Rafael Rotter ist als jüdischer Eishockeyspieler eine Ausnahmeerscheinung im österreichischen Spitzensport. NU hat ihn besucht.
Von Fritz Neumann
Es könnte mehrere Gründe haben, warum Eishockey-Stürmer Rafael Rotter von seinen Freunden „Shlomi“ genannt wird. Shlomi ist kein schlechter Vorname, beispielsweise trägt ihn auch der israelische Fußballer Arbeitman, was wiederum kein schlechter Nachname ist. Auch an den Fußballer Arbeitman dachten Rotters Freunde bei der Spitznamensgebung, schließlich gilt Rotter auf dem Eis als „Arbeitsbiene“. Soll heißen, er ist stets mit vollem Einsatz bei der Sache. Der Vergleich mit Herrn Arbeitman (geb. 14. Mai 1985) ehrt ihn durchaus, immerhin führte der Kicker anno 2010 weltweit das GPM-Ranking an. GPM steht für „Goals per minute“, und Arbeitman hatte 2010 im Schnitt alle 64,17 Minuten in ein gegnerisches Tor getroffen.
Natürlich hat es vor allem einen Grund, dass sie Rotter „Shlomi“ nennen – sein Glauben. Als Jude fällt der 25-Jährige nicht nur speziell im österreichischen Eishockey, sondern generell im österreichischen Spitzensport ganz besonders auf. In jüngerer Vergangenheit hat sich ansonsten allein der jüdische Schwimmer Maxim Podoprigora bemerkbar gemacht, er tauchte 2001 gleichzeitig mit Markus Rogan und ebenfalls als WM-Zweiter auf, hat aber im Gegensatz zu Rogan daran kaum anknüpfen können. Bei der Makkabiade im Vorjahr in Wien war Podoprigora immerhin an zwei Staffel-Medaillen beteiligt. Die 13. Auflage der Europäischen Spiele war auch für Rotter unvergesslich, ihn hatte man dazu auserkoren, am 6. Juli auf dem Rathausplatz die Makkabi- Flamme zu entzünden. „Das war“, sagt er, „einer der tollsten Tage in meinem Leben. Eine riesengroße Ehre.“
Vielleicht ist Rotters Erinnerung daran auch deshalb so lebendig, weil sich danach die Anzahl der tollen Tage in einem überschaubaren Rahmen hielt. Der Stürmer der Vienna Capitals verletzte sich im September gegen Znojmo, es geschah im dritten Drittel des vierten Saisonspiels. Zwei Gegner checkten ihn, einer von hinten, der andere von vorne, das rechte Knie verdrehte sich als wie. Die Diagnose: Riss des vorderen Kreuzbands. Die Folge: Operation, acht Monate Pause. Während dieser Zeit war Rotter fast täglich im Fitnesscenter, seit kurzem trainiert er wieder auf Eis, die Ärzte haben grünes Licht gegeben, das Knie ist wieder voll belastbar. Die Capitals können Rotter, einen der besten heimischen Stürmer, gut brauchen, nicht wenige meinen, dass sie mit ihm zuletzt weiter gekommen wären als bloß ins Viertelfinale.
Zwei Gründe hat es, dass sich jüdische Spitzensportler hierzulande an einer Hand abzählen lassen. Sporterfolg durch Juden war den Nazis ein besonderer Dorn im Auge, die Verfolgung jüdischer Sportler umso brutaler. Es dauerte Jahre, Jahrzehnte, bis Vereine wie die Wiener Hakoah (hebräisch: die Kraft) wieder zu Kräften kamen, doch nie war daran zu denken, an frühere Erfolge anknüpfen zu können. Und wo Juden im Spitzensport keine Rolle spielen, schert sich der Spitzensport genau gar nicht um jüdische Gegebenheiten. Die allermeisten Sportveranstaltungen in Österreich finden an Freitagabenden und/ oder Samstagen statt – und schließen somit zumindest streng gläubige Juden von der Teilnahme de facto aus.
Als streng gläubig würde sich Rafael Rotter nicht bezeichnen. Als gläubig schon. Zumindest einmal im Monat ist er im Tempel anzutreffen, er begeht sämtliche Feiertage, reist zwei bis dreimal im Jahr nach Israel („zugegeben, vor allem zum Relaxen“). Und er hat seine Bar Mitzwa gemacht. „Das war vor allem meinem Großvater sehr wichtig.“ Auch deshalb hat Rafael ein Jahr lang gelernt zu beten, zu singen und zu lesen. „Singen wird nie meines sein.“ Ähnliches gilt für koscheres Essen, es würde Rotter vor große Probleme stellen, als Leistungs- und noch dazu Mannschaftssportler kann er sich oft nicht aussuchen, was auf seinem Teller liegt. Seit kurzem immerhin verzichtet er auf Schweinefleisch, sein bester Freund Abram „Avi“ Kihinashvili hat ihn dazu angehalten. Und wenn die Vienna Capitals also Spaghetti Bolognese essen, dann lässt Rafael die Sauce weg und isst Spaghetti on the rocks.
Alternative zum Eishockey wäre der Fußball gewesen, Rafael galt als sehr talentiert, kickte für Maccabi, die Wiener Austria interessierte sich bereits für ihn. „Aber im Eishockey hatte ich mehr Freunde, da war ich daheim.“ Nun steht er von September bis April zwei- bis dreimal die Woche zwecks Match auf dem Eis, und fast immer ist ein Match am Freitagabend dabei. In der National Hockey League (NHL), der größten und tollsten Liga der Welt, sind etliche Juden aktiv, doch auch die NHL kümmert sich nicht um den Sabbat. „Ich sehe meinen Glauben so streng, wie ich ihn sehen kann“, sagt Rotter. „Ich halte ein, was geht. Und ich bemühe mich, ein guter Mensch zu sein.“ Harte Bandagen auf dem Eis müssen da kein Widerspruch sein. An jene Aktion im Dezember 2010, als er einen Schiedsrichter umstieß, weil dieser ein schweres Foul an ihm nicht geahndet hatte, wird Rotter freilich nicht gern erinnert, er fasste 16 Spiele Sperre aus.
Seine jüdische Identität führt er im Grunde auf den Großvater zurück. Der Großvater sang im Chor in der Synagoge, und er führte in der Großen Pfarrgasse die erste koschere Fleischhauerei in Wien. Das Geschäft gibt es längst nicht mehr, und der Großvater ist vor einigen Jahren gestorben. Hinterlassen hat er ein Zinshaus im zweiten Bezirk, dort hat Rafael kürzlich eine Wohnung im fünften Stock bezogen. Seine Eltern wohnen im selben Haus, das habe Vorteile und Nachteile. „Die Vorteile überwiegen.“
Rotters Vater ist übrigens nicht Jude, sondern war, bis zu seinem Austritt, Katholik. An Rafael wird es liegen, ob sich die jüdische Linie seiner Familie fortsetzt, was ihn „sehr freuen“ würde, oder nicht. Er würde lügen, würde er behaupten, das beschäftige ihn nicht. Seit geraumer Zeit ist er solo, doch er legt es nicht unbedingt darauf an, ausschließlich Jüdinnen kennenzulernen. Sein Freundeskreis ist erstens vielschichtig, und zweitens definiert sich sehr viel über den Sport. „Eishockey ist mein Leben. Mein ganzer Tagesablauf ist darauf ausgerichtet.“
Die lange Saison, jeden Freitag ein Match, Spaghetti on the rocks. Daran muss sich eine Frau, egal welcher Konfession, erst einmal gewöhnen. Der Spitzname Shlomi wär ja nicht das Problem.