Langes Leben und langsames Sterben

Ob Qualitätsmedien wieder an Bedeutung gewinnen, liegt nicht unbedingt an der Qualität des Drucks. © PIXNIO

Internet und Wirtschaftskrisen setzen Printmedien gehörig zu. Um überhaupt eine Chance zu haben, müssen Verlage für Zeitungen neue Geschäftsmodelle für das digitale Zeitalter entwickeln und Qualität forcieren.

Von Hedi Schneid

Michael Fleischhacker, viele Jahre Chefredakteur der Tageszeitung Die Presse und nun Moderator bei Servus TV, machte sich schon vor Jahren Gedanken über die Zukunft der Zeitung, und zwar der „klassischen“, auf Papier gedruckten. 2014 erschien sein vielbeachteter Essay „Die Zeitung – ein Nachruf“, der heute noch Gültigkeit hat. Fleischhackers Befund: Papierzeitungen sterben. Aber ihre Inhalte, Nachrichten und Kommentare leben digital weiter – und bieten so eine Chance, den in einer Demokratie so wichtigen Dialog aufrechtzuhalten, wenn nicht sogar zu fördern.

Die Diskussion über die Überlebenschance von Printmedien, genau genommen den täglich erscheinenden Zeitungen, gibt es indes schon lange, das Schlagwort vom Zeitungssterben ist in der Pressegeschichte nicht neu. Das Magazin Economist titelte schon 2006: „Who killed the Newspaper?“ Mit der Antwort sind Verleger und Journalisten gleichermaßen schnell bei der Hand: Seit die Digitalisierung auch das Geschäft mit der Nachricht erfasst hat, führen gedruckte Zeitungen einen Kampf gegen das Internet – und kannibalisieren mit ihren eigenen Online-Angeboten sich selbst. Sagen die einen. Andere wiederum bescheinigen der Tageszeitung eine glänzende Zukunft, allerdings mit einem großen Wenn: Das Geschäftsmodell müsse neu ausgerichtet werden.

Teufelskreis

Faktum ist, dass Printmedien in schweren wirtschaftlichen Turbulenzen sind. Der enorme Schwund an gedruckten Anzeigen – der Haupteinnahmenquelle von Tageszeitungen – wird von Konjunktureinbrüchen, wie es sie infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09, der Pandemie und nun durch den Ukrainekrieg gab und gibt, zusätzlich befeuert. Verkaufsrückgang bedeutet Reichweitenverlust, und der wirkt sich unmittelbar auf die Werbefreudigkeit der Inserenten aus. Das wiederum führt zu einer Umsatz- und Gewinnerosion. Ein Teufelskreis, dem sich die Verlage trotz wiederholter harter Sparmaßnahmen bisher nicht entziehen konnten, zumal E-Paper (die digitale Zeitung) und Online-Nachrichten die Umsatzausfälle im Print noch nicht wettmachen. Was auch damit zusammenhängt, dass die Leser erst langsam von den anfänglichen Gratis-Angeboten auf kostenpflichtige Digital-Abos umgewöhnt werden müssen.

Printmedien gelten als Frühindikatoren – wenn es mit der Wirtschaft bergab geht, sparen Unternehmen zuerst bei der Werbung. Daran ändert auch das auf die Zeitungslandschaft umgemünzte Zitat des griechischen Philosophen Heraklit nichts, wonach der Krieg der Vater aller Dinge sei. Oder doch? Es mag zynisch klingen, aber gerade in unsicheren Zeiten, wie wir sie auch jetzt wieder durchleben, gewinnen Qualitätsmedien an Bedeutung. Viele Menschen merken, dass News, in den sozialen Medien auf wenige Schlagzeilen heruntergebrochen und zudem oft falsch, keine Alternative zu fundierter Information darstellen.

