Das Burgenland macht mit einer Reihe von lokalen Initiativen zur Vergangenheitsbewältigung von sich reden. Das Bewusstsein im Land habe sich verändert, sagen die einen – Einzelinitiativen, der Großteil setze immer noch auf Verdrängung, meinen die anderen. Petra Stuiber begab sich auf Spurensuche.
Von Petra Stuiber
Jetzt ist schon wieder etwas passiert im Burgenland. Nichts Riesiges, kein „Meilenstein“. Eher könnte man von Mosaiksteinen sprechen, die vielen Burgenländern und Burgenländerinnen seit kurzem nicht mehr entgehen. Sie bemerken – in Deutschkreutz, Frauenkirchen, Mattersburg, Sauerbrunn, Oberwart –, wie reich an jüdischer Geschichte und jüdischem Erbe sie eigentlich sind. Und sie sind offenbar bereit, dieses Erbe freizulegen, für nachkommende Generationen zu bewahren – und den Vertriebenen und Ermordeten endlich das Gedenken zukommen zu lassen, das ihnen zusteht.
Vergangenheitsbewältigung im Burgenland
Schließlich war das Burgenland, jenes Land, das über Jahrhunderte die sieben heiligen Gemeinden beherbergte, ein wichtiges Zentrum jüdischen Lebens und jüdischer Gelehrsamkeit. Die Esterházy’schen jüdischen Gemeinden, Eisenstadt allen voran, waren bedeutende Stätten hoher jüdischer religiöser und Schultradition. Juden standen jahrhundertelang unter dem allerhöchsten Schutz der Fürsten Esterházy, und gerne verbreitete man in der Zweiten Republik den Mythos, hier habe das Zusammenleben zwischen Juden und Nichtjuden völlig friktionsfrei funktioniert. Dass dem wohl nicht so gewesen sein kann, beweist allein die Tatsache, dass das gesamte Burgenland bereits 1938 „judenfrei“ war, wie viele Bürgermeister den Nazis stolz vermeldeten – in Frauenkirchen sogar schon zwei Tage vor dem „Anschluss“. Auch in Mattersburg, dem geistigen Zentrum der Orthodoxie, hisste der Bürgermeister stolz die weiße Fahne. Und ehe das Nazi-Regime 1945 zusammenbrach, wurden hunderte KZ-Opfer auf Todesmärschen in Richtung Westen umgebracht.
Jahrzehntelang tat sich kaum etwas in Sachen Vergangenheitsbewältigung im östlichsten Bundesland – wie auch in allen anderen Teilen Österreichs. Zwar konnte man sich schon 1970 rühmen, dass Hugo Gold sein berühmtes Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden des Burgenlandes publizierte – und 1972, dass in Eisenstadt das erste jüdische Museum nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurde: Doch nach diesem offensichtlichen Kraftakt, unterstützt vom studierten Neufelder Historiker und späteren Bundeskanzler Fred Sinowatz, passierte wenig bis gar nichts.
Das ist seit kurzem anders: Kleine, lokale Initiativen sind in den burgenländischen Städten und Dörfern entstanden, die zusammen, Stück für Stück, einen Umdenkprozess zeigen, der quasi von den Wurzeln langsam hinaufwächst. Das meinen zumindest die Einen.
Sie verweisen etwa auf die Initiative „Heimathaus“ in Mattersburg, die ein zeitgeschichtliches Heimatmuseum werden soll, oder das Buch von Gertraud Tometich über das jüdische Mattersburg, das in diesem Jahr erscheint. Mattersburg war das orthodox-religiöse Zentrum der „sheva kehillot“, jener sieben heiligen Gemeinden, und dort gibt es sogar noch eine Judengasse. Warum die so heißt, wird bis dato freilich nirgendwo verraten. Im öffentlichen Raum erinnert nichts an die so einflussreiche jüdische Gemeinde früherer Jahrhunderte. Auch das soll sich, dank Tometich und Mitstreitern, bald ändern – siehe „Heimathaus“, das sich derzeit noch in der Konzeptphase befindet.
