Pro und Contra: Twitter & Co.

Dass dem vormaligen US-Präsidenten Donald Trump sein liebster Messengerdienst gesperrt wurde, sorgte nicht nur beim republikanischen Wahlverlierer für Empörung. Das sei politische Zensur, sagen die einen. Das Recht auf Meinungsfreiheit sei dadurch keineswegs in Gefahr, entgegnen die anderen. Passen sich Twitter & Co. damit der Cancel-Kultur an?

Pro: Kein Recht auf veröffentlichte Wut

KOMMENTAR VON ANDREA SCHURIAN

Was heute die Echo-Blase ist, war früher einmal das Extrazimmer im Wirtshaus. Heute trifft man sich auf Twitter, früher am Stammtisch, zumindest auf dem Land wusste man meist ganz genau, in welchen Wirtshäusern eher die Roten politisierten und wo die Schwarzen, die Blauen oder die Grünen. Da ging es auch ziemlich deftig und verbalradikal zu, war die Stimmung aufgeheizt, wurden Politiker und Andersdenkende Trottel und Übleres geschimpft. Doch man kannte einander, trank ein Versöhnungsseidl, konnte notfalls einen Bogen um die jeweilige Gasthausblase machen – oder fasste schlimmstenfalls Lokalverbot aus. In diesem Wirtshaus konnte man dann seine Meinung jedenfalls nicht mehr kundtun.

Heute wütet man mit einer 280-Zeichen-Stummelsprache auf Twitter. Doch in der Kürze liegt eine ungesunde Würze, spätestens seit Donald Trump hat sich die Twitterei als ein die Psychohygiene gefährdender Sprechdurchfall entpuppt, unser heimisches Politikpersonal, egal welcher Couleur, laboriert ebenfalls an akuter Logorrhoe. Und seriöse Journalistinnen und Journalisten konterkarieren ihre gute Arbeit emsig mit sozialmedialer Schwatzsucht und twitteröser Inkontinenz: Nicht zuletzt, weil es in Österreich keine verbindlichen Regeln für das Twitterverhalten von Zeitungsredakteuren oder TV-Moderatoren gibt.

Die New York Times hat bereits seit 2017 strenge Verhaltensregeln zu Social-Media-Aktivitäten der Mitarbeiter aufgestellt, 2020 wurden sie nochmal kräftig angezogen: Newsroom-Mitarbeiter müssen alle Äußerungen vermeiden, die das Neutralitäts- und Fairnessgebot der Zeitung beschädigen könnten. Die mehrfach ausgezeichnete NYT-Journalistin Lauren Wolfe hielt sich nicht daran, sondern twitterte glücklich, sie habe bei der Ankunft Bidens in Washington „chills“ gehabt, also Gänsehaut. Der Vertrag der freien Mitarbeiterin wurde aufgelöst. Ende der Meinungsfreiheit?

Der täglich munter und recht aufwiegelnd in die Welt zwitschernde Donald Trump musste nicht nur eine bittere Wahlniederlage schlucken; Twitter hatte rund zwei Wochen vor Ablauf seiner Amtszeit seinen Account mit mehr als 80 Millionen Abonnenten gesperrt, weil Trump stur darauf beharrte, um den Wahlsieg betrogen worden zu sein und Sympathien für die Kapitol-Stürmer äußerte, ja, diesen Sturm mit seinen Tweets befeuert habe. Wie es aussieht, gibt es für den Ex-Präsidenten keinen Weg zurück: „Unsere Regeln sollen dafür sorgen, dass niemand zur Gewalt anstiftet. Wenn jemand das tut, entfernen wir ihn von der Plattform – und unsere Regeln erlauben es Leuten nicht zurückzukommen“, sagte Finanzchef Ned Segal Mitte Februar in einem Interview mit dem TV-Sender CNBC.

Auch Facebook hat Trump blockiert, lässt den Schritt aber von einem unabhängigen Gremium prüfen. Youtube wiederum löschte eine mit Falschaussagen garnierte, bösartiger Hetze zum Verwechseln ähnelnde Anti-Corona-Brandrede von Herbert Kickl. Huch. Aufregung im weltweiten Vogelgezwitscher. Das sei Zensur, die freie Meinungsäußerung in Gefahr, warnen nun selbst Menschen, die üblicherweise nicht zum Verteidigungsheer von Trump und Kickl zählen. Sogar Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel bekundete, dass sie die dauerhafte Suspendierung von Trumps Account für problematisch halte: Soziale Netzwerke seien zwar verantwortlich dafür, dass auf ihren Plattformen kein Hass oder Anstiftungen zur Gewalt gepostet werden. Aber die Meinungsfreiheit Einzelner dürfe nicht von privaten Unternehmen eingeschränkt werden.

Echt? Meinungsfreiheit ist eine der Säulen der Demokratie; ein hohes Gut, das in Österreich im Artikel 13 der Verfassung verankert ist: Dieses Recht, „durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern“, ist allerdings weder durch die Sperrung eines Twitter-Accounts noch die Löschung eines Youtube-Videos in Gefahr. Denn Youtube, Twitter, Facebook, Google sind, ähnlich wie Zeitungsverlage, private Medienunternehmen.

Wer die Flut an eingehender Post in den Tageszeitungen kennt, weiß, dass nur ein Bruchteil der Leserzuschriften nach bestimmten Auswahlkriterien publiziert wird. Auch ihre Online-Plattformen reinigen Medien von den allerübelsten Wutpostern. Gilt diese Selektion dann auch als Einschränkung der freien Meinungsäußerung?

