Zaubertrank für Generationen

Vom Denkmalsturm nicht bedroht: Die Bronzestatue von René Goscinny in Paris. Im als Regal gestalteten Sockel finden sich die wichtigsten Werke des Autors. © Creative Commons

Berühmt wurde René Goscinny durch den unbeugsamen Gallier Asterix. Aus der Feder des französischen Comicautors stammen aber auch so unterschiedliche Figuren wie Isnogud, Lucky Luke und der kleine Nick. Gemeinsam ist ihnen der hintersinnige Humor ihres Schöpfers.

Von René Wachtel

Isnogud, Umpah-Pah, Lucky Luke und natürlich Asterix und Obelix: Der tiefsinnige Humor seiner Comics ist weltberühmt. Es gibt aber auch eine andere, die persönliche Geschichte von René Goscinny, die so plötzlich im Alter von 51 Jahren endete. Es ist auch eine jüdische Geschichte.

Goscinny wurde im Jahr 1926 als Sohn polnischer Einwanderer in Paris geboren, wuchs aber in Argentinien auf. Sein Vater Stanisław, genannt „Simcha“, arbeitete als Chemie-Ingenieur für die Jewish Colonization Association (JCA), die landwirtschaftliche Kolonien in Palästina und Südamerika gründete, um osteuropäischen Juden eine neue Heimat zu bieten. Eine dieser Kolonien in Argentinien leitete sein Vater. Man sprach zu Hause Jiddisch, schickte aber die Kinder der französischen Kultur wegen auf eine französische Schule. In Argentinien fielen René Goscinny erstmals Comics in die Hände – etwa Patoruzú, eine Serie von Dante Quinterno. Viele sehen in dieser Figur das Vorbild für die Comicserie Umpah-Pah, die Goscinny als Autor und Albert Uderzo als kongenialer Zeichner im Jahr 1958 veröffentlichen sollten.

Durch den frühen Tod des Vaters 1943 musste Goscinny gleich nach der Matura zu arbeiten beginnen – anfänglich Hilfsbuchhalter, fand er bald einen gutbezahlten Job als Zeichner in einer Werbeagentur. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entschloss sich seine Mutter, zu der er bis zu ihrem Tod 1974 eine sehr innige Beziehung hatte, mit den Kindern nach New York zu ziehen. Ein Großteil der polnischen Verwandten war in der Schoah ermordet worden, einer der Onkel aber lebte in New York. Zwar zerschlug sich Goscinnys Traum, als Zeichner bei Walt Disney zu arbeiten, doch im Big Apple lernte er neue Kollegen kennen, etwa Jijé, den Erfinder von Spirou und Fantasio, von Jerry Spring und vom Barbe Rouge, wie Der rote Korsar im Original heißt. Harvey Kurtzman, der später das MAD Magazin gründete, vermittelte ihm einen Job als Zeichner in einem Kinderbuchverlag. Und mit Maurice de Bevere alias Morris entwickelte er in Frankreich die Comicfigur Lucky Luke weiter. Hierhin war er 1951 zurückgekehrt, um das Pariser Büro der World Press Agentur zu leiten.

Geschichten über Geschichten

René Goscinny konzentrierte sich auf das Erfinden und Schreiben der Geschichten, das Zeichnen überließ er denen, die er für besser als sich selber hielt – wie seinem langjährigen kongenialen Partner Albert Uderzo. Jeder auch noch so kleinen Nebenfigur schenkte Goscinny, Meister des hintersinnigen Humors, große Aufmerksamkeit und stattete sie mit besonderen Charaktereigenschaften aus: Bei Asterix ist das beispielsweise der Barde Troubadix oder bei Lucky Luke die Dalton-Brüder.

Gemeinsam mit Kollegen gründete er im Jahr 1963 die Zeitschrift Pilote, die er bis 1974 auch als Chefredakteur prägte. Viele noch heute erfolgreiche Comicstories wurden in dieser Jugendzeitschrift erstmals einem breiten Publikum vorgestellt. Gleich in der ersten Ausgabe erschien die erste Folge von Asterix, dessen sensationeller Erfolg bis heute ungebrochen ist: Damit war Goscinny weltberühmt. Gemeinsam mit Uderzo gründete er 1974 das Studio Idefix, das größte Zeichentrickfilmstudio Europas vor den Toren von Paris, in dem bis zu 50 Zeichner arbeiteten.

