Jüdisch oder jüdisch inspiriert, koscher oder israelisch: ein Rundgang durch die Wiener Restaurantszene.
Wer in den achtziger, neunziger Jahren in Wien koscher, jüdisch und/oder israelisch essen wollte, hatte nicht gerade die Qual der Wahl. Freilich, es gab schon das koschere Restaurant Arche Noah in der Seitenstettengasse, aus dem nach einer Neuübernahme vor fünf Jahren Alef-Alef wurde. Dann eröffnete, ebenfalls in der Seitenstettengasse, Michael Feyer 1980 sein extracooles, megatrendiges Ma Pitom mit israelisch-levantinisch inspirierter Küche gegenüber der Synagoge, servierte Hummus und Pita – und war einer der legendären Mitbegründer des Bermudadreiecks. Das Ma Pitom gibt es mittlerweile leider nicht mehr. Doch kosher style ist hip, für jüdische ebenso wie für nichtjüdische Gäste. Weshalb die Zahl koscherer Lokale und solcher mit israelisch inspirierter Küche in den letzten zehn, fünfzehn Jahren rasant gewachsen ist. Daneben schossen koschere Supermärkte, Fleischhauer, israelisch-levantinisch-orientalische Fast-Food-Buden und Caterer aus dem Boden, und die koschere Vinothek Ferszt in der Taborstraße offeriert die flüssige Begleitung zum Menü: 120 verschiedene Weinsorten aus diversen Regionen und Ländern sowie Spirituosen und Fruchtsäfte.
Israelisch-jüdisch-levantinisch
Da ist einmal das shabby-schicke, im lässigen Industrial Design gehaltene Hungry Guy, das der aus Tel Aviv gebürtige und seit 1989 in Wien lebende, kochende und praktizierende Psychotherapeut Eyal Guy Anfang 2016 eröffnet hat, um Westeuropa und östlichen Mittelmeerraum zu einer nuancenreichen, multikulturellen Street-Cuisine zu verschmelzen. Unverputzte Ziegelwände, coole Musik, freundliches Personal (allen voran Guy-Junior Tom) – und vor allem echt gutes Essen. Bestellt wird an der Kasse, die Gäste werden geduzt und manchmal mit einem kulinarischen Gruß aus der Küche verdutzt. In der offenen Backstube und der Schauküche hinter der Bar bereiten Köche aus dem Irak, Italien, Jordanien, Israel, der Schweiz, Syrien, Deutschland und, natürlich, Österreich zum Beispiel Vegan-Burger mit gegrilltem Räuchertofu und Süßkartoffeln, Melone, roten Zwiebeln und Tahina (Sesam-Paste) zu.
Eine besondere Empfehlung verdient eine der Spezialitäten des Hauses, die auf einem Holzbrett angerichtete und mit Salat und Salzgurken reich garnierte Schawarma-Platte nach einem Originalrezept mit 13 Gewürzen für 14 Euro – was mehr als wohlfeil ist, denn die mit gegrilltem Hühnerfleisch gefüllten Fladenbrotröllchen reichen locker für zwei. Und dann gibt es, eh klar, alles, was das Fernweh nach Israel stillen könnte, köstlichen Hummus oder Falafel beispielsweise.
Wobei das Meat Lovers Falafel durchaus als Hungry Guy Signature Dish bezeichnet werden könnte: Die Bällchen aus frittiertem Kichererbsen-Püree kommen mit Rind, Lamm, Krautsalat, Tahina und knusprigen homemade Pommes frites auf den Teller. Fazit: Wirklich köstliches Essen in lässiger Atmosphäre – sso schmeckt Street-food..
