Das malerische Kärntner Städtchen Villach geht dem vertriebenen jüdischen Leben nach. Eine Ausstellung im Zentrum der Stadt und ein Buch setzen sich mit dem Thema Antisemitismus und NS-Judenpolitik auseinander und rufen ins Bewusstsein, wie stark Jüdinnen und Juden die Kärntner Gesellschaft geprägt haben und vor allem den Tourismus für Kärnten entdeckt und aufgebaut hatten. Zur Eröffnung kamen Kärntner Jüdinnen und Juden, bzw. deren Kinder, die heute überall leben, nur nicht mehr in Kärnten.
VON DANIELLE SPERA (TEXT) UND GERHARD MAURER (FOTOS)
Der Bamberg-Saal im früheren Parkhotel Villach war brechend voll, bis auf die Straße standen interessierte Gäste, die am Festakt zur Eröffnung der Ausstellung teilnehmen wollten. Auf dem Weg dorthin waren die 16 Ausstellungsstücke unübersehbar. Sie prägen derzeit das Zentrum von Villach. Auf hohen geöffneten Türen sind die Geschichten der Villacher Jüdinnen und Juden beschrieben, aufgestellt vor den Wohnorten der Vertriebenen. Auch die Täter werden genannt. „Die Türen stehen für Kommen und Gehen, aber auch für das ungebetene Eindringen in die Privatsphäre“, erklärt der Ausstellungskurator Werner Koroschitz. In akribischer Kleinarbeit hat er, ebenso wie der Verein „Erinnern“, 140 jüdische Familien ausfindig gemacht und deren Geschichte recherchiert.
Im besten Einvernehmen lautet der Titel der Ausstellung und des Buches. Mit diesen zynischen Worten umschrieben die Nazis die Plünderung und Enteignung der Villacher Juden, so als wären diese mit allem einverstanden gewesen. Dem erfolgreichen Rechtsanwalt Dr. Marcell Glesinger, im Ersten Weltkrieg hoch dekorierter Offizier, und seiner Familie wurde alles genommen, auch seine Kanzlei und sein Doktortitel. Unter abenteuerlichen Umständen gelang ihm und seiner Frau mit den beiden Kleinkindern die Flucht nach Palästina, wo Glesinger als Nachtwächter arbeitete, um seine Familie durchzubringen. Sein Sohn David, 1937 in Villach geboren, erzählt über die Kindheit in bitterer Armut: „Meine Schwester und ich haben uns immer gewundert, wenn wir gegessen haben und meine Eltern haben uns nur zugeschaut. Später habe ich begriffen, dass wir zu wenig Geld hatten, damit wir alle essen. Dennoch: Wir hatten Glück, wir sind am Leben geblieben!“ Bis heute lebt er in Tel Aviv und freut sich, dass seine vier Kinder alle Akademiker sind und in den USA und in Israel in der Forschung und Wissenschaft tätig sind.
Den Schleier des Vergessens abstreifen
Während im März 1938 noch viele nicht glauben konnten, was sie erwarten würde, gab es nach dem Novemberpogrom keinen Zweifel mehr. In Villach blieb kein einziger jüdischer Haushalt, kein einziges jüdisches Geschäft verschont. Möbel, Geschirr, Musikinstrumente wurden zertrümmert und aus den Fenstern geworfen, Wohnungen angezündet. Der heutige Villacher Bürgermeister Helmut Manzenreiter möchte endlich den Schleier des Vergessens abstreifen, daher sind ihm die Ausstellung und das Buch ein großes Anliegen.
Seit 1994 arbeitet der Verein „Erinnern“ daran, die verdrängte nationalsozialistische Vergangenheit der Stadt Villach ins öffentliche Gedächtnis zu rücken. 1999 ist ein Mahnmal entstanden, auf dem die Namen der ermordeten Villacher Juden aufgelistet sind. Mehrmals ist es bereits beschädigt worden. Mit der aktuellen Ausstellung hofft man, die Familiengeschichten der Villacher Juden so darzustellen, dass ihnen ihr Platz in der Geschichte wiedergegeben wird.
Die Familie Glesinger hat für die enteignete Kanzlei, die enteignete Wohnung, das zerstörte Leben keine Entschädigung von Österreich bekommen. Das sei ihm heute auch egal, sagt David Glesinger beim Festakt in Villach: „Heute stehe ich hier vor ihnen als stolzer Israeli, so wie mein Vater vor einhundert Jahren hier gestanden ist, als stolzer Kärntner und stolzer Österreicher.“ Für seine Rede erntet er standing ovations.
Werner Koroschitz, Alexandra Schmidt, Verein Erinnern Villach (Hg.)
Im besten Einvernehmen: Antisemitismus und NS-Judenpolitik im Bezirk Villach
Verlag Johannes Heyn, Klagenfurt 2014
272 Seiten EUR 34,–