Als oftmaliger Gast in Salzburg sammelte Michael Heltau nicht nur als Schauspieler und Rezitator einige Erfahrungen. Ein Gespräch über seine Freundin und Mentorin Helene Thimig, einen funktionierenden „Jedermann“ und warum er den Namen Reinhardt oft genug gehört hat.
Der Ort für ein Gespräch in Zeiten von Corona ist nicht leicht zu finden. Man trifft sich am besten im Freien. In Michael Heltaus Garten zu sitzen ist ein Privileg. Eine Idylle mitten in Salmannsdorf mit einer besonderen Geschichte. Es ist ein Haus, das sich in die Gegend fügt, so Heltau. „In der Umgebung gibt es ja viele Bauten, wo man nur noch Auweh sagen kann.“
Man müsse dorthin kommen, wo der Speer liegt, zitiert Michael Heltau seine Lehrerin, Mentorin und Vertraute Helene Thimig. Und der Speer lag genau hier, als Heltau Anfang der 1970er Jahre das Grundstück zum ersten Mal besichtigte. Leisten konnte er es sich nur durch den Verkauf seines Bauernhauses in Tirol. Das wiederum hatte er durch seine ersten Gagen finanziert und liebevoll hergerichtet. Gemeinsam mit Helene Thimig und seinem vor zwei Jahren verstorbenen Partner, dem holländischen Schauspieler, Autor und Regisseur Loek Huisman, arbeitete Heltau zwei Jahre lang an dem Entwurf und der Umsetzung des Hauses. Durch die gemeinsame Fantasie der drei Künstler entstand ein ganz besonderes Gebäude. Helene Thimig hatte durch ihre Ehe mit Max Reinhardt und das Leben in Schloss Leopoldskron den Reinhardt-Wahnsinn eingebracht, wie Heltau erzählt. „Man braucht doch einen Raum, wo Gesellschaften stattfinden können“, hätte die Thimig gesagt. Worauf er, so Heltau, mit der Gegenfrage antwortete, wie man es wohl zu dritt aushalten werde. Thimig, nie um eine Antwort verlegen: „Wir werden leben wie die Katzen. Aufeinander steigen, aber einander nicht weh tun.“
Nur einmal sei es laut geworden. „Es waren immer so viele Journalisten da, und einmal habe ich gebrüllt: ,Ich kann den Namen Reinhardt nicht mehr hören.‘ Und Helene hat ganz ruhig gesagt: ,Aber ich doch auch nicht!‘“ Dennoch blieb Reinhardt ständiger Gesprächsstoff und ist es auch bei unserem Treffen.
Zwei großzügige Männer
Obwohl er Reinhardt, der 1943 in der amerikanischen Emigration starb, nicht persönlich kannte, blieb er für Michael Heltau durch seine enge Beziehung mit Helene Thimig immer präsent.
Die Salzburger Festspiele, bei denen Heltau immer wieder auftrat, sind für ihn die Erfindung der beiden genialen Künstler Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal. „Salzburg wäre heute noch ein Provinznest, ein explodiertes Hintertupfing, wenn diese beiden Männer nicht diese grandiose Idee gehabt hätten. Vor allem die Idee des Jedermann auf dem Domplatz. Das funktioniert. Jeder aus dem Publikum holt sich irgendetwas, auch wenn Sie sagen: ‚Das Stück, diese katholische Geschichte, ist grauenhaft.‘ Aber wissen Sie, was mir so gefallen hat, das waren diese Jedermann-Rufe.“
Die Festspiele könnten nirgendwo anders stattfinden und wären ohne Reinhardt und Hofmannsthal unvorstellbar. Diese Idee zweier Männer, zweier jüdischer Männer, zweier sehr großzügiger Männer, den Domplatz zu bespielen, war wegweisend. Jedermann am Domplatz, die simple Geschichte mit dem Holztisch, das funktioniert bis heute – „Und es wird auch in Zukunft funktionieren.“
„Helene Thimig hat mir erzählt, dass im Haus der Feuchtwangers oft Künstlertreffen stattfanden: ,Bruno Walter, Thomas Mann, alle da. Und wir haben alle nur über Theater geredet. Wie wird das sein, wenn dieser Spuk vorbei ist? Dann werden wir alle wieder dort sein. Was geschieht mit dem Jedermann? Nur nicht dran rühren.‘ – Das ist so gescheit, obwohl ich selbst mit der Geschichte nie etwas anfangen konnte.“
Max Reinhardt sah die ganze Stadt als Bühne. Ständig entdeckte er neue Gebäude, die er als Theaterraum, als Kulisse nützen wollte. Im Gründungsjahr 1920 lag Salzburg auf dem Boden. Glanz muss her! – Das war Reinhardts Rezept.