Interessant auch, dass seit dem Sommer in Deutschkreutz eine Metallskulptur steht, auf deren Rückseite auch ein Ortsplan des alten Zelem zu finden ist. Die Skulptur steht vor dem Haus, in dem der Komponist Carl Goldmark aufwuchs, schräg gegenüber dem Gemeindeamt. Initiator Michael Feyer, mit seinem legendären „Ma pitom“ einer der Väter des Wiener Bermudadreiecks, hatte ursprünglich einen weniger zentralen Ort im Kopf. „Aber der Bürgermeister hat gemeint, das gehört dorthin, in die Hauptstraße, die einstige Judengasse“, verriet er jüngst dem Standard.
Das Jüdische Museum Eisenstadt unternimmt derzeit den finanziell nicht eben leicht durchführbaren Versuch, eine Datenbank über die am jüdischen Friedhof in Mattersburg Begrabenen zu erstellen. Einen weiteren Mosaikstein des Gedenkens trägt die Burgenländische Forschungsgesellschaft mit ihrem jüngsten Projekt bei – einer DVD, welche die aus dem östlichsten Zipfel der „Ostmark“ Vertriebenen zu Wort kommen lässt. Auch im „Fall Rechnitz“ konnte die Initiative RE.F.U.G.I.U.S. (Rechnitzer Flüchtlings- und Gedenkinitiative und Stiftung) nach jahrzehntelangem, heftigem Widerstand mit dem sogenannten Kreuzstadl mittlerweile eines der beeindruckendsten Symbole des Gedenkens durchsetzen. Seit 1991 setzte sich RE.F.U.G.I.U.S. unter dem Vorsitzenden Paul Gulda dafür ein, dass dieser Stadl erhalten bleibt, in dessen Nähe im März 1945 rund 180 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter von einer besoffenen Nazi-Horde, die beim Grafen Bátthyány gefeiert hatte, ermordet und an Ort und Stelle verscharrt wurden. Durch eine private Spenden- Initiative von Marietta Torberg, Karl Prantl und David Axmann war es 1993 möglich, die Ruine des Kreuzstadls zu erwerben und an die IKG zu übergeben.
In Frauenkirchen wiederum hat sich der Historiker Herbert Brettl mit sieben Gleichgesinnten zusammengetan, und gemeinsam steht man knapp davor, den Grundstein für einen „Garten des Erinnerns“ zu legen. Wo früher der Tempel stand, auf einem unbebauten Grundstück, das immer noch der jüdischen Kultusgemeinde gehört, sollen ein Denkmal, ein Baum, ein Hochbeet und eine Bank entstehen – ein Ort, der „gleichzeitig zum Verweilen, Gedenken, Erinnern und Informieren anregt“, sagt Brettl. Es gibt bereits konkrete Pläne, IKG und Gemeinde unterstützen das Projekt, derzeit wird mit dem Nationalfonds verhandelt – immerhin ist es möglich, dass bei der Umgestaltung die Fundamente des alten Tempels freigelegt werden. Die Künstlerin Deborah Barzilai arbeitet bereits an Entwürfen für den Gedenkstein.
Umdenkprozess
„Eigenartig“ sei das „schon ein bissl“, sinniert Brettl: Vor zehn Jahren habe er sein Buch über Die Jüdische Gemeinde von Frauenkirchen geschrieben – und schon damals habe er „zumindest einen Gedenkstein“ angeregt. Niemand reagierte damals, obwohl er es immer wieder probiert habe. Auch Landeshauptmann Hans Niessl, jahrelang Bürgermeister von Frauenkirchen, rührte kein Ohrwaschel. Doch jetzt, plötzlich, sei etwas in Bewegung geraten.
Das mag zum Teil damit zu tun haben, dass nun eine jüngere Generation am Ruder ist, in den Gemeinden und am Land, eine Generation, die sich weniger schwer tut mit dem Erinnern und Gedenken als die Eltern und Großeltern. So meint der Historiker Gert Tschögl von der Burgenländischen Forschungsgesellschaft: „Es gibt eine sehr lebendige Kultur im Burgenland. Es hat ein Generationenwechsel stattgefunden, und es gibt einige Akteure, die regionale Initiativen antreiben.“ Dazu komme, dass im relativ kleinen Bundesland „die Sichtbarkeit größer ist, wenn einmal etwas passiert“.
