Seit seiner frühen Kindheit spielt Daniel Barenboim Klavier, die Musik hat sein Leben bestimmt. Eine Reise durch ein Leben, gepflastert mit Erfolgen und Friedensbemühungen.
Von Ida Labudovic (Text) und Milagros Martinez Flener (Fotos)
Einige Journalisten wollten es unbedingt wissen: Warum hat Daniel Barenboim den Radetzky-Marsch nicht dirigiert? Einen besseren Pressesprecher als seine eigene Ehefrau könnte der Maestro am Tag des Neujahrskonzerts nicht haben – und Jelena Dmitrijewna Baschkirowa kennt ihren Mann. „Er wollte zeigen, dass die Wiener Philharmoniker es auch ohne den Dirigenten schaffen“, sagte sie mit großer Gelassenheit. Außerdem wollte er allen Mitgliedern des Orchesters am Ende des Konzertes „die Hände drücken“, lächelte sie überzeugend. Ihr Mann hingegen reagierte emotional. Dem Maestro ist es nicht recht, wenn man Dinge interpretiert, die mit Musik nichts zu tun haben: „Das ist lauter Quatsch“, protestierte er gegen Gerüchte, dass er nicht einen Marsch dirigieren möchte, der in Verbindung mit Krieg steht.
Tatsächlich wollte sich Daniel Barenboim von jedem Wiener Philharmoniker noch während des Konzerts am Neujahrstag individuell verabschieden. Er hat sich erlaubt, ungeschriebene Regeln zu brechen und gleichzeitig gezeigt, dass er schon etwas toleranter in der Kommunikation mit dem Publikum geworden ist. Mit dem Klatschen war er früher ganz streng, jetzt meint er: „Wenn Applaus spontan aus dem Bauch kommt, soll man das auch so akzeptieren“.
Auch in Israel sorgte Barenboim für Aufsehen mit seiner öffentlichen Aufführung von Richard Wagners Werk im Jahr 2001. Heute kommentiert er das so: „Ich habe totalen Respekt vor den Menschen, die Holocaustüberlebende sind und mit seiner Musik nichts anfangen wollen, weil die Assoziationen zu schrecklich sind. Und es gibt auch die Menschen, die solche Assoziationen nicht haben.“
West-Eastern Divan Orchestra
Durch die hintere Tür betritt Daniel Barenboim das Wiener Hotel Imperial, in dem die Pressekonferenz stattfindet. „Das schönste Geschenk, das ein Dirigent haben kann, ist das Neujahrskonzert“, stellt er vor den versammelten Vertretern der Presse fest. Im Gedenkjahr 2014 hat er es als engagierter Friedensaktivist geschenkt bekommen.
Der Träger verschiedener Auszeichnungen für seine Friedensbemühungen glaubt an die verbindende Kraft der Musik. Im Jahr 1999 gründete er zusammen mit dem in Palästina geborenen Literaturwissenschaftler Edward Said das West-Eastern Divan Orchestra. Musiker aus Israel, den palästinensischen Autonomiegebieten, arabischen Länder und Andalusien kommen zusammen, um unter seiner Leitung zu musizieren und „um gegen die Ignoranz zu kämpfen“.
Im Jahr 2004 erhielt Barenboim in der Knesset den Wolf-Preis für „Verdienste zum Wohle der Menschheit und freundschaftliche Beziehungen unter den Völkern“. Das Preisgeld stiftete Barenboim für die musikalische Erziehung von israelischen und palästinensischen Kindern. Barenboim versucht mit der Musik, Menschen einander näher zu bringen: „Die Musik lehrt uns, uns nicht auf Kosten von anderen auszudrücken“, meint er. Die jungen Musiker versuchen „den gleichen Ton zusammen zu spielen, in der gleichen Lautstärke, mit der gleichen Intensität und mit der gleichen Farbe“. Nach Stunden gemeinsamen Musizierens reden sie miteinander, hören die Erzählungen voneinander und haben Verständnis füreinander, auch wenn sie oft unterschiedlicher Meinung sind. Sie sind wie ein alternatives gesellschaftliches Modell, „eine Art angewendete Utopie“. Sie verstehen, wie die anderen denken, ihre Gefühle, Ängste, Schwächen und Hoffnungen.
Mit den Wiener Philharmonikern
Wenn Daniel Barenboim zur Probe kommt, wird es still im Saal. Mit dem Musizieren beginnt er sofort, seinen Taktstock bewegt er schnell durch die Luft. Er beugt sich und geht in die Knie. Manchmal sitzt er mit gekreuzten Beinen nach hinten gelehnt auf seinem Stuhl und hört zu, als ob er das Publikum wäre. „Das muss so klingen“, sagt er und dann singt er, um die richtige Tonfolge anzustimmen. Es kommt ein kurzes lautes „Ja“, denn der Maestro ist zufrieden. Er möchte, dass eine Einheit im Orchester entsteht. Er hat seine Vorstellungen, wie ein Instrument klingen soll, und er ruht nicht, bis es sich so anhört, wie er es haben will. Außerdem kommuniziert er ständig mit dem Orchester und erzählt gerne Anekdoten und Erlebnisse aus seiner Kindheit.