Tatsache ist, dass manch eine/r sich schneller in Rage schreibt, als er oder sie denken kann. Trump gehörte ganz offensichtlich zu dieser Spezies. Er darf ja eh auch alles sagen, was er möchte. Aber muss das auch veröffentlicht werden?

Kontra: Zensur auf sozialen Medien

KOMMENTAR VON MARTIN ENGELBERG

Es war eine verwunderliche Reaktion: Als Facebook und in weiterer Folge auch Twitter sowie andere soziale Medien die Accounts von Donald Trump sperrten, jubelten viele Menschen – in den USA ebenso wie in Europa. Aber geht es hier nicht um die Rede- und Meinungsfreiheit, eines der höchsten Güter eines liberalen Rechtsstaates?

Oft höre ich das Argument, soziale Medien seien private Unternehmen und dürften daher ihre eigenen Regeln aufstellen, schließlich sei es auch das Recht der Hausbesitzer, die Hausordnung zu bestimmen. Auch die berühmte Aussage des US-Verfassungsrichters Oliver Wendell Holmes wurde mir entgegengehalten, wonach niemand das Recht hätte, fälschlich „Feuer!“ in einem vollbesetzten Theater zu schreien.

Damit stellen sich zwei Fragen. Erstens: Darf jede/r sagen, was er/sie will? Und zweitens: Sind soziale Medien Privatbereiche, wo der Hausherr die Regeln bestimmen kann?

Die erste Frage ist schnell beantwortet: Selbstverständlich erlaubt z.B. die Europäische Menschenrechtskonvention Einschränkungen der Redefreiheit, und zwar jene, „die notwendig sind für die nationale … oder die öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer …“. Darüber, welche Einschränkungen der Redefreiheit tatsächlich zulässig sind, entscheiden selbstverständlich unabhängige Richter bzw. Gerichte, das garantiert auch das österreichische Bundesverfassungsgesetz.

Kommen wir zu Frage zwei: Sind soziale Medien tatsächlich nichtöffentliche Bereiche, wie eine Wohnung, ein Theater oder ein privates Unternehmen? Das würde bedeuten, dass es jedem offenstünde, Twitter & Co. nicht zu benützen, wenn einem die dort geltenden Regeln nicht passen. Dem ist aber – bislang – nicht so! Die Betreiber der sozialen Medien haben bisher darauf gepocht, ihren Nutzern lediglich neutrale Plattformen zur Verfügung zu stellen. Sie haben ihre Medien damit selber zu einem öffentlichen Raum gemacht. Erst in den letzten Jahren, als in den USA der Druck auf Unternehmen stärker wurde (siehe auch: Political Correctness), verschreiben sich Firmenbosse immer öfter dem politischen Trend konformen Zielen.

Nicht anders ist es zu verstehen, dass die sozialen Medien gerade jetzt Donald Trump gesperrt haben. Nicht in all den Jahren zuvor, in denen es genug Anlässe gegeben hätte. Nicht gesperrt wurde bis dato zum Beispiel der iranische Revolutionsführer Ayatollah Khamenei, der seit Jahr und Tag auf Twitter zur Auslöschung Israels aufruft. Gelöscht wurde auch nicht ein ganz bestimmter „Tweet“ von Trump, sondern gleich sein Zugang insgesamt – und zwar in einer konzertierten Aktion der wichtigsten Plattformen wie Twitter, Facebook und Youtube. Das hat mit Zivilcourage oder gesellschaftlicher Verantwortung reichlich wenig zu tun. Vielmehr haben die Tech-Firmen jahrelang von Trumps Agieren auf ihren Plattformen mehr als gerne profitiert, weil er ihnen einen enormen Zulauf bescherte. So riecht Trumps Verbannung am Ende seiner Amtszeit und angesichts der neuen Regierung Biden, die zu staatlichen Regulierungen neigen wird, nach purem Opportunismus gegenüber der Politik und dem Zeitgeist.

Wie aber umgehen mit Rowdys in sozialen Netzwerken? Besonders in Europa wird schnell nach dem Staat gerufen. Die EU arbeitet bereits an einer eigenen Gesetzgebung, dem „Digital Services Act“ (DSA). Als überzeugter Liberaler bin ich mehr als skeptisch gegenüber allzu schnellen Eingriffen durch den Staat und insbesondere die EU. Die Vorstellung, es würden künftig Behörden darüber entscheiden, was auf Twitter & Co. gesagt werden darf und was nicht und welche Politiker zu entfernen sind, ist ein Gräuel.

Nein, die Verantwortung ist jetzt, mehr denn je, den Tech-Unternehmen zu übertragen. Sie sind längst keine neutralen Plattformen mehr. Sie müssen ihre eigenen Überwachungskapazitäten mit qualifizierten Personen weiter ausbauen. Ihre Regeln müssen transparent und nachvollziehbar sein. Schwierige Fälle müssen durch unabhängige Richtergremien abgehandelt werden – schnell, transparent und mit Berufungsmöglichkeiten. Nach den bestehenden Gesetzen des jeweiligen Landes, bzw. falls diese keine Rechtsstaaten sind, durchaus nach den überaus elaborierten Standards für Redefreiheit in den Vereinigten Staaten. Die Chefs von Twitter & Co. dürfen jedenfalls nicht zu obersten Richtern werden.

Wir müssen den neuen Herausforderungen der Meinungsfreiheit in den sozialen Medien durch kluge und überlegte Maßnahmen begegnen, nicht durch Zensur – weder durch Behörden und schon gar nicht durch ein Oligopol von Firmenbossen.

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