Der berühmteste Trickfilmproduzent der Geschichte bewies eine zumindest mangelnde Distanz gegenüber dem Naziregime. Zum Nachteil gereichte Walt Disney seine erstaunliche Indifferenz nicht.
Von Gabriele Flossmann
Durchhalten! Wir werden siegen, wenn ihr alle dabei helft. Dieser Krieg ist euer Krieg! – Das waren die Botschaften, die Hollywood während des Zweiten Weltkriegs verbreitete, auf der Leinwand, in Comics, auf Panzern und Plakaten: Bambi in der Freiwilligenarmee, Micky an der Heimatfront. Die Mobilmachung der Vereinigten Staaten ließ nichts und niemanden aus, selbst Disneys Zeichentrickfiguren dienten der Kriegs- und Propagandamaschine. Walt Disney war im Jahr 1942 also unter denen, die den Amerikanern Mut machen wollten und sollten. Disney-Cartoons im Zweiten Weltkrieg wurden zur politischen Erziehung für die Bevölkerung – und für die Soldaten an der Front. Disney war mit seinen Cartoons in dieser Zeit gerne dicht dran am Militär.
Disney, geboren am 5. Dezember 1901 in Chicago, war ambivalente Vorzeigefigur des amerikanischen Traums und der dazugehörigen Traumfabrik. Aufgewachsen auf einer Farm in Missouri, begann er nach einem freiwilligen Einsatz als Ambulanzfahrer 1918 in Frankreich als Werbegrafiker zu arbeiten, ehe er sich in Los Angeles als Trickfilmer selbständig machte. Frühe Serien wie Alice in Cartoonland und Oswald the Rabbit waren zwar populär, jedoch wenig einträglich, da Disney die Filmrechte an den Verleiher abtreten musste. Erst mit der Erfindung der Micky Maus wendete sich das Blatt. Selbst kein begnadeter Zeichner, hatte Disney mit sicherem Gespür die besten Autoren, Zeichner und Techniker um sich geschart.
Deutsches Wahrzeichen
Aber wie tickte Walt Disney wirklich? War er, wie etwa von Meryl Streep einmal in einer Oscar-Rede behauptet, ein Rassist, der antisemitische Seilschaften unterstützte? Oder war er gar ein Freund der Nazis? Verbrieft ist zumindest sein Besuch in Hitlerdeutschland. Ein persönliches Treffen zwischen Walt Disney und dem Führer ist allerdings nicht überliefert, wohl aber Disneys Abstecher nach Neuschwanstein. Das bayrische Schloss König Ludwigs II. sollte zum Vorbild des Cinderella-Schlosses werden und zum Wahrzeichen des amerikanischen Disneyland.
Tatsache ist: Hitler mochte Disneys Filme, die im Jahr 1937 Teil eines „Weihnachtsgeschenks“ seines Propagandaministers waren. Goebbels hatte dem Führer amerikanische Filme besorgt, die in Nazi-Deutschland nicht gezeigt werden durften. Darunter waren – wie in Ian Kershaws Hitler-Biografie aufgelistet – 18 Micky-Maus-Filme. Da Hitler so großen Gefallen an den Zeichentrickfilmen fand, versuchte Goebbels daraufhin sogar, Disney auf seinem eigenen Terrain zu schlagen und animierte Kinofilme wenigstens für den europäischen Raum herzustellen, die es mit der Qualität der amerikanischen Produktionen wie Gullivers Reisen und Pinocchio aufnehmen konnten. Dem Unternehmen war trotz hoher Ansprüche, solider Finanzierung und einer riesigen Lehrwerkstatt, in der künftiges Personal ausgebildet wurde, kein Erfolg beschieden. Unter Leitung des von Goebbels persönlich eingesetzten Betriebsleiters Karl Neumann entstand mit Armer Hansi gerade einmal ein farbiger Kurzfilm: Ein entflogener Kanarienvogel erlebt in der Freiheit lebensgefährliche Abenteuer und ist heilfroh, am Ende wieder sicher im Käfig zu sitzen.
Bittere Ironie
Auch der Medienhistoriker Volker Koop nahm diese Ereignisse in sein Buch Warum Hitler King Kong liebte, aber den Deutschen Micky Maus verbot (2015) über die „geheimen Filme der Nazi-Elite“ auf. Zeichentrickfilme, deren Produktion damals gerade – vor allem in den Vereinigten Staaten – eingesetzt hatte, gehörten zum filmischen Unterhaltungsrepertoire der Nationalsozialisten. 1938 verkaufte Walt Disneys Bruder Roy bei seinem Deutschlandbesuch an das Reichspropagandaministerium eine Einzelkopie von Schneewittchen und die sieben Zwerge: Die erste Disney-Produktion in Spielfilmlänge hatte wenige Monate zuvor ihre amerikanische Premiere gefeiert. Es gab Ende der Dreißigerjahre sogar schon eine deutsche Synchronfassung. Sie wurde in Disneys Auftrag – bitterböse Ironie der Geschichte – unter der Regie des 1944 in Auschwitz ermordeten Kurt Gerron mit teils jüdischen Emigranten in Amsterdam hergestellt.
