch sehr wichtig ist: die Bekanntschaft von äußerst interessanten und gescheiten Leuten gemacht zu haben – ich meine die Mitglieder der Historikerkommission, das Sekretariat der Historikerkommission, mit denen ich vielleicht sonst nicht so in Kontakt gekommen wäre.“
Die Arbeit selbst habe „sicher dazu geführt, dass ich mir Verschiedenes neu oder Verschiedenes überhaupt zum ersten Mal überlegt habe, was mir bisher nicht klar gewesen ist. Ich habe mich eigentlich nie sehr spezifisch mit diesem Thema beschäftigt, sondern es war Teil meiner Herkunft und die Geschichte meiner Eltern, aber es ist nicht so thematisiert worden, wie man eigentlich glauben könnte. Also ich habe die Grundzüge des Problems gewusst und ich habe während der Arbeit die Dimension gesehen, die ich vorher nicht gesehen habe, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht.“
Dann eine persönliche Anmerkung: „Und ich habe auch gesehen, dass meine Familie im engeren Bereich relativ gut davongekommen ist.“ Ein Anstoß, sich mit der Familiengeschichte etwas näher zu befassen? „Nein, das hat mich nie besonders interessiert. Ich nehme an, dass meine Vorfahren brave durchschnittliche Leute gewesen sind. Es werden sich darunter wahrscheinlich keine Genies und keine Verbrecher finden. Das Thema als solches ist aber für mich nicht so relevant, dass ich jetzt sozusagen nach meinen ‚roots‘ suchen würde. Das Problem habe ich nicht. Ich brauche das auch nicht. Aber ich habe doch die Lebensgeschichte meiner Eltern und des jüngeren Familienkreises besser reflektiert.“
Nachdenklich wird Jabloner bei der Frage, ob es Momente gegeben habe, in denen er mit Fakten konfrontiert worden sei, die ihn erschüttert hätten. „Die ganze Tätigkeit berührt mich emotional sehr. Etwa die Komplexität der nationalsozialistischen Maschinerie. Dass alles eingesetzt wurde – von der ausgeklügelten Technik des Vermögensentzuges bis zur blanken Gewaltausübung. Wie differenziert das war. Und dass der Nationalsozialismus eben auch ein System der Wirtschaftskriminalität gewesen ist, in einem ungeheuerlichen Ausmaß. Und erschütternd ist eigentlich die Selbstverständlichkeit, mit der das gemacht wurde.“
Es sei diese Selbstverständlichkeit der Leute gewesen, „die mitgespielt haben und die, wenn ihnen ein System eine Möglichkeit gibt, diese Möglichkeit nutzen“, die besonders befremdlich sei. „Viele, nicht alle, aber viele haben sie benutzt, ohne sich besonderen Skrupeln hinzugeben.“ Das sei über Mitläufertum hinausgegangen und „wirft – abgesehen von den österreichischen Besonderheiten – halt überhaupt ein ungünstiges Licht auf die Menschen insgesamt. Das zeigt, wie dünn die zivilisatorische Decke eigentlich ist“.
Spät, aber doch wurde Anfang 2001 ein Entschädigungspaket für die Opfer der „Arisierungen“ der Nationalsozialisten geschnürt. Ein Ergebnis der Arbeit der Kommission oder eine Antwort auf die Sammelklagen aus den USA will ich von Jabloner wissen. „Das ging Hand in Hand. Da war die Arbeit der Kommission, wodurch in der Anfangsphase an sich bekannte Probleme wie die Zwangsarbeiterentschädigung und die entzogenen Mietrechte sozusagen noch einmal mit Stempel offiziell präsentiert wurden. Das war ganz wesentlich. Und dann sicher der Druck auf die österreichische Wirtschaft und sicher das Engagement des Bundeskanzlers. Das ist objektiv jetzt zu sagen.“
Bedauern drückt der Vorsitzende der Historikerkommission über die beiden immer noch in den USA gegen Österreich anhängigen Klagen aus. Diese könnten die Auszahlungstätigkeit des Allgemeinen Entschädigungsfonds behindern, sollten sie nach Ablauf der Antragsfrist noch immer aktuell sein. „Ich glaube, diese Klagen aufrechtzuerhalten ist nicht klug, weil ich denke, dass es wichtig wäre, die ganze Sache in Gang zu setzen. Angesichts des Alters mancher Betroffener sollte man nicht länger zuwarten. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Punkte, die jetzt noch offen sind zwischen der Kultusgemeinde und der Regierung, so groß sind, dass das nicht mit Einsehen von beiden Seiten überbrückbar wäre. Es ist ja nach dem Entschädigungspaket noch etwas geschehen – die Einigung mit den Ländern über das Gemeindevermögen war sicher ein großer Erfolg für Präsident Muzicant.“ „Ich glaube aber auch, dass man den Druck auf die Republik Österreich und die österreichische Wirtschaft, der von diesen Klagen ausgeht, nicht überschätzen darf. Das Thema ist jetzt international wieder ein bisserl in den Hintergrund getreten. Es soll auch nicht eine Einstellung dann aufkommen in Österreich, das steh‘ ma jetzt durch.“
An der Öffentlichkeit sicher nicht spurlos vorbeigehen wird der Endbericht der Historikerkommission. Nach einem rund viertausendseitigen Zwischenbericht, den Jabloner und sein Team Anfang des Sommers vorlegten (siehe Kasten), rechnet Jabloner bis Jahresende mit insgesamt 15.000 bis 20.000 Manuskriptseiten.