Ein paar Straßen weiter, im Miznon, vermag der israelische Kochstar Eyal Shani nach Tel Aviv und Paris nun auch in Wien vor allem mit seinen verschiedenen Gemüsegerichten den Gaumen zu überraschen. Es gibt Karfiol, der als Ganzes im Ofen braun gebacken und anschließend mit Meersalz bestreut wird. Ein weiterer kulinarischer Hit ist der im Ganzen blanchierte Brokkoli-„Baum“, drei unterschiedliche Saucen gibt’s zu den Gemüsegerichten. Die Vorspeisen sind für den Preis zwar klein, aber köstlich. Überall, auch in der Auslage, liegt rohes Gemüse herum, die Köche begrüßen einen zu jeder Tageszeit mit „Guten Morgen“ und beraten auch gern bei der Menüauswahl. Die Speisekarten mit vielen Eintopf- und Gemüsegerichten sowie klassischen israelischen Pita-Variationen liegen an der Bar, hinter der sich die offene Küche befindet. Der Koch, der die Bestellung aufnimmt, fragt nach dem Namen, der später durch das Lokal geschrien wird: Signal dafür, dass das Essen fertig und abholbereit ist. Die Wiener Dépendance ist zwar ein wenig kleiner, bescheidener und auch nicht so authentisch wie die in Paris, aber eine interessante Erfahrung. Fazit: In dem etwas hektischen Restaurant mit dem Charme einer Kantine gibt es sehr gutes Essen, aber einen ruhigen Abend verbringt man eher woanders.
Das Café Eskeles im Jüdischen Museum Wien gibt es seit nunmehr sieben Jahren, seither hat sich das Museumscafé zu einem kulinarischen Hotspot entwickelt, die Küche wurde von Jahr zu Jahr kreativer. Neben dem Angebot an israelischen und osteuropäisch-jüdisch geprägten Speisen findet man hier die einfallsreichste vegetarische Küche, vor allem das Mittagsmenü, das Suppe und Hauptspeise beinhaltet und täglich wechselt: zum Beispiel Selleriesuppe mit Balsamico-Birnen, oder Fenchel-Orangensuppe, anschließend Linsen-Kürbis-Ananas-Curry mit Basmatireis oder Tortilla mit Zucchini-Feta-Laibchen und Gurken-Joghurt-Salat. Bei Salaten ist man hier überhaupt mit zahlreichen Variationen erfinderisch, und auch wer Burger liebt, kommt auf seine Kosten. Mindestens vier verschiedene werden angeboten, einer besser als der andere. Es empfiehlt sich, alle zu versuchen – allerdings nicht an einem Tag. Auf der Getränkekarte steht neben hausgemachter Limonana-Minzlimonade koscherer Wein aus dem Burgenland zur Auswahl.
Wer jetzt noch nicht satt ist, sollte die delikaten Kuchen oder Flodni ausprobieren – oder zu einer Jause wiederkommen. Zu Mittag ist die Vorreservierung ein Muss. Benannt ist das Café nach dem Bankier Bernhard von Eskeles, der mit seinem Compagnon Nathan von Arnstein 1823 das Palais in der Dorotheergasse 11 kaufte und für kurze Zeit auch Besitzer der Liegenschaft blieb. Die Ehefrauen von Arnstein und Eskeles, Fanny und Cäcilie, waren nicht nur Schwestern, sondern gehörten als Salonièren zu den wichtigsten Frauen ihrer Zeit. Im Salon stand zwar nicht das Essen, sondern die Zusammenkunft als solche im Mittelpunkt. Doch gab es immer auch Speisen und Getränke. Beide Damen hätten sich sicherlich glücklich geschätzt, wenn das Catering vom Café Eskeles und seinen Betreibern Eleonora und Vojtech Goldstein geliefert worden wäre.
Das Polarlicht am Himmel der orientalisch/israelischen Küche in Wien hat sich mit mittlerweile drei Lokalen seinen Ruf als das Falafelrestaurant schlechthin verdient. Das Maschu Maschu ist eines der wenigen Lokale in Wien, das den Spagat zwischen Takeaway und einem gemütlichen Ambiente hinkriegt, was dem Ganzen ein gewisses Großstadtflair verleiht. Falls man es schafft, für Mittag einen Tisch in der Filiale in der Neubaugasse zu ergattern, merkt man schnell, dass die Pita mit Falafel – sowohl zum Mitnehmen als auch auf einem Teller serviert – absolute Renner sind. Eine Spezialität ist der Melanzani-Salat, Pita mit extra viel Melanzani und Rotkraut eine besondere Delikatesse. Zudem gibt es auch erfrischende hausgemachte Limonana. Das Preis-Leistungsniveau ist relativ ausgeglichen – sowohl für eine Pita für den Hunger zwischendurch als auch für die Hauptspeisen. In der Neubaugasse verfügt Maschu Maschu mit seinem riesigen Schanigarten über den nötigen Platz. Wer es im Winter eher gemütlich mag, ist hier aber ebenfalls gut aufgehoben. Fazit: Wer knusprige Falafel mag und keine Berührungsängste mit der orientalischen Küche hat, wird sich wohl fühlen und kann sich zu (fast) jeder Stunde an raffinierten Würzsaucen erfreuen.
