Die Darstellung jüdischer Sexualität in Fernsehserien ist vor allem unter orthodoxem Gesichtspunkt eine Herausforderung. Doch was vormals unter den Teppich gekehrt wurde, ist nun populär.
Israel ist nicht nur zu einer Größe im internationalen TV-Geschäft geworden, auch große Streaming-Anbieter nehmen immer häufiger israelische TV-Produktionen ins Programm. So folgt Fauda, die erste israelische Netflix-Serie überhaupt, einer israelischen Undercover-Einheit auf der Jagd nach einem hochrangigen Hamas-Terroristen und erzählt den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern aus Sicht beider Seiten.
Doch besonders populär im israelischen Fernsehen sind Serien über die orthodoxen Juden des Landes, die selbst kaum ins Kino gehen und nur selten einen Fernseher besitzen. Die Themen liegen in dieser Hinsicht nicht gerade auf der Hand: Es geht um Beziehungen zwischen Mann und Frau, Erotik und Sexualität. Heiratsvermittler arrangieren sittsame Treffen im Café oder gemeinsame Spaziergänge, es vergehen mehrere Folgen bis zum ersten Date. Serienjunkies auf der ganzen Welt gefällt das. Ein Hauptgrund für den Erfolg ist, dass die Serienmacher Themen ansprechen, die in ihrem Heimatland lieber unter den Teppich gekehrt werden.
Notlügen helfen
Shtisel erzählt die Liebesgeschichte zwischen einem Ultraorthodoxen und einer geschiedenen Frau – ein Tabuthema unter den Strenggläubigen. Nachdem die ersten beiden Staffeln auf Netflix in den vergangenen Jahren weltweit ein Millionenpublikum bezirzt hatten, folgte 2019 eine dritte Staffel. Im Mittelpunkt aller Folgen steht der junge Rabbi Akiva Shtisel, der es im Leben und in der Liebe nicht leicht hat. Im Park hatte er mit der Mutter eines Schülers aus der religiösen Schule, in der auch er unterrichtet, einen angedeuteten Flirt. Sich mit der nicht mehr ganz jungen Frau einfach zu verabreden, wäre undenkbar. In der ultraorthodoxen Welt gibt es dafür Heiratsvermittler und -vermittlerinnen. Um seinen Vater Shulem von einem arrangierten Treffen zu überzeugen, muss der junge Rabbiner ein paar Notlügen einsetzen.
Die beiden Autoren Ori Elon und Yehonatan Indursky, mit ultraorthodoxen Wurzeln, zeichnen für die Storyline verantwortlich, die intime Milieukenntnis ist Shtisel anzumerken. Der echte Rabbi Akiva Weingarten lebt übrigens in Dresden, er fungierte am Filmset in Israel nicht nur als eine Art theologischer Berater, sondern auch als Sprachlehrer. Denn Jiddisch ist seine Muttersprache. Weingarten und seine Serienfigur haben einiges gemeinsam: Beide stammen als Rabbi aus ultraorthodoxen Familien, sind etwa gleich alt, beide malen und zeichnen gerne. Gleichzeitig gibt es natürlich auch große Unterschiede: Der fiktive hadert zwar mit der Ultraorthodoxie, lotet die Grenzen der strengen Regeln aus und probt den Aufstand gegen seinen Vater. Trotzdem scheint er nie ernsthaft zu erwägen, die Ultraorthodoxie zu verlassen. Der echte Akiva hingegen ist ein paar Jahre, nachdem er als Berater für die Serie fungierte, aus der Ultraorthodoxie ausgestiegen.
