Jennifer Teege, die Enkelin des SS-Hauptsturmführers Amon Göth, entdeckte erst im Alter von 38 Jahren ihre Familiengeschichte und sprach darüber mit NU.
VON IDA SALAMON
Als Jennifer Teege vor etwa acht Jahren in einer Hamburger Bibliothek einige Publikationen durchsuchte, fiel ihr Blick auf ein Buch mit rotem Cover: Ich muß doch meinen Vater lieben, oder? Die Lebensgeschichte von Monika Göth, Tochter des KZKommandanten aus „Schindlers Liste“. Die junge Frau rang nach Luft und begann in ihr Familiengeheimnis zu versinken. Sehr rasch wird ihr klar: der „Schlächter von Plaszow“, Amon Göth, ein geborener Wiener und massenmordender Sadist, war ihr leiblicher Großvater.
Jennifer, eine hochgewachsene Frau mit dunkler Hautfarbe, die überall auch wegen ihrer Model-Statur Aufmerksamkeit auf sich zieht, hatte schon früh Grund zur Depression. Nicht nur, dass sie ohne ihren Vater, einem Nigerianer, aufwuchs, sie sah auch ihre Mutter nur selten. Sie war wenige Monate alt, als sie zur Adoption freigegeben wurde. Bis zu ihrem siebten Lebensjahr wuchs Teege bei einer Pflegefamilie auf. Danach wurde sie von einer anderen Familie adoptiert. Zum ersten Mal in ihrem Leben spürte Jennifer Sicherheit und etwas, was sie selbst als „Normalität des Kindheit“ bezeichnet. „Es war eine Umgebung, die mich mit ihrer Gesprächskultur geprägt hat. Es wurde viel diskutiert, auch über gesellschaftliche Themen.“ Später studierte sie, verdiente als Model Geld und wollte Schritt für Schritt die Welt kennenlernen.
Faszination Israel
Es war in Paris, als sie zum ersten Mal jemandem aus Israel begegnete. Sie kannte das Land aus den Medien und hörte einiges über das jüdische Volk in der Schule, meistens düstere Geschichten aus der Vergangenheit. Mit ihrer Mitbewohnerin machte sie sich auf nach Israel und begann in Tel Aviv Geschichte des Mittleren Osten und Afrika zu studieren. In diesem kontrastvollen, vibrierenden und warmen Land war die damals Anfang Zwanzigjährige Jennifer Teege glücklich. Trotz permanentem Kriegszustand und fühlbarer Bedrohung stieß sie auf sehr viel Lebensfreude und junge Menschen verschiedenster Herkunft, die versuchten, miteinander zu leben. Aber auch von der Landschaft und Sprache war sie fasziniert. Sie verliebte sich in einen Juden. Katholisch, getauft in einem Kinderheim, in welchem sie ihre ersten Lebensjahre verbracht hatte, wusste sie, dass sie einen Platz für sich in Israel nur dann finden konnte, wenn sie zum Judentum überträte. Jennifer wollte aber nicht aus einer Religion, die für sie keine große Bedeutung hatte, in eine andere wechseln. „Der tiefe innere Glaube, dass man nicht das Maß aller Dinge ist, das hat mich immer begleitet. Aber die Religion war nie im Mittelpunkt.“ Nach fünf Jahren Aufenthalt in Israel kehrte sie mit einem Diplom und guten Kenntnissen der hebräischen Sprache nach Hamburg zurück.
