Zunehmendes Unbehagen:
Antisemitismus und Nahostkonflikt

@Jüdische Allgemeine

Kommentar von Mark Elias Napadenski

Der Nahostkonflikt bleibt ein dauerhafter Krisenherd, auch als Nährboden für Antisemitismus. Viele Menschen bekunden plötzlich auf Social-Media-Kanälen Solidarität mit Terrormilizen. Das ist genauso unfassbar wie die gelben Sterne mit der Aufschrift „Nicht geimpft“, die uns seit Mai 2020 begleiten. Die antisemitischen Übergriffe nehmen zu und scheinen immer aggressiver zu werden. Videos von Juden, die von wütenden Mobs gejagt werden, fluten das Internet. Egal ob in den USA oder in Europa: der Konflikt zwischen Israel und der Hamas befeuert eine neue Welle von Judenhass. Bedrückend ist, dass die schweigende Mehrheit die Dramatik der Lage nicht erkennen kann oder, wovon ich mittlerweile überzeugt bin, nicht erkennen will.

Doch wann ist genug tatsächlich genug? In New York fahren Konvois gewaltbereiter Männer, die Palästinenserflaggen schwingen, durch jüdische Viertel und attackieren Orthodoxe auf offener Straße. In Frankreich und Großbritannien spielen sich ähnliche Szenen ab.

In Wien versammelt sich ein Amalgam aus Hamas-Befürwortern – also Menschen, die eine Terrormiliz unterstützen – und BDS-Anhängern. Sie skandieren zusammen und vereinen auch jene Stimmen, die lediglich „israelkritisch“ sind.

Doch offenbar hat eine entscheidende Mehrheit gar kein Interesse daran, diesen rasant steigenden Antisemitismus zu stoppen. Es sieht im Gegenteil so aus, als gäbe es dieser Tage einen anderen Konsens: Er tritt bei Demonstrationen von Antisemiten, Covidioten und von eine Terrormiliz unterstützenden Pseudopartisanen zutage.

„Kein Fußbreit dem Antisemitismus“? Es liegen Welten zwischen den Parolen der Antifa, ihren Unterstützern und der realen Welt. Diese sprudelt momentan vor Hass gegen Juden. Gerade jetzt, kurz nachdem die Jerusalemer Deklaration unterzeichnet wurde, gewinnt jedoch die von der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance) entwickelte Arbeitsdefinition des Antisemitismus an Bedeutung, da sie durch Beispiele illustriert, wie sich Antisemitismus äußert. Die Definition ist von allen 34 Mitgliedstaaten der IHRA 2016 angenommen worden – darunter Deutschland, den USA, Frankreich, dem Vereinigten Königreich und Österreich –, und sie zeigt auf, wo Israelkritik aufhört und Antisemitismus beginnt. Durch sie wird offensichtlich, wieso BDS unterstützende Postings in Österreich gleichzeitig Werbung für eine antisemitische Organisation sind. Kritik an der rechtsnationalistischen Politik Israels ist angebracht, dem Leid der palästinensischen Bevölkerung nicht indifferent gegenüberzustehen, ebenfalls. Es braucht Differenzierungsleistungen, um die absurden klicktivistischen Tendenzen zu konterkarieren.

Erstmals entwickeln aufgrund der latenten Gleichgültigkeit der Gesellschaft junge Leute Angst, dass man sie in der Öffentlichkeit als jüdisch erkennt; jüdischen Institutionen Nahestehende müssen damit rechnen, attackiert zu werden. BDS-Aufkleber, die regelmäßig an den Räumlichkeiten der Jüdischen österreichischen HochschülerInnen angebracht werden, schaffen ein Gefühl von Unbehagen.

Naja, gut, die Polizei in Österreich bekommt ab Herbst eigene Antisemitismusschulungen. Es ist sicherlich hilfreich, in den eigenen Reihen aufzuräumen. Aber ehrlich: Schon allein die Tatsache, dass es diese Schulungen braucht, ist alarmierend. Denn schlussendlich bleibt es an uns Jüdinnen und Juden hängen, für ausreichenden Schutz unserer Institutionen zu sorgen. Juden bleiben im Visier, und das wird sich vermutlich auch nicht ändern. Es ist zu hoffen, dass die schweigende Mehrheit ihre Verantwortung endlich erkennt.  

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