Von Träumen und Tänzen

Das Rubin-Museum mitten in Tel Aviv: Die Bilder des Künstlers zeugen vons einer Liebe zu seiner israelischen Heimat. © WWW.RUBIN-MUSEUM.ORG

Eine kleine Auswahl meiner Begegnungen mit Israelis aus mehreren Jahrzehnten.

Von Otmar Lahodynsky

Als Journalist bereiste ich oft Israel. Aber neben dienstlichen Aufträgen für das profil war ich immer gerne auch privat in diesem Land und jedesmal beeindruckt von Begegnungen mit Israelis, egal welcher Alters- oder Berufsgruppe sie angehörten.

Da war im Sommer 1985 dieses liebenswerte, gastfreundliche Ehepaar, das ein kleines Strandhotel in Netanya führte. Sie eine Wienerin, die in den 1930er Jahren als junge Zionistin nach Israel ausgewandert war. Er ein Pole, der als junger Mann seine Familie zurückließ und dann zur Gänze in der Schoa verlor. Auch die Familie der Wienerin wurde in der Schoa umgebracht. Und dennoch fand sie bei Gesprächen mit mir und meiner Frau Ulli nur nette Worte. Nein, nach Wien wolle sie nicht mehr reisen „da würden zu viele Erinnerungen wach“, sagte sie leise. Aber dann fragte sie uns, ob im Kursalon Hübner immer noch Tanzveranstaltungen stattfänden. Dort habe sie als junges Mädchen gerne Walzer getanzt. Ich bejahte ihre Frage, und merkte, dass sie sich freute. Es gab auch gute Erinnerungen an ihre Jugend in Wien.

Auf der folgenden Reise durch Israel mit dem Leihwagen besuchten wir Arik Brauer in seinem Haus in den Bergen über Haifa. Auf dem Weg nahmen wir einen jungen Soldaten als Autostopper mit. Er sprach kein Wort Englisch. Plötzlich erklärte er uns die Weiterfahrt – auf jiddisch. Und das war für uns nicht schwer zu verstehen. So fanden wir den richtigen Weg.

Das Ehepaar Brauer nahm uns freundlich auf, wir plauderten im Garten bei Tee und Kuchen. Arik Brauer verwies auf die vorherrschenden Braun- und Grüntöne der Landschaft, die sich auch in seinen Bildern wiederfinden: „Hier kann ich frei arbeiten und werde nicht – wie in Wien – ständig abgelenkt.“ Aber Besuche aus Wien seien ihm willkommen, meinte er lachend und freute sich über die mitgebrachten profil-Ausgaben. Sorgen bereitete ihm damals das Erstarken der FPÖ, „aber heute habe ich eine Zufluchtstätte, wenn es wieder gegen uns losgehen sollte.“

Die zwei Farben kamen mir später im Rubin-Museum in Tel Aviv wieder in den Sinn. Reuven Rubin, ein 1923 aus Rumänien zugewanderter Maler, hatte anfangs zu wenig Geld für Ölfarben, so las ich im Museumsführer. Also kaufte er nur die Farben Braun und Grün, denn damit konnte er die Landschaft seiner neuen Heimat auf die Leinwand bringen. Rubin kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg als erster Botschafter Israels nach Rumänien zurück. Da war er schon ein weltweit gefeierter Maler.

Ein immer interessanter und kundiger Gesprächspartner in Israel war Ben Segenreich, jahrelanger ORF-Korrespondent. Er gab mir wertvolle Hintergrundinformationen, gerne in seinem Lieblingscafé am Strand. „Israel ist ein Land, das ständig neue Fragen aufwirft. Bei allen Fehlern bleibt es aber die einzige Demokratie im Nahen Osten“, erklärte er einmal.

Uri Avnery, den aus Deutschland gebürtigen Journalisten und späteren Friedensaktivisten, habe ich oft und gerne getroffen. Der Mitbegründer der Menschenrechtsorganisation Gusch Schalom (Friedensblock) sprach sich für eine Zweistaatenlösung und gegen die israelische Besetzung der Palästinensergebiete aus. Mit PLO-Chef Yasser Arafat wäre ein Friedensvertrag möglich, weil er in seinem Volk ausreichend Autorität besitze, sagte er mir lange vor dem 1993 initiierten Abkommen von Oslo, das später scheitern sollte.

Meinen in Tel Aviv geborenen Freund Samy Birnbach habe ich in den 1980ern in Brüssel kennengelernt. Er war Leadsänger der israelischen New Wave Kultband Minimal Compact, die europaweit Erfolge feierte. In seinen zeitlos wirkenden Songs tauchen ständig Erinnerungen an seine Heimat auf. Seltene Reunion-Konzerte in Israel sind ohne große Werbung binnen Stunden ausverkauft. Ende 2019 war ich bei mehreren Auftritten dabei, im ehrwürdigen Konzertsaal Charles Bronfman Auditorium und in einem Club am Hafen.

Samy ist froh, unter der neuen Rechtsregierung von Benjamin Netanjahu nicht in Israel leben zu müssen. Junge Leute würden derzeit auch wegen der immens gestiegenen Mieten Tel Aviv verlassen, erzählt er. Seit seiner Heirat mit einer Wienerin ist Samy österreichischer Staatsbürger und musste daher seinen israelischen Pass abgeben. Er hatte gehofft, dass unter Benny Gantz der jüngst erfolgte Rechtsruck in Israel vermieden werden könnte: „Jetzt droht eine neue Intifada, weil bei uns korrupte Extremisten und Wahnsinnige regieren“. Mit Sorge beobachtete er schon vor einigen Jahren die Radikalisierung unter israelischen Arabern. In einem beliebten Café an der Dizengoff-Straße schoss ein Palästinenser wahllos auf Gäste. Wir hatten dort nur kurz davor zusammen an einem Tisch gesessen.

In einem Café in Tel Aviv habe ich 2016 auch Jair Lapid interviewt, der damals noch Oppositionspolitiker und zuletzt unter Premier Bennett Außenminister war. Er war entsetzt über die Gewalttaten junger Palästinenser, für die er islamistische Hetzer verantwortlich machte. „Europa und die USA haben geglaubt, man könne den islamistischen Terror hier im Nahen Osten gleichsam einschließen – also auf Syrien, den Irak, das Westjordanland und Gaza beschränken. Jetzt sehen alle, dass dies nicht funktioniert. Terror kennt keine Grenzen. Und er spaltet die Welt in zwei Hälften: Es gibt die Angreifer und die Opfer. Es handelt sich um Terror gegen die zivilisierte Welt.“

Für eine Reportage über jüdische Siedler im Westjordanland interviewte ich einige Zuwanderer, von denen die meisten aus den USA stammten. In Hebron wohnte eine Jungfamilie in einem mit Stacheldraht umzäunten Haus mitten im Zentrum, wo sonst fast nur Palästinenser leben. „Wir sind hier, weil dieses Land uns Juden gehört“, erklärte mir eine aus Philadelphia eingewanderte junge Mutter: „Es ist unser Recht und unsere Pflicht, hier zu sein.“

Nicht weit entfernt liegt die Höhle, in der angeblich Abraham, seine Frau Sarah und seine Kinder bestattet wurden. Der Patriarch wird als Prophet Ibrahim zusammen mit seinem Sohn Ismael auch von Muslimen verehrt. Der US-amerikanische Komponist Steve Reich hat über die Höhle der Urväter der drei monotheistischen Religionen die Oper The Cave geschrieben. Eine Vision vom harmonischen Zusammenleben von Juden, Muslimen und Christen, die im heutigen Israel realitätsfremder denn je erscheint.

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