Die antisemitische BDS- Kampagne verkleidet sich im Kostüm legitimer Menschenrechtsarbeit.
Es ist der letzte sonnige Samstag im Oktober auf der belebten Wiener Mariahilfer Straße. Vor dem Puma Store Vienna steht eine kleine Gruppe von Aktivisten. „Give Puma the Boot“ steht auf ihren Plakaten, darunter fordert der Hashtag #boycottpuma den Warenboykott. Der Grund: Puma sei „stolzer Sponsor der israelischen Apartheid“. Apartheid? Ansprechend gestaltete Infografiken klären über dieses dringende Problem auf. Am Tisch hängt eine müde Palästinaflagge.
Wer aber sind diese Aktivisten, die sich so sehr am Sponsoring des Israelischen Fußballverbandes (IFA) stören, jedoch kein Wort über die Unterstützung derselben Firma für den ägyptischen, katarischen, jordanischen oder chinesischen Fußball verlieren? Oder darüber, dass Puma auch das palästinensische Team Jerusalems, den Hilal Al-Quds Club, mit Sportkleidung ausstattet?
Die Aktivistengruppe auf der Einkaufsstraße ist Teil der internationalen Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“, kurz BDS. Am 26. Oktober protestierten die Ableger der Gruppe weltweit vor Puma-Geschäften, um der sportlichen Unterstützung der „Apartheid“ ein Ende zu bereiten. In London beispielsweise plakatierten BDS-Mitglieder das Puma-Apartheid-Plakat auf den U-Bahn-Werbeflächen.
An der Realität vorbei
Apartheid? Was würde darauf etwa die arabisch-israelische Fußballlegende Rifaat Turk entgegnen, den seine arabisch-israelischen und jüdisch-israelischen Fans „Jimmy die Rakete“ nennen? Als Nationalspieler hat er sein Land bei den Olympischen Spielen repräsentiert, als Politiker der israelischen Arbeiterpartei Meretz wurde er 2003 Vizebürgermeister in Tel Aviv.
Gerade der Fußball weist in Israel große Momente friedlicher Koexistenz auf. Für die heutige Nationalelf, die vom Österreicher Andreas Herzog trainiert wird, stehen zeitweise sechs arabisch-israelische Spieler auf dem Feld. Wenn Tore geschossen werden, liegen Fußballer aller Religionen und Ethnien aufeinander. Der Kapitän ist Bibras Natkho, ein tscherkessischer Muslim und Israeli. Den Sturm führt der muslimisch-arabische Israeli Munas Dabbur an. Im Tor steht Ariel Harush, der prominent gegen den Rassismus im Fanblock seines Klubs Beitar Jerusalem ankämpfte und deshalb 2014 aus diesem ausschied. Der Klub hat inzwischen die nötigen Konsequenzen gezogen, Programme für Toleranz entwickelt und eine juristische Kampagne gegen rassistische Fans umgesetzt. 2017 wurde er von Präsident Reuven Rivlin mit dem „Shield of Honor award for fighting racism“ ausgezeichnet.
Der Israelische Fußballverband IAF selbst unternimmt viel, um den Fußball fair zu gestalten und nahm etwa im Frühling am „Football vs Homophobia“-Monat teil. Kurt Wachter, Mitbegründer des europäischen Netzwerks „Football Against Racism in Europe“ (FARE) und Leiter der „Fairplay“-Initiative, bezeichnete auf Nachfrage von NU den IAF in Sachen Antidiskriminierungsarbeit als „progressiv“ und verwies auf die gute Zusammenarbeit mit dem Fußball-gegen-Rassismus-Programm „Kick it Out Israel“ (KIO) des New Israel Fund (NIF).
