Wer in der Millionenmetropole Kinshasa ein koscheres Huhn, Apfelstrudel oder Berner Würste sucht, wird hier fündig: Lokalaugenschein im „Hasson & Frère“, kongolesische Kaufhausinstitution mit jüdischen Wurzeln.
Von Stefan Maier (Text und Fotos)
„Expat“-Gemeinde und kongolesische Oberschicht wissen, dass Einkäufe in Kinshasa besser sonntags geplant werden. Im „Hasson & Frère“, dem modernsten Supermarkt von Kinshasa, wird samstags bis sieben Uhr abends pausiert, es gilt der Sabbat. Die kongolesische Kaufhausinstitution, inzwischen Teil eines international expandierenden Unternehmens, wurde in den Dreißigerjahren im damaligen Belgisch- Kongo von zwei jüdischen Geschäftspionieren und Brüdern, Léon und Acher Hasson, von der griechischen Insel Rhodos gegründet.
Dass der Sabbat mehr ist als bloßes Ritual, darauf legt Robby Israel, orthodoxer Jude und Geschäftsführer des Unternehmens, wert. Die Kundschaft soll daran erinnert werden, dass Konsum nicht alles ist. Der 11-fache Familienvater mit europäischen Vorfahren, der regelmäßig zwischen Brüssel und Kinshasa pendelt, schätzt das Leben im Kongo, die Kongolesen würden ihm vorurteilsfreier und respektvoller begegnen als Menschen in Europa. Seine Kinder wollte Israel allerdings nicht zu einem Kongo-Aufenthalt ermuntern, zu wichtig war ihm der Besuch von Talmudschulen für seinen Nachwuchs.
Von Konkurrenzunternehmen vorwiegend libanesischer und chinesischer Provenienz unterscheide sich „Hasson & Frère“ durch das Beharren auf die Einhaltung allgemeiner ethischer Prinzipien. Mit Eintritt in das Unternehmen unterzieht sich jeder neue Mitarbeiter einem Verhaltenskodex, dessen Ziel ist: Die Reifung zu einem „Mensch“, der ständig an sich selbst arbeitet, sich bildet und formt. Dies will Israel durchaus auch als Modellcharakter für die wirtschaftliche Entwicklung des Kongo insgesamt verstanden wissen: Nur durch beharrliches Bemühen um Integrität und Ehrlichkeit könne einem vielfach von kafkaesken Behördenläufen und fadenscheinigen Visiten geprägtem Geschäftsklima wirksam Paroli geboten werden.
Fragen zur jüdischen Identität und zum Beitrag der jüdischen Gemeinde im Kongo begegnet Israel mitunter knapp: Die emotionale Ungebundenheit an ein mit territorialen Grenzen abgestecktes Gebiet bezeichnet Israel als jüdische Eigenart und Schlüsselqualität. Vor diesem Hintergrund sei übrigens auch der Zionismus haltlos und dem Judentum entgegen laufend. „Was bedeutet es, heute Jude sein? Ich weiß es nicht.“ Israel, der betont, selbst keine Synagoge zu besuchen, will sich deshalb auch auf Schätzungen zur Größe der jüdischen Gemeinde im Kongo nicht einlassen. Jüdische Einflüsse hätten sich, so viel sei allerdings sicher, inzwischen im Kongo bis zur Unkenntlichkeit „vermischt“ und seien heute kaum mehr auszumachen. Einen ähnlichen Verlust von Spuren heutigen jüdischen Lebens hatte Israel bei einer Reise im vergangenen Jahr ins ehemalige Westgalizien seiner Großmutter erfahren müssen: Das jüdische Erbe habe er nur mehr an den Grabstätten ablesen können.