Beim Falschen gelandet
Auch in der amerikanischen TV- oder besser Webserie Soon By You geht es um komplizierte Blind Dates im jüdischen Milieu, in die man sehenden Auges hineinstolpern kann. In einer bezeichnenden Szene springt ein junger Mann namens David über die Rolltreppen der New Yorker U-Bahn, rennt dabei aus Versehen eine alte Dame und einen Hund um, erscheint aber letztlich einigermaßen pünktlich beim Blind Date. Das Essen mit der vielleicht Zukünftigen läuft gut, Sarah ist sympathisch, witzig, hat Verständnis für die Verspätung. Alles scheint wunderbar zu laufen, nur leider ist David nicht mit Sarah verabredet. Zumindest mit dieser Sarah nicht. Denn die junge Frau, die tatsächlich wie verabredet auf ihn wartet, sitzt an einem anderen Tisch im selben Restaurant. Sie heißt auch Sarah – und ist inzwischen mächtig genervt wegen der Verspätung. Das würde David wahrscheinlich gar nicht merken, liefe nicht auch das Gespräch mit der „falschen“ Sarah gründlich daneben. Denn die hat für den schöngeistigen Rabbinats-Studenten nicht wirklich etwas übrig. Sie glaubte, ein Blind Date mit einem netten Jura-Studenten zu haben. Doch der führt mit der anderen Sarah ein eher schleppendes Gespräch.
Leah Gottfried, Erfinderin und Regisseurin der Webserie, ist selbst im Alter ihrer Protagonisten, modern-orthodox und weiß offensichtlich über das Dating-Problem in der jüdischen Orthodoxie Bescheid. Sex vor der Ehe ist tabu, wer mit 26 noch keinen Mann oder keine Frau fürs Leben gefunden hat, fühlt sich von Eltern, Verwandten und den eigenen körperlichen Bedürfnissen unter Druck gesetzt.
Religiöse, wie man in Israel und den USA die Orthodoxen nennt, leben in einer völlig anderen Welt als nichtreligiöse Juden. Das betrifft vor allem Liebesangelegenheiten und Sexualität, aber auch die Einhaltung der anderen jüdischen Gebote. Doch auch Orthodoxe beschäftigen sich nicht permanent mit Beten und Religion, sie haben Sorgen im Job, Probleme mit der Erziehung, Streit in der Partnerschaft. Details wie diese machen den Erfolg dieser Serien zum Thema Orthodoxie aus, sie räumen bei Wettbewerben Preise ab und werden häufig mit Star-Aufgebot gedreht.
Alle reden dasselbe
Nicht gerade als Sex in the City kommt eine weitere israelische Comedy-Serie daher, die inzwischen auf DVD und bei Amazon abrufbar ist. Srugim ist quasi das orthodoxe Pendant zu den amerikanischen Friends: Sechs orthodoxe Singles sind hin- und hergerissen zwischen dem modernen Alltag Israels und der Tradition der orthodoxen Gemeinschaft. In einer Szene verabredet sich beispielsweise der junge Arzt Nati Brenner, der gerade auf eine Liste der zehn attraktivsten orthodoxen Junggesellen gesetzt worden ist, mit einer jungen Frau. Als er sich wegen seiner Verspätung entschuldigen will, unterbricht ihn die attraktive Sigalit: Sie wäre vor zwei Jahren auf der Liste der interessantesten orthodoxen unverheirateten Frauen sogar auf Platz eins gewesen – ein Albtraum! Nach fünfzig Dates sähen alle Männer gleich aus, vor allem redeten alle dasselbe. Und, ja, sie fände ihn zwar nett, aber es wäre der falsche Zeitpunkt, sich mit jemanden einzulassen, der gerade zu den begehrtesten Junggesellen zählt. Goodbye, das war’s.
Serien wie Srugim sind, ebenso wie Soon By You und Shistel, insofern ein interessantes Phänomen, als man Seifenopern auf Glaubensbasis üblicherweise weder einem uninteressierten nichtreligiösen Publikum zumuten will, noch religiösen Zuschauern, die sich womöglich durch solche Inhalte gekränkt fühlen könnten.
Der Erfolg dieser Serien liegt darin, dass sie ohne Polemik auskommen. Weder versuchen sie zu zeigen, wie verbohrt Religiöse sind oder sein können, noch versuchen sie, säkulare Israelis auf den angeblich rechten Pfad des Glaubens zu bringen.