Alter Boykott, junger Staat
Solche Geschichten passen nun gar nicht in das Narrativ der Boykotteure und werden wie alle anderen Widersprüche, die das gelobte Land in seiner Vielfalt auszeichnen, schlichtweg ausgeblendet. Geschichtsfälschung wird nur selten mit Unwahrheiten betrieben – zumeist wird mit dem gefälscht, was man auslässt. Geschichte? Der Juden-Boykott ist älter als der Judenstaat. Im 19. Jahrhundert forderten französische Antisemiten im Fahrtwind der Dreyfus-Affäre einen solchen, etwa zur gleichen Zeit riefen Lokalzeitungen im palästinensischen Teil des Osmanischen Reiches gegen Geschäfte mit jüdischen Händlern auf. Der nationalsozialistische Judenboykott, also die soziale, kulturelle und ökonomische Vernichtung der Juden, welche der physischen Vernichtung voranging, wurde vom Palästinenserführer und Hitler-Freund Mohammed Amin al-Husseini adaptiert und gegen das vorstaatliche Israel in Anschlag gebracht. 1937 verlautbarte die Palestine Royal Commission: „There is little or no Arab shopping now at Jewish shops.“
Mediale Abenteuerlichkeit
BDS reiht sich trotz der Inszenierung als betont gewaltfreie NGO in diese Geschichte antisemitischer Boykotte ein und ist eigentlich auch keine NGO. Die Kampagne wurde 2005 gegründet und wird vom „Palestinian BDS National Committee“ koordiniert. Ein Blick auf die Website des Komitees verrät, dass auch die „National and Islamic Forces in Palestine“ zu dessen Mitgliedern zählen, darunter die radikalislamistische Terrororganisation Hamas, der Islamische Dschihad in Palästina und die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP).
Der geforderte Boykott soll nach BDS auf politischer, ökonomischer, kultureller und akademischer Ebene stattfinden. Gezielt wird daher nicht etwa – wie es für NGOs typisch wäre – auf die Rüstungsindustrie, sondern auf die gesamte Gesellschaft, auf die Wirtschaft, den Fußball, das Kino, die Musik und auf die Wissenschaften. Sind bei Konzerten, wissenschaftlichen Vorträgen, Filmscreenings oder Sportveranstaltungen Israelis dabei, dann ist mit Protesten zu rechnen, werden Veranstalter bedrängt und andere Künstler unter Druck gesetzt. Zunächst werden offene Briefe publiziert, für die sich auch immer jüdische Alibi-Unterschriften wie jene Judith Butlers finden (siehe Text von Stephan Grigat auf Seite 40, und wenn damit, wie zumeist, nichts erreicht wird, bauen die BDS-Aktivisten einen Proteststand vor dem Veranstaltungsort auf und verteilen Flugblätter. Gelingt der Eintritt, so wird die Veranstaltung mit einem Social-Media-Stunt gestört: Kamera einschalten und so lange „Apartheid“ schreien, bis das Sicherheitspersonal einschreitet. Anschließend wird das Video im Internet verbreitet. So funktioniert Spektakel. Hier ließe sich eine Analogie zum Aktivismus der Identitären Bewegung herstellen, verfügen doch beide Gruppierungen über keine Basis von nennenswerter Größe und versuchen deshalb, ihre politische Hetze über mediale Abenteuerlichkeiten zu vermarkten.
Diffamierung und Delegitimierung
BDS benennt drei konkrete Ziele der Kampagne: Das Ende der „Besatzung und Kolonisierung allen besetzten arabischen Landes“, das „Grundrecht der arabisch-palästinensischen BürgerInnen Israels“ und das „Recht der palästinensischen Flüchtlinge und ihrer Nachkommen, in ihre Heimat und zu ihrem Eigentum zurückzukehren“. Was auf den ersten Blick nach humanistischen Forderungen klingt, sind bei genauer Betrachtung gut kodierte antisemitische Forderungen, die mitunter den Untergang Israels beinhalten.