Religiöser Pluralismus wird in der Geschäftsdirektion des Firmenriesen großgeschrieben: Israels Stellvertreter ist Muslim, die Zusammenarbeit gedeihe, so Israel, ausgezeichnet. Um katholische „religiöse Animation“ nebst österreichischem Lokalkolorit im Dienste der Entwicklungshilfe kümmert sich wiederum Oberin Hilde, die im Supermarkt-Erdgeschoß eine Zweigfiliale des „Café Mozart betreibt“, in dessen Vitrinen sich Apfelstrudel, Krapfen und Sachertorten türmen. Noch sind nicht alle auf den Geschmack gekommen: Während das Schwarzbrot auf viel Anklang stößt, sei die Sachertorte, monieren die kongolesischen Verkaufsdamen, „viel zu süß“.
Die Verkaufserträge aus den Mehlspeisen fließen in die Finanzierung der ersten staatlich anerkannten Bäcker- und Konditorlehre im Kongo. 14 Absolventinnen haben gerade den dreijährigen Lehrgang bestanden, Praktika im Café Mozart und in anderen Konditoreien werden durch Kurse in Marketing, Buchhaltung und Informatik abgerundet. Siebzig Mädchen befinden sich derzeit in Ausbildung; 18 Internatsplätze für die sozial benachteiligsten Mädchen, viele von ihren Eltern als „Hexenkinder“ verstoßen, sollen in Bälde auf 35 aufgestockt werden.
Die Idee sei, erzählt Schwester Hilde, die seit 27 Jahren im Kongo lebt und als junge Ordensschwester eigentlich von einer Entsendung nach Brasilien träumte, aus der Not entstanden: Am Stadtrand von Kinshasa hat sie seit 1996 ein Schulungszentrum für Straßenkinder aufgebaut, das heute 2000 Jugendliche mit Kindergarten, Volksschule, Hauptschule und Gymnasium betreut. Es mangelte allerdings an Ausbildungsangeboten für jene, die die Matura nicht schaffen würden.
Die Hauptfiliale des Café Mozart, in dessen Hinterhof sich auch die Schulungsräume und das Mädcheninternat befinden, liegt wenige Kilometer von „Hasson & Frère“ entfernt, ein Ort, so Frau Hilde, „an dem sich kongolesische Spitzenpolitiker unter sich und sicher fühlen“. Bei Walzerklängen und Strauss-Melodien kommt die kongolesische Politprominenz gerne zum Frühstück oder zum Bier- und Weintrunk nach einem langen Parlamentstag vorbei. Kurz nach der Eröffnung zum Mozartjahr hat ein illustrer Politiker Frau Hilde gebeten, Getränke nicht offen zu servieren. Der Grund: Gezielte Lebensmittelvergiftungen haben im kongolesischen Politbetrieb durchaus Tradition. Seitdem werden Getränke im Café Mozart nur mehr vor den Augen der Kundschaft geöffnet.
Angesprochen auf die Zusammenarbeit mit Israel, erzählt die sonst eher sachlich wirkende Frau Hilde mit leuchtenden Augen von ihrem Lebensjahr in Jerusalem, eine wichtige Lebensstation und Inspirationsquelle. Inzwischen habe sie eine eigene Bibliothek über das Judentum zusammengetragen. Sie hegt „viele Sympathien für Juden“, denn „wir haben den Juden über Jahrhunderte so viel angetan“. An den Kongolesen gefällt der Innviertlerin vor allem deren Offenheit und Respekt vor älteren Menschen. Während sie sich in Österreich „wie in der Diaspora“ fühlt, sei im Kongo noch Platz für Religiosität. Demgegenüber tadelt sie einen „anderen Wahrheitsbegriff“, gepaart mit Unverlässlichkeit: „Im Lügen sind hier viele Weltmeister.“
Thomas von Axt wiederum sorgt im „Restaurant Cosmopolitan“ im ersten Stock dafür, dass die Mitarbeiter humanitärer Organisationen, Blauhelmsoldaten und Entrepreneurs zwischen Koordinationstreffen und Geschäftsterminen bekocht und unterhalten werden. Das joviale Schweizer Multitalent, dessen dünn geflochtenen Haarzopf manche Kongolesen mit einem Fetisch assoziieren, hat eine bewegte Vorgeschichte und kennt die Lebensnöte der Kongolesen aus nächster Nähe. Aufgewachsen an einem Hof in den Jura-Bergen, fühlt sich der Schweizer Mystiker bald als „schwarzes Schaf unter weißen“, nach Schulabbruch beginnt er eine Lehre zum Koch, mit anschließendem Militärdienst bis zum Offiziergrad. Früh zieht es ihn in die Welt, er bereist Indien, Ägypten, Israel, stets getragen von der „Liebe zur Askese“. Eine Begegnung mit einem deutschen Priester am Flughafen lässt ihn spontan sein Flugticket wechseln, er folgt einer Gruppe nach Indien, wo er drei Jahre in einem Kloster lebt und eine Milchwirtschaft ins Leben ruft.