Trendsetterin dieses Booms war und ist zweifellos Haya Molcho, geboren in Tel Aviv, verheiratet mit dem berühmten Pantomimen Samy Molcho, mit dem sie viele Jahre durch die Welt gondelte, ehe sie in Wien sesshaft wurde. Und schließlich mit 45 Jahren den Sprung in die Selbstständigkeit wagte, 2009 ihr Lokal Neni am Naschmarkt eröffnete und mit drei ihrer vier Söhne zu einem Gastronomie-Imperium ausbaute (siehe auch: „Unterwegs mit Nuriel Molcho“, Seite 33). Food-sharing, gemeinsam an großen Tischen sitzen, zum Frühstück Haya’s Bureka oder Rote Shakshuka essen, sich mittags oder abends durch die Mezze kosten, Sabich, eine Streetfood-Spezialität aus Israel, oder den Jerusalem-Teller probieren und zum Nachtisch Knafeh (gebackener Kadayif, Mozzarella, griechisches Joghurteis, Pistazien) genießen: das Neni-Konzept war für Wien eine Lokalrevolution. Fazit: unübertroffener Naschmarkt-Klassiker für jeden Geschmack.
Schon zwei Jahre vor Neni eröffnete übrigens Eli Kaikov sein Tewa am Naschmarkt, 2010 folgte Tewa Karmelitermarkt. Der Name ist Programm, Tewa bedeutet auf Hebräisch soviel wie Natur, sämtliche Zutaten und Getränke der international-orientalisch-mediterranen Küche stammen aus hundertprozentig kontrolliertem Anbau und, wenn möglich, aus der Region. Frühstückskreationen, etwa mit Wachtelbohnen, Käsebörek oder Shakshuka, gibt es für Langschläfer übrigens bis vier Uhr nachmittags, besonders erfrischend ist das Mango-Lassi. Fazit: Wohlschmeckende Küche für Öko-Bewusste.
Das Alef-Alef direkt neben dem Stadttempel ist ein sogenanntes alteingesessenes koscheres Restaurant. Wobei „alteingesessen“ hier alles andere als negativ besetzt ist. In dem früher als Arche Noah firmierenden Restaurant bekommt man mit viel Liebe hausgemachte, traditionelle jüdische Küche. Nach dem Umbau und der Übernahme des Lokals durch Shalom Bernholtz und Eddie Ferszt vor fast fünf Jahren herrscht eine angenehme, familiäre und heimelige Atmosphäre.
Zumindest einer der beiden Betreiber ist immer anwesend und sorgt dafür, dass sich die Gäste willkommen fühlen. Schon der Auftakt des Essens ist ein erster Höhepunkt. Israelische Vorspeisen und Salate sind so vielfältig und schmackhaft, dass man sich zurückhalten sollte, damit man auch noch die weiteren Gänge unterbringt. Spezialität des Hauses ist gefilte Fisch. Das Rezept stammt noch vom früheren Pächter, zubereitet wird das Gericht seit vielen Jahren von einem polnischen Koch, der sich darauf spezialisiert hat. Der Hummus ist mindestens so gut wie in Jerusalem, die gegrillten Melanzani grandios, wie auch die Mazzekneidlsuppe oder der herrliche Apfelstrudel. Ganz zu schweigen vom Schnitzel oder dem Rindsbraten, der allerdings nicht immer auf der Karte steht.
Tipp: An einem Freitagabend erlebt man im Alef-Alef neben dem kulinarischen Genuss auch ein Stück jüdischer Tradition. Segenssprüche über Brot und Wein werden gesprochen, oft wird gesungen. Reservierung ist unbedingt erforderlich, und bitte im Vorhinein zahlen. Ab Schabbateingang dürfen keinerlei Geschäfte gemacht werden. Fazit: beste koschere Küche.