Goscinny war ein Workaholic, saß tage- und nächtelang an seiner Schreibmaschine in seinem Büro im 16. Arrondissement. Schrieb Geschichten, entwickelte Szenarien für einen neuen Asterix oder für ein neues Abenteuer von Lucky Luke. Mit der Figur Isnogud schrieb er wöchentlich einen aktuellen Kommentar für die Sonntagszeitschrift Le Journal de Dimanche; er war gerngesehener Gast im Fernsehen oder auch bei Empfängen des französischen Staatspräsidenten; er ging auf Vortragsreisen, viele davon führten ihn nach Deutschland.

Keine jüdischen Figuren

Aber Goscinny hatte auch gravierende geschäftliche Probleme mit seinem Verleger Georges Dargaud. Die jahrelangen Streitereien gipfelten Ende der Sechzigerjahre im endgültigen Bruch. Und auch von privaten Problemen blieb er nicht verschont: Nach einem Herzinfarkt 1977 verbot der Arzt dem Kettenraucher strikt den Nikotinkonsum.

Im Sommer 1977 unternahmen René und seine Frau Gilberte gemeinsam mit Tochter Anne und einem befreundeten Ehepaar ihre erste Reise nach Israel. Goscinny war tief bewegt, besonders vom Ausflug nach Jerusalem und zur Klagemauer. Möglicherweise entstand in Israel die Idee für eine neue Comicserie, in der zum ersten Mal eine jüdische Figur eine Rolle gespielt hätte. Denn nach seiner Rückkehr nach Frankreich soll Goscinny sich mit Büchern über Israel eingedeckt haben. Doch so weit sollte es nicht kommen. Am 5. November 1977 ging er zu einer Herzuntersuchung. „Bis gleich, mein Kätzchen!“, verabschiedete er sich von seiner damals neun Jahre alten Tochter. Aber er kam nicht mehr zurück. In der Klinik brach er am Ergometer tot zusammen.

René Goscinny wurde nur 51 Jahre alt. Begraben ist er am jüdischen Friedhof in Nizza. Und obwohl er nicht religiös war, vermachte er dem Rabbinat in Paris eine große Summe aus seinem Erbe.

Kunterbuntes Lebenswerk: Goscinny galt als einer der bekanntesten Comicautoren des 20. Jahrhunderts.
© Institut René Goscinny

Dem Drama ein Gesicht geben

Die Tochter des Asterix-Erfinders ermöglichte eine Biografie über die Familie Goscinny, gezeichnet von der Französin Catel.

Von Peter Pisa

Neun Jahre nach dem Tod des Vaters stürmte Anne Goscinny an ihrem 18. Geburtstag zu einem Pariser Kardiologen und kündigte an, ihn zu erschießen. Der Hometrainer stand noch dort. Auf ihm war am 5. November 1977 René Goscinny fürs Belastungs-EKG gesessen; und klagte, während er in die Pedale trat, über Schmerzen in Brust und Armen. Der Arzt entgegnete: „Noch 20 Sekunden.“ Goscinny fiel um.
Es ist wahr: Anne Goscinny wollte dem Drama ein Gesicht geben. Aber sie hatte keine Waffe mit. (Als sie ging, sagte der Arzt: „Im Übrigen hat Ihre Familie mir nie ein Honorar gezahlt.“)
Damit beginnt Die Geschichte der Goscinnys. Der Comic bzw. die Graphic Novel über eine Familie, die man gern kennengelernt hätte. Anne Goscinny konnte die Zeichnerin Catel dafür gewinnen, ein Glücksgriff.
Jetzt hört sie ihren Vater – Autor von Asterix, von Lucky Luke, dem bösen Großwesir Isnogud, dem kleinen Nick – wieder in die Schreibmaschine klopfen. Sie hört ihn erzählen. Sie hört ihn lachen. Wobei sie überzeugt davon ist, dass mit dem Zaubertrank, den René Goscinny in Gallien brauen ließ, das Lachen gemeint ist.
Viele Mitglieder der jüdischen Familie waren in Auschwitz ermordet worden, während der kleine René mit seinen Eltern in Argentinien war. Sein Vater hatte dort Arbeit als Chemieingenieur. Nach der Rückkehr nach Frankreich mussten seine Welt und die ganze Welt zum Lachen gebracht werden – wie es Laurel und Hardy immer gelang, seinen erklärten Lieblingen.
Deshalb war Asterix klein (und nicht, wie es Zeichner Albert Uderzo wollte, ein großer starker Held); und Obelix ein bisschen dumm und dick. Auch Anne Goscinny und Catel wurden ein gutes Team: Sie gaben dem kleinen Nick eine große Schwester: Le monde de Lucrèce (noch nicht übersetzt).

Dieser Text erschien erstmals in der Tageszeitung „Kurier“. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

Catel
Die Geschichte der Goscinnys
Carlsen Verlag, Hamburg 336 S., EUR 28,80

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