Das Ende der Besatzung wünschen sich auch viele Israelis, jedoch ist die Ausverhandlung endlos kompliziert und hängt zu nicht unwesentlichen Teilen von den arabischen Verhandlungspartnern ab. Kolonien hat Israel keine, nur „Siedlungen“ – unter diesem Begriff wird wirklich alles geführt, von der aus religiöser Motivation errichteten Wellblechhütte, die von der israelischen Armee wieder abgerissen wird, bis hin zu Jahrzehnte alten jüdischen Städten, die nach dem Oslo-Abkommen in zukünftigem israelischen Gebiet liegen, nach einem früheren Abkommen aber nicht. Die Verteilung von Gebieten ist seit jeher Gegenstand von Friedensverhandlungen, was von BDS zugunsten des antiisraelischen Evergreens vom „Siedler-Kolonialismus“ ignoriert wird.
Die zweite Forderung ist eine Donquijotterie und dient einzig der Diffamierung Israels. Israel ist eine rechtsstaatliche Demokratie und macht keine Unterschiede zwischen Juden, Muslimen, Christen, Drusen, Bahai – es zählt die Staatsbürgerschaft. 20 Prozent der Israelis sind palästinensische Araber, die mit zahlreichen Parteien in der Knesset und in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen vertreten sind. Rassismus und Diskriminierung von Minderheiten gibt es natürlich trotzdem – wo nicht?
Die dritte Forderung bildet den Umstand ab, dass die Nachkommen der während des Krieges 1948 Geflohenen und Vertriebenen noch in der vierten und fünften Generation in arabischen Flüchtlingslagern leben müssen: eine Situation, für die in erster Linie arabische Staaten wie Jordanien und Syrien verantwortlich sind. Die Palästinenser sind die einzige Menschengruppe, bei welcher der Flüchtlingsstatus vererbt wird, dafür sorgt eine gesondert eingerichtete UN-Flüchtlingsorganisation namens UNRWA. Das geforderte Rückkehrrecht bedeutet das Ende des jüdischen Staates, dessen Zweck in erster Linie die Selbstbestimmung und Sicherheit der Juden und Jüdinnen ist. Erhielten die Millionen Nachkommen der eigentlichen Flüchtlinge die Staatsbürgerschaft, wäre das ob der neuen demografischen Mehrheitsverhältnisse das Ende der jüdischen Selbstbestimmung. Freilich wissen die führenden Ideologen und Vertreter der BDS-Kampagne das.
Trojanisches Pferd
Das Gleichnis drängt sich geradezu auf: Mit dem Holz der NGO- und Bürgerrechtsarbeit verkleidet, wird eine Politik des Hasses versteckt in die ohnehin schon viel zu hässliche Debatte um den Nahostkonflikt gerollt. Infolgedessen polarisieren sich die Positionen umso dramatischer, und das zu Ungunsten jener NGOs, die tatsächlich Friedens- und Menschenrechtsarbeit leisten. Diese werden von der bedrohlichen Kulisse des BDS-Aktivismus verdeckt, der nur Einseitigkeiten kennt, und dem rechten politischen Lager in Israel wird überdies ein wunderbares Argument gegen NGOs geschenkt.
Die BDS-Poster zur vermeintlichen Unterstützung der Apartheid durch die Firma Puma auf Nachfrage wieder entfernen und sprachen von „Vandalismus“. In Wien fällt es BDS schwer, Veranstaltungsorte zu finden. Anrufen und Aufklären hilft oft, um den entsprechenden Stellen klarzumachen, dass BDS eine Hetzkampagne gegen den jüdischen Staat ist.
Das beste Mittel gegen trojanische Pferde ist jedoch, diese von vornherein nicht hereinzulassen. Die Stadt Wien hat 2018 entschieden, dass die antisemitische Kampagne keine Unterstützung und keine geförderten Veranstaltungsräume mehr bekommt, die Österreichische Hochschüler_innenschaft beschloss dies bereits 2017. Im Deutschen Bundestag kam es im Mai 2019 zu einer solchen Entscheidung, nachdem bereits auf Länder- und Städteebene vergleichbare politische Entscheidungen umgesetzt worden waren.
Spät, aber immerhin. Denn im angelsächsischen Raum, insbesondere an Universitäten, ist BDS weit weniger verschrien. Dort findet die Debatte jedoch insgesamt unter anderen Vorzeichen statt.