Ein gequälter Talmudist

Ein Stein des Anstoßes: Philip Gustons paffende Kapuzenmänner in „Riding Around“ (1969). © The Estate of Philip Guston/Genevieve Hanson/Courtesy Hauser & Wirth/Private Collection

Zuerst wurde die Ausstellung des jüdischen, linken und antirassistischen Künstlers Philip Guston (1913–1980) wegen Corona um ein Jahr in den Juni 2021 verlegt. Doch aus Angst vor „Black Lives Matter“ verschoben vier internationale Museen die lange geplante Retrospektive neuerlich: Sein Ku-Klux-Klan-Zyklus könnte das Publikum verstören. Chronik eines Kunstskandals.

VON ANDREA SCHURIAN

Philip Guston Now hätte die Ausstellung heißen sollen, fünf Jahre arbeitete Kurator Mark Godfrey an der großen Retrospektive über einen der wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Doch „Now“ ist jetzt einmal gar nichts.

Feigheit und Bigotterie lassen sich derzeit mitunter recht trefflich als Political Correctness schönschminken. So haben die Direktoren der National Gallery in Washington, des Bostoner Museum of Fine Arts und der namensgleichen Institution in Houston sowie der Tate Modern in London (zwei Frauen, zwei Männer zwischen Mitte fünfzig und siebzig, weiße Upperclass) im Herbst eine seit fünf Jahren in Vorbereitung befindliche Retrospektive von Philip Guston vorsorglich gecancelt. Und, mit ängstlichem Blick auf Black Lives Matter, zunächst auf frühestens 2024 verschoben.

Der Kurator der Tate, Mark Godfrey, der dagegen protestierte, weil diese Verschiebung „extrem bevormundend gegenüber Betrachtern“ sei, „denen unterstellt wird, sie seien nicht in der Lage, die Nuancen und den politischen Gehalt von Gustons Werk zu würdigen“, wurde gefeuert. Die vier Museumsdirektoren indes schwafelten in ihrem Gemeinschaftsblabla, in ein paar Jahren könne „die machtvolle Botschaft sozialer und Rassengerechtigkeit, die im Kern seines Werke steckt, deutlicher interpretiert werden.“ Ernsthaft? Philip Guston ist seit nunmehr 41 Jahren tot, er starb am 7. Juni 1980 in Woodstock. Sein Œuvre ist bestens bekannt. Keine kruden Überraschungen wurden posthum im Atelier entdeckt. Es wäre also auch schon bisher ausreichend Zeit gewesen, ihn und sein Werk gründlich zu erforschen, statt mit vagen Rassismusvermutungen schwerst zu beschädigen. Es handle sich dabei um eine beschämende Form vorauseilender Selbstzensur, diagnostizierte Jörg Heiser, Kunsthistoriker und Co-Chefredakteur der internationalen Kunstzeitschrift frieze, in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: „Cancel Culture ist in erster Linie ein konservativer Impuls, Dinge zu verhindern, statt sie kritisch zur Diskussion zu stellen.“

Feigheit der Museen

Heiser ist einer jener internationalen Kunstschaffenden, Kuratoren und Kritiker, die in einem Protestbrief die Vorgangsweise der vier Museumschefs scharf kritisierten (nur Österreichs Szene blieb unbehaglich still, vermutlich will man es sich nicht mit den Chefs der großen Häuser verscherzen). Auch der Kunstkritiker und Guston-Biograf Robert Storr geißelte die „Feigheit der Museen. (…) Gerade jetzt, wo die wiederauflebenden Kräfte des Nativismus und der Bigotterie unmittelbar das Gewebe der amerikanischen Gesellschaft bedrohen, ist der richtige Moment, um Gustons Werk neu zu betrachten.“

Dass Guston, unbeirrt von herablassenden Urteilen zeitgenössischer Kritikerpäpste, mit aller Wucht und subversiver Ironie gegen Rassismus und Antisemitismus anmalte, wird aber sowieso jedem sofort sonnenklar, der sich auch nur peripher mit Gustons Kunst und Leben beschäftigt.