Die Wahrheit
Der Wendepunkt in ihrem Leben kam mit 38 Jahren, als sie die Wahrheit über ihre Familie entdeckte: „Nachdem ich das Buch gefunden habe, bin ich in die Psychoanalyse zurückgegangen, denn ich war nicht in der Lage, das Problem alleine zu verarbeiten.“ Die Depressionen nach der Entdeckung des Buches waren besonders stark. Allerdings war die traurige Stimmung nichts Neues in ihrem Leben, diese hatte sie auch früher wegen der Deprivation, der Mutterentbehrung. „Am meisten beeinflusste mich aber das Familiengeheimnis und dessen toxische Kraft.“
Es war eine lange Entwicklung auf dem Weg zur inneren Freiheit von Jennifer Teege. „Ich habe mich unterschiedlich zu verschiedensten Zeiten gefühlt: als Kind alleine und einsam, einer meiner Grundgefühle.“ Dann kamen Zugehörigkeit und Normalität in einer Adoptivfamilie. „Weggegeben zu sein und trotzdem jemanden gefunden zu haben. Ein ständiges Gefühl zu haben, aus Dankbarkeit immer etwas leisten zu müssen.“
In Paris war Teege zum ersten Mal in einem Umfeld, wo sie nicht die einzige dunkelhäutige Frau war. In Israel war sie in der Rolle der Deutschen, als Teil der Tätergeneration. Dann tauchte die Frage nach ihrer Identität auf: „Wer bin ich?“. Auf der Spitze des Bergs stellt sich mit dem entdeckten Buch die Frage: „Was bedeutet es für mich, dass ich die Enkelin von Amon Göth bin?“ Es folgte eine Auseinandersetzung mit ihrem im Vordergrund stehenden Großvater. „Das war aber eigentlich eine Auseinandersetzung mit der Mutter und mit meiner Großmutter, da die Identifikation mit ihnen viel länger und stärker war.“
Die Großmutter, Ruth Irene Göth, war für Teege eine Person, die eine ganz andere Rolle gespielt hat als vor dem Krieg an der Seite von Amon Göth. „Das ist die Komplexität des Menschen, die sich in meiner Großmutter widerspiegelt. Bei ihr sieht man, dass es nicht so einfach ist, die Menschen in Raster zu setzen. Ein Mensch ist immer jemand, der ganze viele unterschiedliche Seiten in sich trägt. Für mich war sie nur meine Großmutter, dieses kindliches Gefühl, das nicht stirbt. Die Täuschung zu sehen, dass der Mensch, den man anders wahrgenommen hat, so eine dunkle Seite hat, das war für mich sehr schwierig.“
Die Erlösung
Während der Recherche über ihren Großvater Göth war Teege an den Plätzen, wo er in Polen als Kommandant des Konzentrationslagers Plaszow bei Krakau tätig war. Ihr ging es nicht um Spurensuche, um Klärung von historischen Fakten, sondern eher darum, sich von der emotionalen Belastung zu befreien. „Und das habe ich in Polen gefunden, bei dem Plaszow- Mahnmal. Man darf nicht wegschauen und muss eine Verpflichtung fühlen, sodass der Schrecken nicht mehr passiert. In dieser Stille gab es einen Moment, in dem ich nicht weggelaufen bin, ich wollte bewusst den Moment aushalten, um nachher weitergehen zu können.“
Das Buch Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen hat Jennifer Teege ein neues Leben ermöglicht. „Ich habe meinen Beruf aufgegeben, um etwas Sinnvolles zu machen. Hoffentlich kann ich etwas anderes als die schreckliche Figur von meinem monströsen Großvater gegenüberstellen.“
Jennifer Teege nennt zwei Begriffe, die mit ihrer Botschaft eng zu tun haben: Schuld und Verantwortung und zwar „für jeden, der nach dem Krieg geboren ist in der deutschen Gesellschaft, auch in der dritten und vierten Generation, die nicht im Krieg involviert war. Schuld ist nicht vererbbar. Es geht um Verantwortung, man muss versuchen, die Welt zu verändern anhand eines positiven Beispiels. Ich streue auch kleine Botschaften: wie wichtig ist es zu sein, wie man ist in seiner eigenen Menschlichkeit. Zu zeigen, dass man fähig ist, Gefühle zu entwickeln, und das in Gegenüberstellung zu meinem Großvater.“
Jennifer Teege hat ihren Mittelpunkt in Hamburg. Dort ist ihr Wohnsitz, dort gehen ihre Kinder in die Schule. Sie fühlt sich überall wohl, in Wien und in den USA, wo sie Lesungen und Vorträge hält. „Man muss es schaffen, ein verantwortungsvolles Leben zu führen.“ Das versucht sie auch, ihren zwei Söhnen weiterzugeben. „Das Wichtigste ist, dass sie wissen, dass so wie sie sind – es gut und richtig ist. Dass sie sich selbst wertschätzen und dieses innere Gefühl von Wertschätzung automatisch ein Gefühl von der sozialen Verantwortung ist, das sie weitergeben sollen.“