Gemeinsame Stärke und Kraft

Die Nachkommen eines vertriebenen Wiener Textilhändlers sind nun stolze Österreicherinnen und Österreicher mit der Heimat Israel. ©ENZO HOLEY

Bei der Überreichung der österreichischen Staatsbürgerschaft an die Nachkommen von NS-Opfern gibt es immer wieder Überraschungen. Mit einer in Israel lebenden zwölfköpfigen Familie sogar eine große.

Von Danielle Spera

Seitdem die Novelle des Staatsbürgerschaftsgesetzes im September 2020 in Kraft getreten ist, haben insgesamt mehr als 20.000 Nachkommen von NS-Opfern die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten. Die Übergaben verlaufen unterschiedlich: Manche möchten sich ihre neuen Dokumente einfach abholen, für andere finden im Rahmen der Überreichung meist kleine Zeremonien an den Botschaften statt, manchmal auch in der Präsenz österreichischer Regierungsmitglieder.

So etwa beim jüngsten Besuch von Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher und Staatssekretärin Susanne Kraus-Winkler in Israel. Hier kam es zu einer außergewöhnlichen Verleihung, bei der eine zwölfköpfige Familie, bestehend aus unterschiedlichsten Generationen, die Staatsbürgerschaft verliehen bekam: die bald 80-jährige Shoshana, ihre Töchter, die Zwillinge Yael (54) und Efrat (54) mit ihren Kindern Tamar (26), Omer (20), Roy (20), Asaf (17) und Yuval (14); außerdem Michal (49) mit den Kindern Alma (19), Chagai (15) und Oded (12). Shoshanas Vater Ludwig Hirschhorn wurde 1907 als Sohn des Textilhändlers Samuel Hirschhorn in Wien geboren, die sechsköpfige Familie lebte am Lerchenfelder Gürtel.

Das Leben der Familie war geprägt von Kultur, Opern- und Theaterbesuche standen an der Tagesordnung. Im Sommer ging es auf Fahrrädern durch die Alpen. Das Klima im Wien der 1930er Jahre und die Hoffnung, in Palästina bei der Errichtung eines jüdischen Staats mitzuhelfen, trugen dazu bei, dass Ludwig Wien bereits Mitte der 1930er Jahre nach dem Tod seiner Mutter verließ. Sein Vater, seine Schwester und sein jüngerer Bruder folgten 1938, nachdem ihre Wohnung „arisiert“ wurde und sie von einem Tag auf den anderen auf der Straße standen. Bis sie die Möglichkeit zur Ausreise hatten, konnten sie bei einem mutigen Bekannten unterkommen.

Israel wurde zur neuen Heimat. Ludwig eröffnete mit seiner Frau ein Geschäft für handgefertigte Taschen und Lederwaren. Er wollte unbedingt auf den Spuren seiner Familie nach Wien reisen, um seinen Kindern jenes Wien zu zeigen, das er und seine Vorfahren so geliebt hatten. Doch eine Krankheit verhinderte, dass diese Reise je stattfand. Der Kreis schloss sich, als seine Tochter und sein Schwiegersohn als Wissenschaftler mit österreichischen Institutionen in Kontakt traten und seither immer wieder nach Österreich reisten. Dass nun die ganze Familie zu Österreichern wurde, wäre für ihn sicherlich einer der schönsten Momente gewesen.

Die Entscheidung für die österreichische Staatsbürgerschaft sei ihnen allen leicht gefallen. Zwar hätten sie noch immer die Erzählungen der Brutalität im Wien des Nationalsozialismus im Bewusstsein, doch überwogen die positiven Wienbilder aus den Erinnerungen des Vaters bzw. Großvaters. Die Politik der österreichischen Regierungen der vergangenen Jahre hätte die Familie letztendlich davon überzeugt, dass Österreich alles unternimmt, um entschieden gegen Antisemitismus aufzutreten und heute ein anderes Land sei. Ein Land, dass Jüdinnen und Juden viele Chancen eröffnet.

Michal, die Enkelin von Ludwig Hirschhorn, bringt es auf den Punkt: „Unter diesen Umständen war es für uns selbstverständlich, dass wir unsere Familiengeschichte im Sinne unserer österreichischen Vorfahren zu einer Vollendung bringen.“ Wie denn die Diskussion zwischen den Generationen abgelaufen sei, frage ich weiter: „Dieser Prozess der Beantragung der Staatsbürgerschaft hat ein spontanes Erwachen der jungen Generation ausgelöst, die sich plötzlich für unsere Familiengeschichte interessierte. Für uns, die Töchter, war es eine Gelegenheit Details zu hören, die wir nicht kannten und schmerzhafte Schubladen zu öffnen, die lange Zeit verschlossen waren. Die Enkelkindergeneration hörte diese Geschichten mit großem Staunen zum ersten Mal.“

Man sei glücklich über die österreichische Staatsbürgerschaft, gleichzeitig bleibe Israel Heimat. Einer der wichtigsten Werte sei die Bedeutung der Familie, diese sei der Anker im Leben der Israelis. „Die jüdische Tradition bringt unsere Familie in großer Liebe zusammen, an jedem Schabbat und an den Feiertagen. Israel bedeutet eine vielseitige, fruchtbare Identität, mit viel Wärme und Offenheit. Das bringt Kraft und Schönheit in die Gesellschaft, aber auch Konfrontationen. Der Prozess der Beantragung der österreichischen Staatsbürgerschaft, der eine Menge an vergessenen Geschichten wachgerufen hat, hat uns gleichzeitig klargemacht, dass der Staat Israel ein Wunder bedeutet, besonders jetzt, wo Israel in instabile Zeiten geht“, so Michal.

Mit Österreich besteht eine enge und besondere Verbindung. „Als mein Großvater im Radio das Lied Edelweiß hörte, begann er zu weinen. In diesem Moment habe ich den Schmerz des Verlustes seiner Heimat und seine Sehnsucht danach gespürt.“ Die österreichische Identität sei immer ein unbewusster Teil ihres Lebens gewesen, die Ästhetik, die Kultur, die aus Wien mitgebracht worden sei, hätte das Leben der Familie immer beeinflusst. „Wir betrachten Österreich als Teil unserer Geschichte und als Teil dessen, was wir sind. Wir bewundern die Kultur, die Geschichte und die Schönheit Österreichs. Nach der herzlichen Aufnahme, die wir jetzt in Österreich erfahren haben, ist unsere Wertschätzung noch größer. Wir sind glücklich zu wissen, dass es heute in Österreich eine so enorme Hinwendung zur jüdischen Gemeinschaft gibt und fühlen hier eine gemeinsame Kraft und Stärke für ein positives Miteinander.“

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