Dennoch: Laut dem Eurobarometer 2020/21 der EU-Kommission liest nur ein Fünftel der EU-Bürger täglich ein gedrucktes Presseerzeugnis, vier Prozentpunkte weniger als noch Anfang 2021. 28 Prozent lesen nie gedruckte Zeitungen. Der Anteil der Befragten, die zumindest einmal in der Woche zu einem Printmedium greifen, ist seit 2018 von 56 auf 51 Prozent gefallen. Wobei es zwischen den Staaten erhebliche Unterschiede gibt: Während in Finnland, Schweden und den Niederlanden mehr als die Hälfte der Bevölkerung täglich zur Zeitung greift, sind es in Polen, Rumänien und Bulgarien weniger als zehn Prozent.

Sinkende Zahlen

Diesen Trend belegen die weltweit sinkenden Verkaufszahlen, wobei die Daten aufgrund verschiedener Zählweisen schwer vergleichbar sind. Die Beispiele sprechen für sich: In Österreich ist die wöchentliche verkaufte Auflage der Tageszeitungen von 2015 bis 2021 von 1,6 auf 1,4 Millionen zurückgegangen. Deutlich stärker fiel die Erosion in Deutschland aus: Wurden 1991 noch 27,3 Millionen Zeitungsexemplare verkauft, waren es 2021 nur mehr 12,3 Millionen – ein Rückgang um mehr als die Hälfte. Die Zahl der Zeitungstitel sank von 1991 bis 2018 von 158 auf 114. Ähnlich ist die Entwicklung in Italien. Auch in Israel gehen die Auflagen zurück, wobei die großen Tageszeitungen Haaretz, Jedi’ot Acharonot und Ma’ariv zusätzlich von der Gratiszeitung Israel Hayom stark bedrängt werden.

Besonders krass ist die Situation in den USA. Während sich etwa beim Flaggschiff New York Times der Auflagenrückgang bei den Werktagsausgaben seit 2015 mit 26.000 Stück in Grenzen hält, gab es bei den in dem riesigen Land so wichtigen Lokalzeitungen einen regelrechten Kahlschlag. Einer Studie des Instituts für Publizistik der Northwestern University zufolge wurden seit 2005 rund 2500 Zeitungen eingestellt, ein Viertel der einstigen stolzen Zahl von 10.000. In den nächsten drei Jahren dürften noch einmal 500 Lokalblätter verschwinden. Was die Autoren der Studie Alarm schlagen lässt, ist der Umstand, dass es in zwei Dritteln der mehr als 3000 US-Bezirke schon jetzt gar keine oder nur eine Tageszeitung gibt. Das sei eine schwere Bedrohung für die Demokratie, lautet die Warnung der Studienautoren – vor allem in einem Land, in dem sich die politischen, ideologischen, sozialen und gesellschaftlichen Gräben ohnedies stetig vergrößern.

Neue Unabhängigkeit

Was kommt also nach der Gutenberg-Galaxis? Ein Patentrezept gegen das Zeitungssterben gibt es nicht. Auch wenn die meisten Verlage ihre Printprodukte nun auch im Internet anbieten und damit auch Erfolg haben – die NYT etwa steigerte seit 2015 die Zahl der Digital-Abos von 1,1 auf 8,8 Millionen. Die Zahl der Abos sagt aber noch nichts über den wirtschaftlichen Erfolg aus. Zeitungen müssen umdenken, neue Geschäftsmodelle für das Netz entwickeln, wollen sie im digitalen Zeitalter Einnahmen aus der Onlinewerbung lukrieren und (wieder) Gewinne schreiben, lautet der Tenor der Experten. Und sie müssen vor allem eines schaffen: sich von politischer Einflussnahme, etwa über Inserate von Parteien, unabhängig machen und dies auch vermitteln. Dann könnte auch die digitale Presse die vielfach postulierte „vierte Gewalt“ im Staat sein – das in einer funktionierenden Demokratie so wichtige Korrektiv.

Dem 3D-Drucker gehört die Zukunft, weil er außer Papier andere lustige Dinge ausspuckt, die man zwar nicht lesen, aber zum Beispiel essen kann. © Karolina Kaboompics for rawpixel.com
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