Vieles ist den Juden vorgeworfen worden – Humorlosigkeit noch nicht. Jüdischer Humor gilt als fein und scharfsinnig, hat den Geist von Hollywood geprägt und besticht durch die Fähigkeit, über sich selbst lachen zu können.
Von Gabriele Flossmann
Lachen und Humor sind in der jüdischen Tradition fest verankert. Das belegen die vielen Anekdoten, Schnurren, Gleichnisse und Schelmengeschichten, die überliefert sind. Aber was ist genau das „Jüdische“ am Humor? Mit diesem Phänomen hat sich auch Sigmund Freud auseinandergesetzt. Er beschreibt den Humor als „Lustgewinn durch ersparten Gefühlsaufwand“. Das Standardbeispiel für diesen Lustgewinn ist der Galgenhumor: Ein Delinquent wird an einem Montag in aller Frühe zum Galgen geführt. Er begrüßt seinen Henker mit den Worten „Die Woche fängt ja gut an“. Freud kommentierte diesen Witz: „Der Humor ist ein Mittel, um die Lust trotz der sie störenden peinlichen Affekte zu gewinnen; er setzt sich an die Stelle derselben. An die Stelle der Todesangst setzt der arme Mann, der demnächst hingerichtet wird, einen humoristischen Triumph“.
Die Außenwirkung des Galgenhumors liegt aber nicht nur in der Selbstbetrachtung – nämlich indem man selbst sein eigenes Publikum ist und „trotzdem lacht“. Wesentlich ist dabei auch, um beim Beispiel zu bleiben, dem Henker ein Lächeln zu entlocken. Es ist sicher kein Zufall, dass Freud bei seiner Auseinandersetzung mit dem Wesen des Humors in erster Linie auf jüdische Witze zurückgriff. Nicht nur, weil er selbst ein Jude war. Er würzte auch gern seine eigenen Vorträge und Publikationen mit Anekdoten, Witzen, fröhlichen Zitaten und sarkastischen Bemerkungen.
Meschugge statt verrückt
Von mehreren seiner Biografen wird eine Anekdote kolportiert, bei der Freud selbst durch Galgenhumor glänzte. Bevor er Wien verlassen durfte, musste er eine Erklärung unterschreiben, von den Nazis korrekt behandelt worden zu sein. Freud ergänzte die Erklärung mit dem Zusatz: „Ich kann die Gestapo jedermann auf das Beste empfehlen.“ Freuds Lieblingsschüler, der Psychiater Theodor Reik, bemerkte in seiner Analyse des Humors unter dem Titel Lust und Leid im Witz. Sechs psychoanalytische Studien: „Jahwe hat es dem Juden unserer Zeit verwehrt, sich in Klagen auszusprechen, die ihm die Umwelt gewinnen könnten. Indem er ihn aber witzig sein ließ, gab ihm sein Gott zu sagen, was er leide.“
Im Judentum, so Reik, ist der Witz der freche, kleine Bruder der Theologie. Die österreich-amerikanische Psychoanalytikerin Erika Freeman war wiederum die Lieblingsschülerin von Theodor Reik. Bei ihrem letzten Wienbesuch im September dieses Jahres führte sie ein „Philosophisches Gespräch“ mit dem iranisch-österreichischen Kabarettisten Michael Niavarani, in dem sie meinte: „Man muss ein bisschen meschugge sein, um nicht ganz verrückt zu werden.“
Angesichts des besorgniserregenden Rechtsrucks, der sich in Europa und leider auch in Österreich ausbreitet, erhebt sich in Sachen Humor eine weitere Frage: Da jüdischer Witz immer als Waffe der Wehrlosen galt, ist es demnach immer noch die heiligste Pflicht der Gagschreiber von Film und Fernsehen, an Tabus zu rühren? Ja, meint Sasha Baron Cohen, bekannt für seine Kunstfigur Borat und die Fernsehserie The Spy.