Bad Paintings

Geboren wurde der herausragende Maler der US-amerikanischen Moderne als Philip Goldstein 1913 als jüngstes von sieben Kindern russisch-jüdischer Flüchtlinge. 1919 übersiedelte die Familie nach Los Angeles, wo sich der Vater wenige Jahre später erhängte. Der damals erst zehnjährige Philip fand die Leiche. Leid, Rassismus, Antisemitismus waren Gustons Begleiter von Kindesbeinen an, hautnah erlebte er Übergriffe, ja Lynchmorde, die der Ku-Klux-Klan an Juden und Schwarzen verübte. Diese Erfahrungen und Erlebnisse prägten sein linksliberales Engagement und seine – zunächst abstrakt expressionistische – Kunst. Der Autodidakt etablierte sich – neben Jackson Pollock, Willem de Kooning und Mark Rothko – in der New Yorker Kunstszene als einer der wichtigsten Vertreter des Abstrakten Expressionismus.

Doch er brach mit dem Reinheitsgebot der abstrakten Kunst, sie schien ihm angesichts der Studentenproteste, des Vietnamkriegs und der Rassenunruhen unzulänglich. Stattdessen malte er nun figurativ, wild, anarchistisch, seine in Pink, Rot, Schwarz und kräftigem Blau gemalten, cartoonesken Figuren mit ihren grobschlächtigen Köpfen und Gliedmaßen rauchten und soffen. Seine Bad Paintings gelten als Vorreiter der postmodernen Malerei. In mehreren Zyklen beschäftigte sich Guston mit dem Ku-Klux-Klan, auch sich selbst malte er als Kapuzenmann: „Ich versuchte mir vorzustellen, wie es wohl wäre, wenn ich mit dem Klan leben würde“, erklärte er: „Wie wäre es wohl, böse zu sein?“ Just sein KKK-Zyklus war nun Grund für die Verschiebung: Es bestünde die Gefahr, dass er falsch interpretiert werde und diese Fehlinterpretation die Gesamtheit des Werks überschatten könne. Außerdem wolle man eventuelle „schmerzhafte Erfahrungen“ des Publikums vermeiden.

Kein Safe Space

Ist die Wahrheit dem Menschen echt nicht mehr zumutbar? Selbstständiges Denken unerwünscht? Ein Museum ist kein Safe Space, sondern ein Ort emotionaler Erschütterungen, schöner wie verstörender Erfahrungen. Noch ein paar Jahre falsch verstandener Political Correctness, und das Publikum ist vollentmündigt. Triggerwarnungen an US-Unis (fallweise auch hierorts) vor eventuell unbehaglichen Inhalten weisen die Richtung in eine politisch korrekt gereinigte, schöne neue Kunstwelt, wo es schließlich nur mehr das Reine und Wahre gibt? Cancel Culture, schrieb Marcus Woeller im Feuilleton der Zeitung Die Welt anlässlich der Guston-Verschiebung, sei die Kultur, oder besser: die Unkultur der Absage, des Sockelsturzes, der sozialmedialen Diffamierung aus Gründen der – vermeintlichen – politischen Korrektheit.

2020 war nicht nur, aber auch für Museen ein Albtraumjahr: „Wir sind an einem Punkt angelangt“, schrieb Kurator Mark Godfrey in den sozialen Medien, „an dem große Institutionen Angst haben, Arbeiten wie geplant zu zeigen oder neu zu kontextualisieren. Was sollen Museen in diesen turbulenten Zeiten tun?“ Die vier Museen haben – wohl auch aufgrund des internationalen Aufschreis in der Kunstszene – den geplanten Start der Guston-Ausstellung neuerlich verlegt, diesmal allerdings zeitlich nach vor statt nach hinten: Sie soll jetzt 2022 in der National Gallery of Art in Washington gezeigt werden, ehe sie ihre Tour durch die drei anderen Häuser antritt. Ob dann auch alle Leihgeber bei diesem Verschiebebahnhof für Gustons Kunst wieder mit dabei sind? Musa Mayer, die Tochter des Künstlers und eine der wichtigsten Leihgeberinnen, ist sich da nicht so sicher. Ihr Vater, ließ sie die zögernden Damen und Herren Museumschefs zutiefst verletzt und empört wissen, habe schon vor fünfzig Jahren dem weißen Amerika einen Spiegel vorgehalten und systemischen Rassismus entlarvt.

Philip Guston selbst bestand übrigens gegen Ende seines Lebens darauf, dass das, was er mache, keine Kunst sei. Er nannte sich lieber einen Laborwissenschaftler („laboratory scientist“), einen Feuer- und Schwefel-Prediger („fire-and-brimstone preacher“) oder, am liebsten, einen gequälten Talmudisten („a tortured Talmudist“).

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