Es mag auch eine Rolle spielen, dass Landeshauptmann Niessl 2008 mit dem Bundespräsidenten auf Staatsbesuch in Israel weilte und dort etwas begriffen hat. Jedenfalls begann das Burgenland danach endlich, seine 14 jüdischen Friedhöfe zu sanieren. Immerhin. Ausreichend sei das zwar nicht, kritisierte damals der Direktor des Jüdischen Museums in Eisenstadt, Johannes Reiss, das Wichtigste sei doch die Ent-Anonymisierung der Gräber, damit „die Toten auch ein Gesicht bekommen“. Das ist freilich schwierig, weil die Nazis die Grabsteine zum Großteil als Baumaterial missbrauchten und eigentlich nichts da ist, das man herzeigen kann, „wo man ein Bandl durchschneiden und das man eröffnen kann“, wie Reiss sarkastisch gegenüber NU bemerkt.
Überhaupt bleibt Reiss skeptisch, was den vermuteten „Umdenkprozess“ im Burgenland betrifft: Man müsse das differenziert sehen, sagte er zu NU. Es sei schon richtig, dass die jüngste Doppelveranstaltung des Museums zur jüdischen Geschichte des Burgenlands sehr gut besucht gewesen sei – „aber unsere Veranstaltungen waren das schon immer“, sagt Reiss.
Dass auch wissenschaftlich interessante Bücher wie jenes der Historikerin Ursula Mindler von der Budapester Andrássy-Universität über die jüdische Vergangenheit von Oberwart auf den Markt kommen, habe schlicht damit zu tun, dass nun, anders als vor 40 Jahren, den Forschern die meisten Archive offenstehen. Viele Gedenkprojekte hätten auch einen Schneeballeffekt. Als er, Reiss, in Eisenstadt den „Jewish Sight Run“ zu jüdischen Gedenkstätten in der Stadt und über das Leithagebirge initiierte, habe das auch zu ähnlichen Initiativen in vielen anderen Städten, nicht nur in Österreich, geführt.
IKG-Generalsekretär Raimund Fastenbauer hat einen weniger pessimistischen Befund. „Es hat sich einiges zum Positiven entwickelt“, sagt Fastenbauer zu NU, man solle nur einmal nach Rechnitz schauen, da sei „atmosphärisch viel geschehen“. Freilich seien viele Dinge noch nicht aufgearbeitet – etwa die Tatsache, dass es in vielen Orten, auf vielen Friedhöfen im Burgenland nach wie vor „Helden-Denkmäler“ für die „Gefallenen beider Weltkriege“ gebe (darunter viele SS-Mitglieder), die ohne Widerspruch der Öffentlichkeit nach wie vor vom Kameradschaftsbund gepflegt werden.
Was sich an lokalen Initiativen tue, will Reiss „auf keinen Fall kleinreden, es gibt tatsächlich einige sehr engagierte Menschen im Burgenland, die die Vergangenheit nicht auf sich beruhen lassen wollen. Aber die Masse der Burgenländer ist sich noch nicht ihrer Vergangenheit bewusst.“ In „seinem“ Jüdischen Museum fühle er sich geborgen wie in einem „rosa Kokon“, umgeben von Verständnis, Bewusstheit und positivem Engagement: „Und wenn ich dann den Fuß vor die Tür setze, merke ich, die Normalität ist eine andere.“ Einen Beweis für seine These lieferte der „Eisenstädter Autofrühling“ im vergangenen Jahr: Da hatten die Autofirmen, die jedes Frühjahr ihre neuesten Modelle vorstellen, die Eisenstädter Kulturinstitutionen brieflich aufgefordert, doch mitzumachen und sich selbst darzustellen. Als Reiss namens des Jüdischen Museums sofort zusagte, erhielt er wenig später noch einen Brief, in dem ihm die Organisatoren beschieden, das vorgesehene Autohaus habe seine Zusage leider zurückgezogen, man sei aber daran, für das Jüdische Museum ein anderes „Asyl“ zu suchen. Reiss: „Daraufhin habe ich abgesagt. Das haben wir nicht notwendig.“
AKTUELLE BUCHTIPPS:
Ursula Mindler
Grenz-Setzungen im Zusammenleben
(Studienverlag, 2011)
Christof Habres, Elisabeth Reis
Jüdisches Burgenland – Entdeckungsreisen
(Metroverlag, 2012)
Richard Berczeller
Fahrt ins Blaue und andere Kurzgeschichten
(Czernin-Verlag, 2012)