In den Kinos ist der erste Spielfilm von Anja Salomonowitz angelaufen. Mit „Spanien“ ist der Regisseurin ein großer Wurf gelungen. Ein Streifen, der mit so starken filmischen Mitteln arbeitet, dass er sich einer verbalen Beschreibung nahezu entzieht. Der Rat kann nur lauten: Hingehen und anschauen.
Von Peter Menasse
Ein Film lässt sich nicht erzählen. Und wenn er denn doch erzählt wird, weiß der Leser noch immer viel zu wenig. Ein Film muss geschaut werden. Für „Spanien“, den ersten Spielfilm von Anja Salomonowitz gilt das in besonderer Weise. Ein Film mit einer suggestiven Bildsprache, mit Bildschnitten, die Bildskulpturen entstehen lassen, mit einer dichten, elegischen Musik und wunderbaren Schauspielern, mit Metaphern und Anspielungen, wie ließe sich das auf dem spröden Papier einer Zeitung umfassend beschreiben? Und doch muss es versucht werden. Dieser Film ist es wert.
Zwei Autos stoßen zusammen. Alle Insassen sind tot, nur aus einem der Wagen kriecht ein Überlebender. Er schnappt sich die Papiere eines der Toten und entfernt sich über die Felder. Sava, ein Flüchtling aus Moldawien hat viel Geld bezahlt, um nach Spanien geschleppt zu werden. Als er jetzt auf der Straße einen Pfarrer trifft und ihm hilft, sein kaputtes Moped zu reparieren, findet er heraus, dass er in Niederösterreich gelandet ist. Der Pfarrer gibt dem virtuosen Handwerker Sava Obdach und lässt ihn Möbel und Heiligenstatuen restaurieren. Den Plan, nach Spanien zu kommen, wird Sava jedoch konsequent weiter verfolgen. Er holt sich von den Schleppern Geld zurück, weil sie ihn nur bis Österreich gebracht haben und träumt von dem Land, in dem man gut leben kann: „Die Menschen dort fürchten noch Gott. Wo man Gott fürchtet, kann man gut leben“, sagt er dem Pfarrer aus dem Land, in dem die Menschen Fremde mit perfekter Bürokratie verfolgen, statt sich selbst dem guten Leben zu nähern.
In derselben Kirche arbeitet auch Magdalena als Restauratorin von Heiligenbildern. Aus einer sprachlosen Beziehung zwischen den beiden entsteht eine kurze Liebe in der alten, verfallenden Kirche, in der sich die Ameisen ihren Weg über Heiligenbilder und Barockmöbel suchen.
In ihrer Freizeit bestellt Magdalena Männer in ihre Wohnung, um sie als Modelle für Ikonenmalerei zu verwenden. Die Augen der fremden Männer sind das Markenzeichen ihrer Kunst. Ihr Ex-Mann Albert, ein Fremdenpolizist lässt ihr keine Ruhe. Er leidet unter der Obsession, endlich verstehen zu wollen, was sie an anderen Männern besser findet, was andere besser können als er. Er ist getrieben von dem Wunsch, geliebt zu werden. Tagtäglich schnüffelt er in Wohnungen von Ausländern und ihren österreichischen Partnern, um ihnen Scheinehe nachzuweisen. Wenn er der wahren Liebe begegnet, lässt sie ihn ratlos zurück. „Was sagst du zu ihr, dass sie dich liebt?“ Immer wieder fragt er das, in der Hoffnung, die ultimative Formel für das Glück zu erfahren, die er irgendwo im großen Buch des Lebens wähnt.
Und dann ist da Gabriel, der Kranfahrer, der von hoch oben auf die Welt schaut und über die Geschehnisse tief unter sich herrscht. Wenn er aber unten steht, zwingt ihn ein unwiderstehlicher Drang in ein Automatencasino. Je mehr er versucht, auch hier über das Schicksal zu bestimmen, umso mehr unterliegt er dem unerbittlichen Walten des blinden Spielgeräts. Er wird alles verlieren, er hat keine Chance.
Von einem langsamen Beginn weg kulminiert das Geschehen in immer schnellerer Abfolge hin zu einem Ende, das niemanden das bringen wird, was er sich erhofft.
Anja Salomonowitz hat bei diesem Film nicht nur die Regie geführt, sondern gemeinsam mit Dimitré Dinev auch das Drehbuch verfasst. Dinev, der selbst als 22-Jähriger aus Bulgarien nach Österreich ausgewandert ist und Salomonowitz, die sich dem Thema Fremdenrecht schon in ihren Dokumentarfilmen gewidmet hat, zeichnen ein dichtes Bild vom Schicksal der Menschen, die durch die Not nach Österreich getrieben werden. Wenn Albert, der Fremdenpolizist, Wohnungen betritt, sie nach Spuren gemeinsamen Lebens durchsucht, das Bad anpinkelt und verbale Gewalt ausübt, eröffnet sich eine Ahnung vom Wirken faschistischer Strukturen. Albert bestimmt, welche Ehe kaputt geht, er ist der jämmerliche Gott, der andere zerstört, weil er selbst zerstört ist.
Und so zeigt dieser Film, der mit wenigen Worten auskommt, der alles in ruhigen, rot-braun eingefärbten sprechenden Bildern vermittelt, wie ein kaputter Mensch den anderen vernichtet, wie keiner in Frieden leben kann, wenn rund um ihn Zerstörung herrscht.
Es gelingt wenigen Filmen, auch nur ein oder zwei Figuren zu einem glaubwürdigen Leben zu erwecken. In „Spanien“ werden alle vier Hauptdarsteller intensiv und plastisch. Magdalena, die ausschaut wie eine Heilige, zerbricht an ihren unerfüllten Wünschen und tut schließlich alles, um Savas Traum zu zerstören. Albrecht scheitert an seiner Ohnmacht, das Leben zu begreifen und rächt sich fortwährend an den scheinbar Glücklichen. Gabriel wird zwischen dem Glück in seiner kleinen Familie und dem Zwang, das Unbeherrschbare zu beherrschen, im wahrsten Sinne des Wortes zerrissen.
Sava ist der Fremde, der in diese zerstörte und uns doch so normal dünkende Welt tritt und sich aus ihr nicht befreien kann. Niemand kann sich dem System entziehen, es übernimmt die Macht über alle. Was er aber leisten kann, ist eine Sehnsucht aufzubauen: Die Sehnsucht nach einem Spanien, wo alles besser sein wird. Dimitré Dinev sagt dazu: „Diese Sehnsucht verändert die Welt und nicht die Vernunft, die immer an Grenzen stößt.“
So bleibt am Ende auch nur eines der vier Schicksale offen, das von Sava. Die Hoffnung stirbt zuletzt, in „Spanien“ wird sie ganz am Ende aufs Neue geboren.
„SPANIEN“ wurde erstmals bei der Berlinale 2012 gezeigt. Bei der Diagonale in Graz lief er als Eröffnungsfilm. Weitere Informationen unter www.spanien-derfilm.at
Besetzung:
Magdalena: Tatjana Alexander
Albert: Cornelius Obonya
Sava: Grégoire Colin
Gabriel: Lukas Miko
Regie: Anja Salomonowitz
Drehbuch: Dimitré Dinev und Anja Salomonowitz
Kamera: Sebastian Pfaffenbichler