Hundert Jahre und sehr weise

Bis vor ein paar Jahren bin ich auf die Rax gestiegen“: Hans Hacker in Los Angeles, 2018. © Daniela Markus

Hans Hacker, Jahrgang 1919, hängt immer noch an Wien, von wo er vor mehr als 80 Jahren vertrieben wurde. Dieser Tage kam er wie jedes Jahr wieder in seine alte Heimat. Das Porträt eines Grandseigneurs.

Die „k. u. k. Hof-Silberwarenfabrik Moritz Hacker“ war eine der angesehensten Metallerzeugungsfirmen in Wien, bis die Familie 1938 von den Nazis in die Flucht und in den Tod getrieben wurde. Hans ist der letzte Hacker, der diese Zeit noch erlebt hat und von der Verfolgung betroffen war. Heute lebt er in Kalifornien, kommt aber jedes Jahr nach Wien und Payerbach, um die Freunde, die ihm hier geblieben sind, wiederzusehen.

Die Reise zu den Stätten seiner Kindheit und Jugend wäre nichts Besonderes, würde Hans Hacker heuer nicht 100 Jahre alt. Er ist, wenn er mit seiner hohen, schlanken Figur forschen Schritts durch Wien marschiert, eine eindrucksvolle Erscheinung. Nicht minder eindrucksvoll ist’s, wenn er aus seinem Leben erzählt. Schnell und wachsam ist sein Geist, treffsicher der Humor. Auf die Frage, ob er sich mit Österreich versöhnt hätte, sagt er: „Ich musste mich nicht versöhnen, ich war ja nie bös auf Österreich, Österreich war bös zu mir.“

Die von seinem Großvater Moritz Hacker gegründete Silberwarenfabrik belieferte Hotels und Restaurants in allen Teilen der Monarchie mit Besteck und Tafelsilber, das Kolo Moser und andere prominente Künstler entworfen hatten. Die Firma wurde 1938 „arisiert“ und – wie so viele blühende Unternehmen – bald von den Nazis kaputtgewirtschaftet.

Kavallerie gegen Bomben

Hans Hacker wurde am 6. November 1919 in Wien geboren und musste bereits mit fünf Jahren den ersten Schicksalsschlag erleiden, als seine Mutter an Krebs starb. Er wuchs mit seinem um fünf Jahre älteren Bruder Friedrich in einem assimilierten Umfeld auf, der Vater kümmerte sich vor allem ums Geschäft, „für uns waren eine Köchin und ein paar Nachhilfelehrer da, bei denen wir nicht viel gelernt haben, eher haben wir denen das Bridgespielen beigebracht.“

Obwohl sie in einem gutsituierten Haushalt lebten, wurden die Söhne – das war dem Vater besonders wichtig – zu absoluter Sparsamkeit angehalten. „Wir mussten, wenn wir einen Raum auch nur für kurze Zeit verließen, das Licht abdrehen, und im Restaurant bekamen wir nur die billigsten Speisen.“ Mit einem bitteren Lächeln kommentiert Hans Hacker heute, „dass wir letzten Endes für die Nazis gespart haben, und auch die Sparbücher, die unser Großvater für uns angelegt hat, kassierte dann der Herr Hitler“.

Nach der Matura am Gymnasium Stubenbastei wollte Hans Hacker Österreich gegen die nationalsozialistische Gefahr verteidigen. „Ich ging als Einjährig-Freiwilliger zur Kavallerie des Bundesheeres, was eine Schnapsidee war, da ich der einzige Kavallerist war, der nicht reiten konnte.“ Er verstand auch sonst wenig von militärischen Fragen, erkannte aber bald, „dass sich Österreich mit dieser Truppe vielleicht gegen Liechtenstein hätte verteidigen können, aber gegen sonst niemanden. Am 11. März 1938 mussten wir noch wie in einer schlechten Operette unsere Säbel schleifen, am nächsten Tag ist Hitler einmarschiert, und über unsere Kaserne in Stockerau flogen ein paar Dutzend Bombenflugzeuge. Und dennoch“, meint Hacker, „hätte sich Österreich verteidigen müssen. Man kann nicht sagen ,Rot-Weiß-Rot bis in den Tod‘ und dann das Land kampflos aufgeben.“

Während seine beiden Großmütter in Theresienstadt ermordet wurden und auch andere Verwandte dem Holocaust zum Opfer fielen, gelang Hans Hacker, seinem Vater und seinem Bruder die Flucht über Prag und London in die USA, wo er sich nach dem Krieg eine neue Existenz aufbaute. Er studierte Elektrotechnik, wurde Fabrikdirektor und war bis nach seinem 80. Geburtstag berufstätig.

