Mit Topsy Küppers unterwegs zu sein, ist nicht einfach. Die vielseitige Künstlerin ist nämlich ständig ausgebucht. Für ihr neues Buch „Nix wie Zores“ düst sie in ihrem Auto quer durch Österreich von einem Interview zum nächsten.
Von Danielle Spera (Text) und Ouriel Morgensztern (Fotos)
Autofahren genießt sie wie das Kochen und überlässt es ungern anderen. Ihr Kofferraum ist immer voll. „Klamotten und vor allem viele Bücher, mit all dem könnte ich nie in einen Flieger steigen“, erklärt sie. Vor zwei Jahren ist Topsy Küppers sogar nonstop von Wien nach Leipzig zur Buchmesse gefahren. Die Automarke will sie nicht verraten. Das wäre ja Werbung.
Trotz ihrer ausgefüllten Tage findet die Sängerin, Schauspielerin und frühere Theaterdirektorin Zeit, ein Buch nach dem anderen zu schreiben. „Das alte Zirkuspferd kann gar nicht anders“, sagt sie über ihren Tatendrang. Zu ihrem 90. Geburtstag, den sie im August feiern wird, hat sie ein Buch über Zores geschrieben. Sie solle Zores (aus dem hebräischen Begriff für Kummer abgeleitet) gleich zu Beginn des Buches erklären, meinte ihre Tochter Sandra Kreisler. Topsy Küppers antwortete in ihrer unnachahmlichen Art: „Zores bedeutet: ‚Je suis in der Rue de la Kack‘.“ Lachen und Humor sind für sie essenziell: Vor allem in Zeiten von Corona solle man noch viel mehr lachen als sonst. Nix wie Zores ist ein Buch voller Erinnerungen, Anekdoten, jüdischem Humor und philosophischen Betrachtungen über das Leben. Und ein weiteres in einer Reihe von Büchern und Romanen, die sie während der vergangenen Jahre verfasst hat.
Wir sitzen mit Zweimeter-Corona-Abstand in ihrer beeindruckenden Bibliothek. Lesen war von Kindheit an ihre Leidenschaft. Ihre Mutter realisierte recht bald, dass der Vater, ein Restaurantbesitzer, ein richtiger Schürzenjäger war, Womanizer würde man heute sagen. Die Scheidung erfolgte, als Topsy zwei Jahre alt war. Später mussten sich ihre Mutter, ihre Omi und ihre Tante gemeinsam mit Topsy und dem Hund Muki im benachbarten Waals in Holland in einem Keller vor den Nazis verstecken. Darauf folgte eine Zeit in einem DP (Displaced Persons)-Lager.
Kleiner Zappelphilipp
Bücher waren ihre einzige Abwechslung, Schauspiel, Gesang und Tanzen von jeher ein Traum für das Mädchen aus Aachen, einem geschichtsträchtigen Ort: „Meine Mutter hat mir oft das Haus von Anne Franks Mutter gezeigt.“ Nach Topsys Vater suchte man nicht, das war im Frauenhaushalt tabu. Er war untergetaucht und hatte vermutlich das Schicksal vieler anderer Jüdinnen und Juden erlitten. Topsy war als Kind nach eigener Aussage ein richtiger Zappelphilipp. Kein Kaffeekränzchen, bei dem sie die Erwachsenen nicht mit kleinen Aufführungen überraschte. Ihr selbst verfasstes Lieblingsgedicht trägt sie bei unserem Treffen lachend vor: „Ich stell mich Ihnen vor/als Tänzerin im Chor/als Sängerin im Stern/ein jeder hat mich gern.“ Knicks. Applaus. „So merkt man sich die Texte.“
Topsys Mutter arbeitete als Buchhalterin, um ihrer Tochter eine perfekte Ausbildung in Schauspiel, Gesang und Ballett zu ermöglichen, obwohl sie selbst absolut keine Leidenschaft für das Theater hatte. Die Erziehung übernimmt die Omi. „Großmütter sind das Beste, es geht nichts über Großmütter. Von meiner Mutter habe ich Pünktlichkeit, Disziplin und Gewissenhaftigkeit mitbekommen, von Omi die Güte und Warmherzigkeit, obwohl ich ein wildes Kind war. Meine Großmutter sagte immer, ich sei dem Dübel – also dem Teufel – aus der Pfann’ gesprungen.“ Der Unterricht bei wichtigen, aber strengen künstlerischen Ausbildnerinnen und Lehrern machte sich bezahlt. Es kamen immer größere Engagements. „Damals musste man alles können. Heute schaut jemand aus wie ein Model und bekommt gleich ein Engagement ans Burgtheater, so bin ich nicht ans Burgtheater gekommen“, sagt sie augenzwinkernd.