Sind all diese Puzzleteilchen Beweise für Disneys Sympathien für das Dritte Reich? Wohl kaum. Aber sie zeigen zumindest mangelnde Distanz und eine erstaunliche Indifferenz gegenüber dem Naziregime. So auch, dass er Leni Riefenstahl, Hitlers Lieblingsregisseurin, im Dezember 1938 trotz Hollywood-Boykotts empfing und höchstpersönlich durch seine Studios führte. Und dies, obwohl im Monat zuvor die Verbrechen der Novemberpogrome auch in den Vereinigten Staaten Schlagzeilen gemacht hatten. Zur damaligen Zeit hatten sich viele von Disneys Mitarbeitern – auch öffentlich – von rassistischen Bemerkungen ihres Chefs distanziert und ihm eine Nähe oder gar eine Mitgliedschaft in dem von der NSDAP geförderten „German American Bund“ unterstellt. „Goofy“-Erfinder Art Babbitt, einer von Disneys Spitzenzeichnern, der im Zorn aus der Firma geschieden war, behauptete jedenfalls, Disney und sein Anwalt Gunther Lessing hätten engen Kontakt zu Fritz Julius Kuhn, dem Führer des deutsch-amerikanischen Nazivereins, unterhalten. Bewiesen wurde das allerdings nie.
Tierische Streitkräfte
Das Bild wendete sich nach dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg. Disneys Zeichner gestalteten grafische Embleme für amerikanische Truppenteile: einen Moskito etwa, der auf einem Torpedo reitet, für die neuen Torpedoboote der Navy; eine kriegerische Krähe aus Dumbo – Der fliegende Elefant für ein Bombergeschwader; oder eine Schildkröte als Kröte mit einem Abwehr-Schild. Und Donald Duck, der ewige Loser, schreit „Heil Hitler!“ und reckt den rechten Arm zum Führergruß, am linken trägt er eine Hakenkreuzbinde. Im von Hitler regierten „Nutzi Land“ schneiden die „Nutzis“ selbst die Bäume zu Hakenkreuzen, und am Himmel ziehen Hakenkreuzwolken vorbeiziehen. „Nutzi“ klingt im Amerikanischen so wie das deutsche Wort „Nazi“. Donald steht an einem Fließband einer Fabrik. Die ihn bewachenden Soldaten treiben ihn an, Munition zusammenzuschrauben, immer schneller und schneller. Dabei muss er immer wieder „Heil Hitler!“ schreien, bis er wahnsinnig wird – und endlich aus einem bösen Traum erwacht: In einem weichen Bett, gehüllt in einen Schlafanzug mit weißen Sternen auf blauem Grund samt rotweiß gestreifter Hose – wie die Flagge der USA. 1943 kam der Film The Fuehrer’s Face in die Kinos und gewann danach auch den Oscar als bester animierter Kurzfilm. Neben Donald und Micky Maus sollten in der Folge auch Bambi und selbst Hund Pluto den Kampf gegen Nazideutschland aufnehmen. Grafiker, die sich auf das animierte Klimpern von Schneewittchens Kulleraugen spezialisiert hatten und dazu noch reizende Tiere zum Sprechen brachten, stellten ihre Künste in den Dienst der amerikanischen Streitkräfte. Viele Soldaten schmückten Spinde und Tanks mit Mickys, Donalds und Plutos. Am D-Day soll „Mickey Mouse“ sogar ein Passwort unter den alliierten Streitkräften gewesen sein.
In den Jahren 1942/43 produzierten die Disney-Studios fünfmal mehr Filme als in besten Friedenszeiten. Da Walt Disney aber nach dem Krieg in Europa und damit auch in Deutschland und Österreich ungestört seinen Geschäften nachgehen wollte, ließ er seine Durchhalte-Filme und Cartoons im Archiv verschwinden. Donald Duck musste deshalb viele Jahre auf eine Auszeichnung für seine Kriegsdienste warten: Erst 1984 wurde er zu seinem 50. Geburtstag von der US-Armee zum Unteroffizier befördert und ehrenhaft aus dem Militär entlassen.