Israel geht mich etwas an

© KURIER/Gerhard Deutsch

VON OBERRABBINER PAUL CHAIM EISENBERG

Das letzte Buch, das ich gelesen habe, heißt Israel. Was geht mich das an? Der Staat Israel ist vor 75 Jahren, im Mai 1958, von Ministerpräsident Ben Gurion ausgerufen worden. Ich selbst wurde zwei Jahre nach der Gründung des Staates geboren und habe daher keine Erinnerung an jene Zeit. Doch für mich gilt: „Israel geht mich etwas an!“, auch wenn ich österreichischer Staatsbürger bin. Denn Israel lässt keinen Juden unberührt.
Zu Zeiten von Theodor Herzl, der den Begriff Zionismus geprägt und die zionistische Weltbewegung begründet hat, war Zionismus das Bestreben, einen jüdischen Staat zu gründen. Ein wahrer Zionist war bei uns jemand, der sein Land verlassen hat und nach Israel gezogen ist. Später wurde klar, dass nicht alle Juden die Diaspora verlassen würden. Und so änderte sich die Bedeutung des Zionisten, von jemandem, der in Israel lebt, zu jemandem, der den Staat Israel schätzt und unterstützt, wo immer er lebt.
Mein seliger Vater, Prof. Dr. Akiba Eisenberg, war ein solch glühender Zionist. Er meinte oft mit einem Lächeln: „Heute ist ein Zionist jemand, der bei einem Zweiten Geld sammelt, damit ein Dritter nach Israel ziehen kann.“ Es würde zu weit führen, seine Aktivitäten für Israel im Detail auszuführen. Aber es gab kein Jahr, in dem er nicht zumindest einmal nach Israel reiste. Sei es, um seine Cousinen zu sehen, aber auch, um verschiedene Rabbiner zu treffen und Konferenzen zu besuchen. Er hat aber auch in Wien dafür gesorgt, dass Israel ein wichtiger Schwerpunkt in unserer Gemeinde war.
Der Jom haAtzma’ut, also der israelische Unabhängigkeitstag, war und ist im Stadttempel immer ein Anlass zur Freude und zum Feiern. Vor dem Tempel ließ man die israelische Fahne hissen, allerdings auch die österreichische. Beides passiert heute noch. Oft verwechseln Menschen das Wort „israelisch“, nämlich zum Staate Israel gehörig, mit „israelitisch“. Sie sagen dann „Israelische“ statt „Israelitischer“ Kultusgemeinde. Und Antisemiten fragen dann, warum geht ihr eigentlich nicht nach Israel zurück?
Meine selige Mutter hatte Flugangst und unternahm daher nur wenige weite Reisen. Als aber der erste Flug der ElAl nach Israel ging, und mein Vater ihr erzählte, dass er auf diesen Flug eingeladen wurde, fragte sie: „Und was ist mit mir?“ Er antwortete: „Du fliegst doch nicht gern?“ Und sie sagte: „Nach Israel schon!“
Mein erster Besuch in Israel mit meiner Mutter war im Jahr 1966, noch vor dem Sechstagekrieg – und auch noch vor diesem ersten Direktflug. Wir unternahmen eine Schiffsrundreise. Bis dahin hatte ich schon viele Jahre neben dem Religionsunterricht auch Hebräisch-Stunden, wobei ich Hebräisch zwar ins Deutsche übersetzen, aber nicht sprechen konnte. Die vier Wochen, die ich damals in Israel verbrachte, halfen mir, sie haben Wunder getan. Ich war jeden Abend mit israelischen Jugendlichen zusammen – und kam mit perfektem Hebräisch zurück nach Wien.
Meine beiden Söhne und alle vier Töchter haben ebenfalls einige Studienjahre in israelischen Jeschiwot genossen. Deshalb haben auch fast alle meiner Kinder in Israel geheiratet, drei Töchter leben mit ihren Familien dort, was auch mich immer wieder dorthin zieht. Ich habe ja in Israel mein Rabbinat-Studium absolviert. Aber auch ich besuche Israel nicht nur, weil ich dort Familie habe, sondern auch aus offiziellen Gründen. Ein besonderer Besuch in Israel war, als der damalige Bundespräsident Thomas Klestil im Jahr 1994 die erste Reise eines österreichischen Staatsoberhauptes nach Israel unternahm. Er lud damals einige Mitglieder der Israelitischen Kultusgemeinde ein, den damaligen Präsidenten Paul Grosz, Simon Wiesenthal und andere. Als ich in Wien in einer Vorbesprechung erwähnte, dass ich nicht nur als Begleitung mitfahren wolle, sondern auch zum Erfolg dieser Reise einen Beitrag leisten wollte, wurde beschlossen, dass ich bei seinem Besuch in Yad Vashem das Gebet für die Toten – den Kaddisch – sprechen sollte. Thomas Klestil war zu Tränen bewegt.
Am nächsten Tag traf ich den Jerusalemer Kantor, der sonst bei Staatsbesuchen dieses Gebet in Yad Vashem leitete. Und dieser beklagte sich bei mir, dass ich ihm seine „Parnosse“ (seinen Verdienst) streitig gemacht habe. Ein weiterer Höhepunkt dieser Reise war der Besuch in Kirjat Mattersdorf, einem Stadtteil von Jerusalem, der diesen Namen erhielt, weil damals die Republik Österreich seine Errichtung finanzierte. Der Name Mattersdorf-Mattersburg war vor der Schoa ein von vielen Juden bewohntes Dorf im Burgenland. Bundespräsident Klestil seligen Angedenkens hatte auf seiner Reise – vielleicht gewarnt von einem unangenehmen Vorfall seines Vorgängers – immer einen Hut bei sich. Kurt Waldheim war nämlich, noch in seiner Funktion als UNO-Generalsekretär, auch in Israel gewesen. Als er im Zuge dieser Reise auch Yad Vashem besuchte, wurde ihm eine Kippa angeboten, aber er setzte sie nicht auf, was ihm als Affront ausgelegt wurde.
Klestil glaubte, dass Mattersdorf ein Kibbuz sei und hatte ausnahmsweise keine Kopfbedeckung mitgenommen. Er war daher peinlich berührt, als er das dortige Altersheim betrat und bemerkte, dass dies eine sehr orthodoxe Institution war. Ich war mit und trug, wie meistens, einen schwarzen Hut und darunter eine Kippa. Ich borgte ihm meinen Hut, und als er sich nachher dafür bedankte, sagte ich ihm: „Es war mir eine Ehre, unseren Bundespräsidenten gut behütet zu haben.“
Auch wenn es Kriege gab oder Attentate das Land erschüttert haben: Meine Liebe und meine Sorge zum Staate Israel kennt keine Grenzen.
Ich habe einen Fehler gemacht. Wenn ich meinen Gefühlen freien Lauf ließe, müsste ich eigentlich ein ganzes Buch über Israel schreiben und nicht nur diesen Artikel. Aber wer weiß, das könnte noch kommen.

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