Der erste Beitrag zu einem selbstbestimmten Leben von Frauen kam noch vor Erfindung der „Pille“ vom österreichischen Gynäkologen Hermann Knaus. Seine Entdeckung der fruchtbaren Tage im Monatszyklus war bahnbrechend. Knaus war während der Nazi-Diktatur ein opportunistischer Mitläufer. Er war jedoch kein Verbrecher. Dennoch wird das in einer (einzigen) Arbeit aus Berlin behauptet. Susanne Krejsa MacManus, die seit langem über Hermann Knaus wissenschaftlich arbeitet, zeigt anhand dieses Beispiels, wie schnell ein Ruf ruiniert werden kann und wie schwierig die Korrektur ist.
Was ist eigentlich ein Nazi-Arzt? Der Wiener Medizinhistoriker Michael Hubenstorf nimmt in sein geplantes Lexikon der Nazi-Ärzte jeden Arzt auf, der (zumindest) NSDAP-Mitglied war. 34,6 Prozent aller österreichischen Ärzte waren das, 60,4 Prozent waren Mitglied in einer NS-Parteiorganisation. Die Vergleichszahlen für das Deutsche Reich liegen bei 44,8 und 69,2 Prozent. Im Gegensatz zu Hubenstorf assoziieren andere mit dem Terminus „Nazi-Arzt“ nur solche Ärzte, die in NS-Verbrechen verstrickt waren. Sie machen einen Unterschied zwischen Mitläufern und Mördern.
Wie schnell allerdings viele Jahre nach der NS-Herrschaft eine ethisch bedenkliche Beteiligung oder sogar verbrecherische Verstrickung behauptet – und praktisch nicht mehr aus der Welt geschafft – werden kann, zeigt sich am Beispiel des österreichischen Gynäkologen Hermann Knaus (1892–1970).
„Erst mit dem Nationalsozialismus ergab sich für viele Ärzte, wie die Gynäkologen Hermann Knaus und Boris Belonoschkin und den Chirurgen Hans Stiassny, die Möglichkeit zu systematischen Experimenten mit menschlichem Sperma, vor allem auch an den Körpern zwangssterilisierter Männer und den Leichen Hingerichteter (51).“ Dies behaupteten A. F. Heinitz und R. Roscher in ihrem Beitrag The Making of German Sperm. Überlegungen zum Zusammenhang von Spermakonservierung, Männlichkeiten und Nationalsozialismus im Themenheft Samenbanken – Samenspender der Ethnologie- Schriftenreihe Berliner Blätter im Jahr 2005.
Chef der Frauenklinik
Das Hermann-Knaus-Dokumentationszentrum im Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch in Wien sammelt und sichtet seit 2003 Knaus’ Werk, seine Publikationen, jedes irgendwo verfügbare Dokument, Korrespondenz, Fotos etc. und führt Interviews mit Weggenossen, ehemaligen Mitarbeitern und Kindern von Patientinnen. Aus all dem wird im Herbst/ Winter 2016 die erste umfassende Biografie über Knaus erscheinen.
Knaus wurde vor allem berühmt als Entdecker der fruchtbaren Tage im Monatszyklus der Frau im Jahr 1929 (gleichzeitig mit dem japanischen Arzt Kyusaku Ogino). Damit brachte er das „Märchen“ von der immerwährenden Fruchtbarkeit der Frau zu Fall und eröffnete erstmal eine Möglichkeit zur geplanten Schwangerschaft und zur selbst bestimmten Kinderzahl. Sein erstes großes Buch, Die periodische Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit des Weibes (1934), wurde bereits zwei Wochen nach Erscheinen in Deutschland verboten, nach dem „Anschluss“ auch in Österreich, laut Knaus „in der übertriebenen Sorge, daß durch eine allgemeine Verbreitung meiner Lehre und deren negative Ausnützung zum Zwecke einer Empfängnisverhütung der Bestand des deutschen Volkes gefährdet werden könne.“ – „Es ereignete sich also der paradoxe Konflikt, daß die führenden deutschen Gynäkologen meiner Lehre die Anerkennung als Mittel zur natürlichen Geburtenregelung versagten, die Reichsregierung hingegen ihr diese volle Anerkennung zollte und daher sofort im Sinne einer energischen Abwehr handelte.“
Knaus war von 1934 bis 1945 Chef der Frauenklinik an der Deutschen Karls- Universität in Prag, wurde 1936 für den Nobelpreis vorgeschlagen, trat aus Opportunitätsgründen 1939 der NSDAP bei. Zu seinen Patientinnen in Prag zählten Frauen von Nazi-Größen (z.B. Karla Frank, Lisa Heydrich) genauso wie monarchistischer Adel (Schwarzenberg, Czernin etc.) und Frauen „aus dem Volk“, Tschechoslowakinnen wie Deutsche, und einige der wenigen noch im Land befindlichen Jüdinnen.