„Sie haben nicht das Geld im Sinn gehabt, Hofmannsthal und Reinhardt wollten damit nicht verdienen“, vermutet Heltau und erzählt von einer Lesung, bei der er Hofmannsthals Reden bei den Salzburger Festspielen vortrug: „Hofmannsthal schrieb engagierte Reden für Salzburg. Er wollte Theater für alle anbieten, wirklich demokratisch. Das Motto war: nicht hinunter-, lieber hinaufschauen. Reinhardt und Hofmannsthal konzipierten die Salzburger Festspiele nicht für eine Elite, sondern für alle: zu diesem Zeitpunkt eine außerordentliche Idee.“
Max Reinhardt habe den Menschen die Augen für diese Stadt geöffnet, auch wenn bei der Oper Arturo Toscanini ausschlaggebend war. Heute habe bei den Festspielen die Musik den größeren Nimbus, die größere Bedeutung: „Sie kostet mehr und bringt mehr, das war damals anders.“
Keine Stars ohne Publikum
Mit Thimig verband Heltau eine Herzensbeziehung, mehr noch: eine Verehrung. Etwas Merkwürdiges, das er lange nicht begriff: „Ich bin ja ein eigenartiges Zeitschicksal. Ich kam 1938 mit fünf Jahren aus Bayern nach Seewalchen am Attersee. Ich musste nach Gmunden ins Internat, dort waren lauter Nazis, grauenhaft. Das Arge ist: Ich habe nie einen intelligenten Nazi getroffen, denn es gibt keinen. Was soll man da ändern? Den Horizont? Als der Krieg zu Ende war, wurden wir ausgewiesen. Wir mussten wieder nach Ingolstadt. Ich bin bald danach nach Wien ans Reinhardt-Seminar. Helene war meine Lehrerin, ab da ist es immer bergauf gegangen.“
1968 befand sich Heltau mit anderen Schauspielern auf Welttournee, unter anderem auch in den USA, Kanada und Israel. Auf dem Programm stand Der junge Goethe, alle Emigranten sind gekommen, mit einem Schulbuch, einem Reclam-Heftchen mit Goethe-Texten. Noch heute treibt ihm die Erinnerung Tränen in die Augen. Und er erinnert sich an Helene Thimig, die sagte: „Es fällt leicht, ein paar Schauspieler zu bedauern, die wegmussten, aber es fehlt auch das jüdische Publikum. Das Publikum hat die Stars erst zu solchen gemacht.“
In der Josefstadt habe er nicht nur dieses jüdische Publikum noch erlebt: „Es war die Mischung. Und die Künstler waren lauter Persönlichkeiten, Max Reinhardt oder Hans Moser. Heute weiß man selbst am Burgtheater nicht, wie die Schauspieler heißen, auch wenn sie oft länger als fünf Jahre da sind.“
Apropos Persönlichkeiten: „Ich hätte da eine Idee, die weit über Österreich hinausreichen würde. Mein Vorschlag: Machen wir Edmund de Waal zum Kulturminister. Das wäre doch etwas!“