Unweit des Karmelitermarkts befindet sich das Mea Shearim mit Koscher-Zertifikat, gegeben durch Rabbiner Benjamin Aminov. Hier setzt man auf moderne Küche und modern-kühles Interieur mit fernöstlichem Schwerpunkt. Vielleicht ist ein verregneter, kühler Novembermittag nicht der am besten geeignete Zeitpunkt für einen Besuch, wenn die Tagessuppe, weil nicht vorhanden, ihrem Namen keine Ehre macht und die Espressomaschine sich schon länger in Reparatur befindet. Dafür wärmen die chinesische Hühnersuppe und Genmai-Tee. Die Speisekarte dominieren Sushi- und Maki-Variationen, Fisch, Huhn, Reis und Nudeln in gebratener Form sowie Rind als Steak (letzteres um 29 Euro). Spezialität sind die nach wie angesagten Rolls mit Lachs (alle um die 10-15 Euro).
Für den großen Hunger oder größere Gesellschaften erweisen sich Kombinationen wie der King Salmon Mix als zweckdienlich, die man dann aber auch gemeinsam zahlen sollte (70 Euro). Fazit: Wer auf die Größe der Portionen Wert legt, wird das Mea Shearim jedenfalls glücklich verlassen, zu den wirklich guten asiatischen Lokalen der Stadt besteht noch Luft nach oben.
Ein Klassiker mit Koscher-Zertifikat vom Sefardischen Kaschrutkomitee ist das Bahur Tov („Guter Junge“), seit Jahren ein Fixpunkt im jüdischen Wien. Serviert wird im plüschigen Ambiente ein bunter Mix aus klassisch israelischen, asiatischen und Wiener Gerichten wie etwa Hühner-, Rind- oder Lammspieße, Falafel, Hühnerschnitzel, usbekische Shurpa-Suppe, mongolische Nudeln und chinesisch inspirierte Acht Schätze. Es ist das koschere Restaurant, auf das sich alle einigen können. Sei es ein entspanntes Mittagessen oder doch eine größere Feier – jeder war mindestens einmal dort, meistens aber öfter.
Das ermöglicht die räumliche Teilung in zwei Hälften. Vorne beim Eingang, mit Blick auf die geschäftige Taborstraße, befindet sich eine offene Küche mit einem durchgehenden Restaurantbetrieb à la carte. Im hinteren Bereich werden vor allem große Geburtstagsfeiern oder Bat und Bar Mizwot zelebriert. Das Bahur Tov besticht durch die vielfältigen Variationen der koscheren Küche, besonders großer Beliebtheit erfreuen sich aber die Grillspieße und der Pilaw (auch Plow genannt). Die seit einiger Zeit angebotenen asiatischen Speisen kommen bei den Gästen dem Vernehmen nach besonders gut an. So findet sich neben Lammschaschlik und Falafel auch chinesisches Gong Bao auf der Speisekarte. Was dem Chef am liebsten ist? Eigentlich alles, meint er wenig überraschend. Wer dachte, dass koscheres Essen nicht schmeckt, darf sich hier eines Besseren belehren lassen! Die Preise mögen zunächst etwas hoch wirken, doch der geübte Koscher-Esser kommt auf seine Kosten.
Und zwar ordentlich. Fazit: Hier wird jeder satt und die Qualität der traditionellen Speisen kann sich sehen lassen. Ein Ort also, den wir nicht missen wollen! nu
Hungry Guy, Rabensteig 1, 1010 Wien
Miznon, Schulerstraße 4, 1010 Wien
Maschu Maschu, Neubaugasse 20, 1070 Wien
Neni, Naschmarkt 510, 1060 Wien
Tewa, Naschmarkt 672, 1060 Wien
Alef-Alef, Seitenstettengasse 2, 1010 Wien
Mea Shearim, Schmelzgasse 3, 1020 Wien
Café Eskeles, Dorotheergasse 11, 1010 Wien
Bahur Tov, Taborstraße 19, 1020 Wien