1941/1942 wurde gegen ihn ein NSDAP- Parteigerichtsverfahren geführt, weil er ein vernichtendes Gutachten gegen den Chirurgen Kurt Strauss (1901–1944) verfasst hatte. Dieser war NSDAP-Mitglied seit 1931 sowie SSSturmbannführer, ein unfähiger und sich selbst überschätzender Operateur. Knaus erhielt einen Verweis, denn durch seine Stellungnahme sei „ein im öffentlichen Leben an führender Stelle stehender Parteigenosse, der für Partei und Staat erhebliche Verdienste aufzuweisen hat, in seiner Ehre angegriffen worden …“ In Wahrheit wollte man Knaus loswerden, weil er als politisch unzuverlässig galt.
1943 begann ein weiteres Parteigerichtsverfahren gegen Knaus. Diesmal ging es um sein Buch Die periodische Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit des Weibes von 1934. Nicht nur sei Knaus damit ein Vorkämpfer der Geburtenbeschränkung, er habe das Werk noch dazu auch in einer englischen Übersetzung veröffentlicht und sogar Francis Hugh Adam Marshall, Dekan des Christ College in Cambridge, erlaubt, in seinem Vorwort die nationalsozialistische Geburtenpolitik zu kritisieren. Das Verfahren wurde schließlich eingestellt, denn das Reichspropagandaministerium hatte sein Buch im Jahre 1939 freigegeben.
„Schließlich war er ja NSDAP-Mitglied“
Nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ und Knaus’ Rückkehr nach Österreich hoffte der Wissenschafter auf eine Berufung an eine Universitätsklinik. Das erwies sich als unmöglich, sowohl wegen seiner polarisierenden Persönlichkeit, als auch wegen fehlender Nähe zum christdemokratischen Kartellverband (CV). Von 1950 bis 1960 war er Chef der Frauenabteilung am Krankenhaus Wien-Lainz.
Zwölf seiner insgesamt rund 150 Veröffentlichungen befassen sich mit Spermien; nur zwei davon entstanden während der NS-Zeit (1938, 1940). Seine Spermastudien führte er an Kaninchen durch. Nichts deutet auf Studien an zwangssterilisierten Männern oder den Leichen Hingerichteter hin, nirgends sonst ist eine solche Behauptung aufgestellt worden. Auch Rückfragen bei Autoren, die sich mit Knaus beschäftigt haben (z.B. M. Hubenstorf, Wien; P. Svobodny, Prag; M. Schlünder, Toronto) ergaben keinen Verdacht.
Da das oben angeführte Zitat einen Quellenhinweis (51) enthält, habe ich die entsprechende Arbeit auf eine Erwähnung von Knaus untersucht: Fehlanzeige. Daraufhin kontaktierte ich die Autorin der angeführten Quelle, Dr. Florence Vienne von der TU Braunschweig. „Von mir stammt diese Angabe nicht“, war ihre Antwort. Sodann bat ich die Herausgeberin des Themenheftes Samenbanken – Samenspender, Prof. Michi Knecht von der Uni Bremen, um Aufklärung, wie es zur Behauptung über Knaus gekommen war. Mehrere Urgenzen waren nötig, um eine Antwort zu erhalten. Laut ihren Angaben waren die Autorinnen Heinitz und Roscher zwei Studierende, zu denen sie aber leider keinen Kontakt mehr herstellen könne. Eine Aufklärung ihrer Behauptung über Knaus ist daher nicht möglich. Ebenso wenig kann eine Richtigstellung erfolgen, denn bei den Berliner Blättern handelt es sich nicht um eine Zeitschrift, sondern um eine Reihe von Einzelbänden. Das Themenspektrum reicht von Sport bis Stadtforschung, von Psychiatrie bis Migration.
Was nun? Eine leichtfertig in die Welt gesetzte falsche Behauptung kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Verstrickungen in NSGeschehen werden deswegen geglaubt, weil es so viele negative Beispiele, so viele echte Verbrechen gibt. Und sie können wegen begrenzter Ressourcen im wissenschaftlichen Bereich dann auch nicht weiter hinterfragt werden. Die These lautet: „Es wird schon etwas dran sein, schließlich war er ja NSDAPMitglied.“
Wer keinen Unterschied darin sieht, ob jemand als Mitglied der Nazi-Partei ein Mitläufer war oder ob er schreckliche Experimente durchführte, mag sich damit zufriedengeben. Für andere aber, die zwischen Tätern und Mitläufern differenzieren wollen, ergibt sich die Erkenntnis, dass mitunter die korrekte wissenschaftliche Aufarbeitung in den Hintergrund tritt, wenn das Vorurteil mehr zählt als die Seriosität der Arbeit. Hermann Knaus war beileibe kein Held, aber er war auch kein aktiver Verbrecher. Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse haben viel zur sexuellen Befreiung von Frauen und Paaren beigetragen. Diesen guten Ruf sollte man ihm lassen.