Von Erwin Javor
Es liegen keine neuen Fakten auf dem Tisch. In Israel, das bekanntlich kaum größer ist als Niederösterreich, leben knapp unter acht Millionen Menschen, davon sechs Millionen Juden. Um Israel herum, in den unmittelbar angrenzenden Nachbarstaaten Jordanien, Syrien, Libanon, Ägypten und den palästinensischen Gebieten, leben rund 113 Millionen, darunter so gut wie keine Juden. Dazu kommen noch knapp 300 Millionen, die in den restlichen der insgesamt 22 Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga leben, darunter ebenfalls so gut wie keine Juden. Fällt Ihnen etwas auf? Nein. Gut. Dann weiter: Zählen wir noch den Iran dazu mit 75 Millionen Einwohnern.
Die iranische Regierung leugnet seit Jahren programmatisch den Holocaust, kündigt die Auslöschung der Juden an und steht kurz vor der Fertigstellung von Mittel- und Landstreckenraketen sowie der Atombombe – oder ist schon so weit. Der geistliche Führer des Landes, Ali Khamenei, sprach gerade unlängst wieder einmal von Israel als einem „Tumor, der entfernt werden muss“. Es erübrigt sich zu erwähnen, dass die Kombination von religiösem Fanatismus, säkularer Irrationalität auf Regierungsebene, grundlosem Hass, Atomwaffen und der eisernen Überzeugung, die einzige Wahrheit gepachtet zu haben, eine explosive Mischung ist.
Ja, all das ist eigentlich nichts Neues. Genauso wenig ist es neu, dass dieses „riesige“, für seine Nachbarn so bedrohliche Israel als militanter Aggressor dargestellt wird, der den Weltfrieden gefährdet und verhindert. Das ist schon so, seit die Juden begonnen haben, sich zu wehren und damit auch noch Erfolg hatten.
Zugegeben, seit dem Arabischen Frühling ist schon etwas neu, die junge Facebook- und Internetgeneration hat es gewagt und ist aufgestanden und hat sich für eine andere Politik, Kultur und Lebensweise ausgesprochen. Aber, leider, bei den daraus folgenden Wahlen in Ägypten hatten die Vertreter dieses jungen liberalen Aufschwungs nur circa zwei Prozent der Stimmen. Als die ungeplanten Nutznießer dieser Revolution stellen sich die radikalen Muslimbrüder und die noch radikaleren Salafisten heraus, die gemeinsam 75 Prozent der Stimmen gewannen. Das ist genau die Partie, von der der zu Recht abgesetzte Mubarak immer sagte: „Entweder ich oder die Muslimbrüder“, und er hatte leider damit recht, denn die neue dritte Kraft erwies sich als zu schwach, um wirklich einen Umschwung zu bewirken. Dadurch wackelt natürlich auch der Friedensvertrag mit Israel und die militärische Bedrohung wächst. Ja, auch das, militärische Bedrohung von den unmittelbaren Nachbarn, ist nichts Neues, die gibt es seit der Gründung von Israel.
Um nicht nur von den anderen zu reden, Israel bedroht sich traditionell auch selbst, nämlich durch Selbstüberschätzung: In einem lokalen Konflikt mit der Hisbollah 2006, die vom Iran zwar logistisch und militärisch unterstützt wurde – durch Waffenlieferungen, aber trotzdem aus israelischer Sicht nur ein marginales Scharmützel hätte sein sollen, ist es den Israelis über Wochen hin nicht gelungen, der Hisbollah eine entscheidende militärische Niederlage zuzufügen. Der Raketenregen aus dem Libanon führte dazu, dass eine halbe Million Israelis vorübergehend aus dem Norden in den Süden des Landes flüchten musste. Wenn es nicht einmal gelungen ist, einen überschaubaren lokalen Konflikt einigermaßen zu beherrschen, wieso glauben dann die Weltöffentlichkeit und sogar die Israelis selbst, dass sie Ahmadinedschad unter Kontrolle halten könnten?
Es irritiert mich selbst, aber obwohl sich aus langfristiger Perspektive eigentlich wenig an den Tatsachen und deren Wahrnehmung in der Weltöffentlichkeit geändert hat, habe ich jetzt, plötzlich, wirklich Angst. Lese ich vielleicht plötzlich die Zeitungen und ihre Online- Postings genauer als früher? Oder ist es, Gott behüte, eine Alterserscheinung?
Hoffentlich ist es das momentane Wetter, das ich nicht vertrage, weil das die einzige Variable ist, bei der die Chance besteht, dass sie sich in absehbarer Zeit positiv verändert.