Großer Bruder Friedrich

Sein Bruder wurde indes ein berühmter Psychiater: Friedrich Hacker, der in Wien noch Sigmund Freuds Vorlesungen besucht hatte, eröffnete in Los Angeles die renommierte Hacker Clinic, zu deren Patienten Hollywoodprominenz von Robert Mitchum über Judy Garland bis Ray Charles zählte. Ab den 1960er-Jahren der weltweit führende Terror- und Aggressionsforscher, half Friedrich Hacker den Mord an der Schauspielerin Sharon Tate und den Überfall auf die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen in München aufzuklären. In der Wiener Berggasse ließ er als Präsident der Freud-Gesellschaft in den früheren Wohnräumen des „Vaters der Psychoanalyse“ das heutige Sigmund-Freud-Museum einrichten.

Die Hacker-Brüder flogen Jahr für Jahr gemeinsam nach Österreich, nach Friedrichs Tod im Jahr 1989 kam Hans weiterhin regelmäßig mit seiner Frau Lisl. Diese, gebürtige Wienerin wie er, hatte er mit 16 Jahren bei einer Vorstellung im Ronacher kennengelernt, danach waren sie 78 Jahre ein glückliches Paar mit zwei Söhnen: Michael lebt als Drehbuchautor in Los Angeles, Anthony als Psychologe in Seattle.

Seit Lisls Tod vor sechs Jahren kommt Hans Hacker jedes Jahr allein nach Österreich, wohnt im Loos-Haus in Payerbach an der Rax, fährt aber fast täglich mit der Bahn nach Wien. Zu seinen Freunden zählten einst – wohl infolge seiner Weisheit und seines unverwüstlichen Humors – Bruno Kreisky, Curd Jürgens, Susi Nicoletti und Helmut Qualtinger. Seit fünf Jahrzehnten ist Hugo Portisch einer der engsten Freunde, der „Hackers Verbundenheit mit Österreich bewundert. Hans nimmt an allem Anteil, das in diesem Land geschieht, und was dieses Land manchmal auch zu erleiden hat. Da leidet er mit und ist tief betroffen. Im Streitfall aber ist er immer auf Seiten Österreichs.“

Nebbich, jung geblieben

Fragt man Hans Hacker, wie er mit seinen fast hundert Jahren so jung geblieben ist, lacht er: „Nebbich, jung geblieben! Ich habe aktiv nichts dazu beigetragen, ich rauche, ich trinke – wenn auch in Maßen. Bis vor ein paar Jahren bin ich auf die Rax gestiegen und Ski gefahren, das ist alles.“

Ihm und seiner Familie wurde 1938 alles genommen, die Fabrik, ein großes Zinshaus neben der Staatsoper und vieles mehr. Zurückbekommen haben sie fast nichts. „Ich kenne kein Selbstmitleid, auch wenn das eine große Ungerechtigkeit war“, sagt er. „Ich brauch keinen Reichtum, verzweifeln kann man nur daran, dass so viele meiner Angehörigen ermordet wurden.“

Er fühlt sich wohl in Österreich, „auch wenn ich nicht vergessen habe, was damals geschehen ist. Das war ja nicht nur eine andere politische Partei, das war eine Bande von Mördern. Ich gehöre aber nicht zu denen, die der Enkelgeneration einen Vorwurf machen, die trifft keine Schuld. Schuld haben sie nur dann, wenn sich das wiederholt. Sicher muss man in einem Land, in dem all das passiert ist, sehr wachsam sein.“

Er hat schon das eine oder andere Seniorenheim in Wien besichtigt, sich dann aber dagegen entschieden. „Ich bin nicht der Typ dafür und habe beschlossen, mein Leben so fortzuführen, wie es jetzt ist.“

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