Bei einem Gastspiel in Wien lernt sie in der „Marietta Bar“ Georg Kreisler kennen. „Er kam mit mir nach München, dann wurden daraus 14 Jahre. Zwölf wunderbare Jahre, zwei wunderbare Kinder und von nun an ging’s bergab.“ Kreisler, ein Mann mit zwei Gesichtern, mit dem sie sich über die Urheberschaft des Stückes Heute Abend Lola Blau ein viele Jahre dauerndes Gerichtsverfahren liefern musste. „Kreisler hielt es nicht aus, wenn jemand stark war. Daher rührte vermutlich auch seine Feindschaft zu anderen Künstlern. Mit Urheberrechtsfragen hat er sich nicht beschäftigt. Einmal sang ich das Lied Opernboogie, danach kam eine Dame auf mich zu und sagte, sie hätte dieses Lied geschrieben. Ich antworte: ‚Klären sie das bitte mit dem Autor, ich bin glücklich von ihm geschieden.‘“
Wiedner Lebenswerk
Ihr Lebenswerk wurde die Freie Bühne Wieden: Ein Theater, auf das sie von Bruno Kreisky aufmerksam gemacht wurde und in dem sie vor allem auch die jüdische Kultur in Erinnerung rufen und würdigen wollte. „Heute glaubt jeder, der das Wort ‚nebbich‘ richtig aussprechen kann, jüdische Programme machen zu können. Aber dem ist leider nicht so. Die Sprache ist so wichtig. Wiener sollen Wiener spielen.“
Minutiös erinnert sie sich an all die unzähligen Gastspiele von Ensembles aus vielen Ländern auf ihrer Bühne, vor allem an die israelischen Stars. Dieser Austausch ermöglichte ihr, an Theatern in anderen Ländern aufzutreten. „In Israel bin ich im Beit Ha’am Center aufgetreten. Vor einer Vorstellung sagte mir ein israelischer Kollege: ‚Weißt du, dass hier der Eichmann-Prozess stattgefunden hat?‘ Ich antwortete: ‚Hättest du mir das nicht bitte nach der Vorstellung sagen können?‘“ Das Mobbing, das sie als Deutsche in Wien erlebte, ist ihr lebhaft in Erinnerung geblieben. Geholfen habe ihr damals „der andere Piefke in Wien, der Schauspieler Heinz Reincke. Ich erinnere mich, als ich das erste Mal in einem Beisl war. Dort stand: ‚Sonntag geschlossen, Montag Ruhetag‘. Ich dachte: Was für eine originelle Stadt! und begann mich in Wien zu verlieben.“ Negative Kritiken brachten sie nie aus der Ruhe: „Ich habe gelernt: Das Wichtigste ist, dass dein Name in der Zeitung steht. Man soll nicht überschätzen, was so geschrieben wird. Die Neidgenossen sitzen überall, damit können wir umgehen.“
Blühende Energie
Das Judentum wurde in ihrer Familie nicht einmal mit einem Wort angesprochen. „Allerdings hatte ich eigentlich immer einen jüdischen Freundeskreis. Das Schicksal hat mich da am Bandl, ich konnte nicht anders. Ich habe wunderbare Menschen kennengelernt. Jetzt mache ich gerade eine Serie im Hörfunk über Männer, die man nie vergisst. Den Kreisler habe ich sofort vergessen.“ Das Schicksal brachte sie dann mit Karl-Heinz (Carlos) Springer, ihrem Lebensmenschen, zusammen, der vor sieben Jahren starb. Sie denkt gern an die schönen Erlebnisse und Begegnungen zurück, mit ihrem Lebenspartner, aber auch mit ihren langjährigen Freunden wie Peter Matic. „Man hat immer gesagt, da kommen unsere Workaholics. Aber das Gegenteil ist richtig. Ich liebe meinen Beruf. Er hält mich jung. Wichtig ist, normal zu leben und sich nicht gehen zu lassen. Es ist sehr traurig zu sehen, wie wenige Menschen mit dem Alter umgehen können. Viele Damen tragen Miniröckchen, obwohl es mit ihren Beinen gar nicht mehr zusammenpasst.“
Was sie für sich immer ausgeschlossen hat, sind Schönheitsoperationen. Dazu findet sich in ihrem neuen Buch Folgendes: „Liften hat sechs Buchstaben. Lachen hat sechs Buchstaben! Ein Lift symbolisiert das Liften. Er fährt vorübergehend nach oben, aber er kommt auch runter…“
Wenn man mit Topsy Küppers spricht, denkt man keine Sekunde an ihr Alter. Sie strahlt blühende Energie und Lebenslust aus. Auch dass sie nicht auf den Fototermin vorbereitet war, nimmt sie mit besonders viel Fröhlichkeit. „Ich bin keine, die sich anbietet. Das Wichtigste im Leben ist Gesundheit, ein offenes Herz, ein klarer Kopf und lachen können – über sich selbst.“
Zum Abschied gibt sie mir ein Zitat des von ihr verehrten Freundes Erich Kästner mit auf den Weg. „Die Erinnerung ist eine Macht, sie bildet den Menschen um. Wer das, was schön war, vergisst, wird böse. Wer das, was schlimm war, vergisst, wird dumm!“