Als seine Bewerbung zum Noviziat abgelehnt wird, kehrt von Axt in seine Ursprungsregion zurück, wo er eine Familie gründet, zwanzig Jahre als Gartenbauunternehmer verbringt und sich im Schweizer Verbandswesen engagiert. Erneut wird er von einem Suchdrang gepackt, möchte die westliche Konsumgesellschaft und ihre Saturiertheit hinter sich lassen und vorzugweise seinen Beitrag in einem Krisengebiet leisten. Ein Kongolese in der Schweiz stellt die nötigen Kontakte her, nach einem Kurzbesuch im kriegsgebeutelten Ostkongo läßt von Axt seine Gartenbaufirma in Konkurs gehen und arbeitet ab nun rund um die Uhr an seinem Projekt.
Von Axt schifft zwei Lastwägen voller Koch- und Gebrauchsutensilien an der Kongo-Westküste ein, am Hafen wird jedoch den Plänen ein jähes Ende gesetzt: Das Warengut verliert sich in den Händen der Zollbehörden, der Beginn eines Behördenmarathons, in dem sich der eigene Anwalt als Hauptinformant der Staatsanwaltschaft entpuppt. Die Sache ist derzeit beim Obersten Gerichtshof anhängig, von Axt klagt auf Restitution und Wiedergutmachung des erlittenen Schadens.
Aufgeben wollte der „Dickschädel“ deshalb noch lange nicht: Es folgte ein Jahr voller Entbehrungen und 40 Kilo Gewichtsverlust. Seine Hauptmahlzeiten bestehen aus Avocados und Bananen, der Sohn in der Schweiz schickt Geld vom notdürftig Gesparten an seinen Vater. Mit 45 Jahren fühlt sich der Schweizer wie einer jener afrikanischen Migranten, die vor der Wohlstandsfestung Europas stranden, bloß unter umgekehrten Vorzeichen. Für Medikamente zur Malariabehandlung fehlt das Geld, die gebrochene Zehe wird von der lokalen Alternativheilerin notdürftig mit der Zange zurechtgestreckt.
Die große Wende kam für den „religiös kooperativen Krieger des Lichts“ durch die Begegnung mit Robby Israel. Nach mehr als einem Jahr im Westkongo reist von Axt, mit nur einem Rucksack, zwei Hosen und Toiletteartikeln ausgestattet, auf der Flucht vor Kämpfen in die Hauptstadt. Zufällig erfährt er anlässlich eines Besuches bei „Hasson & Frère“ von Plänen, ein Restaurant einzurichten. Es gelingt ihm, einen Vorstellungstermin bei Israel zu bekommen. Israel schenkt dem langhaarigen Aussteiger mit kurzen Hosen und Wanderschuhen Vertrauen, gewährt ihm einen Kredit und macht ihn zum Koch und Eigentümer des „Restaurant Cosmopolitan“. 2009 wird von Axt mit der Verköstigung der SADEC-Staatschefs in Kinshasa betraut, ein veritabler Durchbruch, erst kürzlich hat er das Büffet für die deutsche Botschaft ausgerichtet.
An den Wochenenden arbeitet von Axt an der Gründung einer Fischereikooperative, erneut möchte er versuchen, „aus dem Nichts etwas zu machen“. Zum Abschluss erzählt von Axt stolz, dass so mancher kongolesische Gast seinen Berner Würsten besondere Anerkennung zollt und schon mal eine Extraportion für seine Familie mitnimmt.