Globalbilanz darf dabei keine erwartet werden. Schon zu Beginn der Arbeit habe man vermutet, „dass eine buchhalterische Aufarbeitung nicht möglich ist“. Nun ist es Gewissheit. Immer wieder sei von beiden Seiten versucht worden, mit Zahlen zu operieren. „Seriöserweise ist das gesamthaft nicht möglich. Es wird vielleicht gelingen, das für einige Teilbereiche zu machen, aber dabei gibt es eine Menge methodischer Schwierigkeiten, zum Teil auch die lückenhafte Information.“
Diese Lückenhaftigkeit habe übrigens nichts damit zu tun, dass die Arbeit der Kommission in irgendeiner Weise behindert worden wäre. Die Historikerkommission sei „eigentlich in einem sehr breiten Ausmaß unterstützt worden. Man kann nicht sagen, dass ihre Tätigkeit irgendwie obstruiert wurde. Da ist eine neue Generation auf den Plan getreten, die jetzt eine ganz andere Haltung einnimmt“. Besonders hebt Jabloner dabei „die wichtigen Beamten im Außenministerium“ hervor. „Das ist eine Generationsfrage, das ist aber auch eine Frage von Nachwirkungen. Die beginnen mit den Waldheimjahren, münden dann in eine modifizierte Haltung des offiziellen Österreich ein und setzen sich fort. Da findet man schon eine Linie. Was nicht heißt, dass sich jetzt, generell gesprochen, an den Vorurteilen und an der Bewusstseinslage sehr vieler Österreicher etwas geändert hätte.“
Zwei Kreise will Jabloner allerdings dann doch ausnehmen: die Universitäten und die Kirchen. Das seien „zwei Faktoren in einer großen personellen Ausstrahlung“, die jetzt ganz anders seien als in der Zwischenkriegszeit. „Das halte ich überhaupt für einen wesentlichen Unterschied zwischen der Ersten und der Zweiten Republik“, so Jabloner.
Zu Jahresende wird die Historikerkommission ihre Arbeit beendet haben. Zeit für neue wissenschaftliche Projekte? Er sei Geschäftsführer des Hans-Kelsen-Instituts, sagt Jabloner, „und die dortige Tätigkeit ist mir sehr wichtig“. Konkretes Projekt habe er derzeit aber keines in Aussicht. „Wenn die Historikerkommission fertig ist, muss ich meine Energie hauptsächlich einmal dem Verwaltungsgerichtshof zuwenden, wo man die Dinge immer noch besser machen kann. Ich möchte hier vor allem die Strukturprobleme der Verwaltungsgerichtsbarkeit lösen, das ist eigentlich meine wichtigste Aufgabe. Diesen permanent überlasteten Gerichtshof, den möchte ich besser dastehend sehen, weil das die Leute, die hier arbeiten, auch verdienen.“ Damit werde er möglicherweise scheitern, „weil man da ansetzen muss auf einer Verfassungsebene, und das hat man nicht einmal zusammengebracht in den Zeiten, in denen Verfassungsmehrheiten einfach zu erzielen waren. Ich will aber nicht als der Präsident in die Geschichte eingehen, zu dessen Zeit diese bereits 125 Jahre alte Institution verfallen ist.“ Das Amt des Verwaltungsgerichtshofpräsidenten hat der heute 53-Jährige 1993 angetreten. Seine Ernennung war damals nicht ganz unumstritten – auf Grund seiner SPÖ-Nähe kam der Vorwurf einer Proporzbesetzung. Trotzdem sagt Jabloner: „Ich kann sagen, dass man mir ganz überwiegend freundlich gegenüber gestanden ist. Und wenn man zeigt, wie man’s macht, wer man ist, wie man arbeitet, nach innen und außen, hat das eine gewisse Überzeugungskraft.“
Dass er sich als Sozialdemokrat sieht, verleugnet Jabloner nicht. Er hält aber fest: „Ich bin kein Politiker. Ich habe eine bestimmte politische Gesinnung, das fließt aber nicht in meine Tätigkeit ein, kann gar nicht einfließen. Und ich nehme auch nicht Teil an der Willensbildung der SPÖ.“
Schmunzelnd reagiert Jabloner, wenn man ihn mit den medialen Ministerlisten der potenziellen SPÖ-ÖVP-Regierung dieser Legislaturperiode konfrontiert. Bei den schließlich gescheiterten groß-koalitionären Regierungsverhandlungen von 1999 soll sein Name nämlich als Kandidat für das Amt des Justizministers gefallen sein. „Mit mir hat keiner je geredet und ich hätte auch keine Ambition. Ich bin kein Politiker und ich strebe auch kein politisches Amt an.“ Dafür ist Jabloner Familienmensch (er hat drei Kinder) und Liebhaber der schönen Künste. Besonders angetan haben es ihm die Opern Janác·eks und die Literatur. Vielfältig wie seine Arbeitsbereiche gestaltete sich heuer auch Jabloners Urlaubslektüre: eine Mischung aus Balthasar Gracian, Franz Nabl und dem Cyberpunk-Autor Neal Stephenson.