Verteidigung der Menschlichkeit
Seine Spezialität es ist, Tabus zu brechen. Mithilfe von Spott, Respektlosigkeit, schwarzem Humor und bissiger Kritik an Politik und Gesellschaft. Der britische Comedystar gewann für sein Borat-Sequel den Golden Globe als bester Schauspieler in einer Komödie und bestätigte mit seinem Film auch Theodor Reiks These, wonach im jüdischen Witz immer auch der Gegner, also der Antisemit, mit hineingezogen werde. Dementsprechend betonte Cohen in seiner Dankesrede, dass der Film „ohne Donald Trumps persönlichen Anwalt“ nicht möglich gewesen wäre. Cohen beschrieb den Anwalt als „ein frisches neues Talent, das aus dem Nichts kam und sich als Comedy-Genie herausstellte. Ich spreche natürlich von Rudy Giuliani.“
In seinem Film hatte er den einstigen New Yorker Bürgermeister nach Strich und Faden verarscht (man verzeihe den Ausdruck „Nach Strich und Faden“…). Sascha Baron Cohen ist damit heute wohl der typischste Vertreter des jüdischen Humors, der fast immer eine Verteidigung der Menschlichkeit gegen jede Ideologie, Gewalt und engstirnige Gesetzlichkeit darstellt. Ohne seinen tragischen Hintergrund ist der jüdische Witz kaum zu verstehen. Kein Wunder, dass er im Film immer schon eine Sonderstellung einnahm. Man denke dabei aber nicht nur an Max Linder, Max Ophüls, Mel Brooks, Danny Kaye, Woody Allen oder Dani Levy – um nur einige zu nennen.
Provoziertes Gelächter
Auch der Filmemacher Quentin Tarantino hat sich auf dem Gebiet des Galgenhumors versucht. Tarantino ist zwar selbst kein Jude, ist aber mit einer Israelin verheiratet und verbringt im Land seiner Frau den Großteil seiner Zeit. „Mir geht es darum, den Menschen des 21. Jahrhunderts die Chance zu geben, sich mit den Helden der Vergangenheit zu verbünden und ihnen damit eine gemeinsame Katharsis zu ermöglichen. Und da spreche ich nicht nur von den Juden“. Mit diesen Worten verteidigte der amerikanische Filmemacher seinen 2009 entstandenen, sehr erfolgreichen, aber nach wie vor umstrittenen Film Inglourious Basterds.
Umstritten war und ist der Film in erster Linie deshalb, weil Tarantino in seiner Auseinandersetzung mit dem Nazi-Faschismus und dem Holocaust die Täter-Opfer-Rollen ganz einfach vertauschte und die „bösen Nazis“ dem kollektiven Gelächter des Publikums aussetzte. Aber fällt das noch unter „Galgenhumor“ im Sinne eines jüdischen Witzes? Ob Tarantino damit die herbeigeredete „gemeinsame Katharsis“ auslöste, darf bezweifelt werden, aber zumindest schaffte er eine oberflächliche Katharsis – sprich: eine pekuniäre Erlösung und Schuldenreinigung – der Produzenten des Films: Die „Inglourious Basterds“ spielten an den Kinokassen weltweit ein Vielfaches der Produktionskosten ein. Man kann nun argumentieren, dass Tarantino mit dem provozierten Gelächter das „Böse“ auf diese Weise „banalisierte“.
Nach Meinung kluger (?) Leute soll der jüdische Witz heute nur noch eine historische Erscheinung sein. Die Gründung des Staates Israel, so wird vielfach argumentiert, habe zum Ende des jüdischen Witzes geführt. Denn wer die Macht habe, bedürfe seiner nicht mehr. Diese Ansicht ist mehr als fragwürdig und anfechtbar. Schließlich hat Israel bis heute seine Humoristen und Satiriker – und eine Reihe von oft kopierten und selten bis gar nicht erreichten Fernsehformaten. Immer häufiger nehmen auch große Streaminganbieter israelische TV-Produktionen ins Programm. Mit dem Ergebnis: Sie zeugen von der Überlebenskraft des jüdischen Humors und haben absolutes Suchtpotenzial – wie etwa Shtisel. Jüngstes Beispiel für den Versuch eines Remakes einer jüdischen Serie ist die ORF-Produktion Familiensache. Die zehn 45-minütigen Folgen basieren auf dem israelischen Erfolgsformat La Famiglia. Die urkomische israelische Komödie erzählt vom Leben einer ganz normalen Vorstadtfamilie, in deren Umfeld und Freundeskreis sich immer mehr Paare scheiden lassen. Das Paar hätte zwar viele Gründe, ganz einfach glücklich zu sein, aber noch mehr Gründe, eine Therapie zu machen: Sorgen mit aufmüpfigen Kindern, seltener werdende Höhepunkte im Sexualleben, seine beste Freundin, ihre Beschwerden und – natürlich! – seine Mutter. Die gemeinsamen Therapiesitzungen bilden die unterhaltsame Grundlage für die Szenen einer Durchschnittsehe. Jede Episode ist eine neue Sitzung, in der peinliche, bizarre und verrückte Momente angesprochen werden, wie sie wohl in (fast) jeder Familie vorkommen.