Eine Begebenheit ereignete sich im Sommer 1952, bei seinem ersten Aufenthalt in Salzburg. Im Festspielhaus wurde Die Zauberflöte gespielt, dirigiert von Karl Böhm. Da die Karten schon längst ausverkauft waren, entscheidet der damals neunjährige Bub sich dort hineinzuschmuggeln, wie er in der Autobiographie Die Musik – mein Leben schreibt. Erschöpft nach der langen Reise von Buenos Aires schläft er ein und als er nach dem Aufwachen zu weinen beginnt, wird er entdeckt und aus dem Festspielhaus rausgeschmissen. Viele Jahre später kehrte Barenboim nach Salzburg zurück und spielte im Großen Festspielhaus mit dem Dirigenten Karl Böhm und den Wiener Philharmonikern „einem Orchester, das eine ganz besondere Haltung zu Musik hat. Die Tatsache, dass sie keinen Chefdirigenten haben, sehe ich als Zeichen für Unabhängigkeit, was ich über alle anderen Eigenschaften schätze“, sagte er unlängst.
Begegnung mit Arthur Rubinstein
Mit fünf Jahren beginnt Barenboim, Klavier zu spielen. Seine Lehrer waren seine Eltern. Sein erstes öffentliches Konzert gab er bereits mit sieben Jahren in Buenos Aires. Dort kommt es auch zu seiner ersten Begegnung mit Arthur Rubinstein, einem der größten Chopin-Interpreten, von dem er fasziniert und von seiner Natürlichkeit sehr beeindruckt war. Von ihm bekam er auch seine erste Zigarre, erzählt er. Noch heute spricht Barenboim mit Begeisterung über den weltbekannten Pianisten: „Rubinstein besaß die Fähigkeit, den großen, noblen Klang auf dem Klavier zu produzieren, der kein Musiker vor ihm, während seines Leben und danach schaffte“. Barenboim war oft zu Gast im Hause Rubinstein und spielte mit seiner ersten Frau, der Cellistin Jacqueline du Pré für ihn. Er bewunderte auch seinen Intellekt und betont: „Rubinstein war ein hoch gebildeter Mensch. Er las Balzac auf Französisch, Goethe auf Deutsch, Dostojewski auf Russisch und Cervantes auf Spanisch“. Barenboims erster Sohn wurde David Arthur genannt.
In Israel
Die Familie Barenboim wanderte im Jahr 1952 von Buenos Aires über Salzburg, Wien und Rom nach Israel aus. Barenboims Eltern, russischjüdischer Herkunft, wollten, dass ihr Sohn in einem Land, wo Juden in der Mehrheit sind, aufwächst. Dort traf Barenboim eine ganz andere Gesellschaft, geprägt von zionistischen Ideen und Idealismus. In Israel begann er sein jüdisches Bewusstsein aufzubauen und die Bibel als Teil der Geschichte und des jüdischen Erbes zu studieren.
Sein erstes Konzert mit dem Israelischen Philharmonischen Orchester hat Barenboim im Sommer 1953 gespielt. Im folgenden Jahr beginnt er in Salzburg mit seinem Dirigentenstudium. Das Jahr 1954 brachte ihm auch eine Begegnung mit dem Dirigenten und Komponisten Wilhelm Furtwängler und in einem Brief vermittelte dieser seine Eindrücke über den jungen Studenten: „Der elfjährige Barenboim ist ein Phänomen…“. Vieles hat sich danach in Barenboims Welt der Musik geöffnet und es entstanden einige Bekanntschaften, die bis heute fest geblieben sind, wie mit dem Chefdirigenten des Israelischen Philharmonischen Orchesters Zubin Mehta. Beide gaben zusammen in den Kriegszeiten Konzerte in Israel. Nur diejenigen, die einen Krieg erlebt haben, können nachvollziehen, wie bedeutsam die verbindende Kraft ist, wenn sich da zwei Menschen mit gleichen Ideen finden.
Seit zwei Jahrzehnten ist Daniel Barenboim der künstlerische Leiter und Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden in Berlin. In dieser Stadt ist er zu Hause. Sein Bemühen gilt der zwischenmenschlichen Verständigung. Und auch wenn sie in vielen Fällen unmöglich ist, als Trost gibt es noch immer die wunderbare Musik und die Magie, die sie mit sich bringt.
Mit dem West-Eastern Divan Orchestra tritt Daniel Barenboim im Sommer des Gedenkjahres an den Ersten Weltkrieg in seiner Geburtsstadt Buenos Aires auf.