Zion am Ende der Welt

In den Schulen wird neben Russisch immer noch Jiddisch unterrichtet, die alte Holzsynagoge wurde renoviert. ©Danielle Spera

Jüdische Kommunistinnen und Kommunisten aus aller Welt, auch aus Österreich, bauten in den unwirtlichen Wäldern Sibiriens ein Jüdisches Autonomes Gebiet nahe der chinesischen Grenze. Auch die Kinder chinesischer Zuwanderer lernen in der Schule neben Russisch auch Jiddisch. Besuch anlässlich eines Kunstprojektes.

Von Danielle Spera

Zwischen den Flüssen Bira und Bidschan liegt im äußersten Osten Russlands die Stadt Birobidschan, in der heute noch „Jüdische Autonome Oblast“ genannten Verwaltungsregion. 1934 wurde sie als jüdischer autonomer Staat innerhalb der Sowjetunion gegründet. Im Grenzgebiet zwischen Russland, China und Japan gelegen, wurde dieses Gebiet durch die Transsibirische Eisenbahn besser erschlossen. Nach der ersten jüdischen Siedlung namens Waldheim wurde Birobidschan schließlich vom Schweizer Architekten Hannes Meyer geplant.

Die Region sollte ein Staatswesen für Jüdinnen und Juden aus der Sowjetunion werden, vielleicht auch, um sie alle dort anzusiedeln und unter Kontrolle zu halten. Aus der ganzen Welt strömten jüdische Kommunisten in die unwirtliche Region und halfen beim Aufbau des unbewohnten Landstriches mit, unter ihnen auch zahlreiche aus Österreich. Der Wiener Journalist Otto Heller schrieb: „Die Juden sind in die sibirischen Wälder gezogen, wenn man sie nach Palästina fragt, lachen sie nur.“ Heller starb 1945 an Entkräftung im Konzentrationslager Mauthausen. Die aus Wien stammende Lilli Körber beschreibt Birobidschan als Paradies, das es wert sei, darum zu kämpfen: „Wie wird es erst sein, wenn wir einmal Elektrizität und Toilettenspülungen haben werden.“

Immer noch Jiddisch

Nach den Ende der 1930er Jahren einsetzenden Verfolgungen durch Stalin verließen viele Jüdinnen und Juden Birobidschan, spätestens aber nach der Staatsgründung Israels. Heute leben in Birobidschan 75.000 Menschen. Bedingt durch die Auswanderung ist die jüdische Bevölkerung deutlich geringer geworden, doch in den letzten Jahren wieder im Steigen begriffen. 1990 entstand eine neue Synagoge, die frühere Holzsynagoge wurde renoviert. Koschere Supermärkte eröffneten. In den Schulen wird neben Russisch immer noch Jiddisch unterrichtet, denn Birobidschan versteht sich bis heute als jüdischer Staat, in dem auch die wachsende, aus China zugezogene Bevölkerung Jiddisch lernt. Die regionale Zeitung, der Birobidschaner Schtern, erscheint wie eh und je. 2017 fand auf österreichische Initiative eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Jüdischen Autonomen Gebiet statt. Im Zuge dieses Projekts, das der damalige österreichische Kulturattaché Simon Mraz (siehe seinen Textbeitrag in dieser Ausgabe auf S. 45) exzellent umsetzte, durfte auch das Jüdische Museum Wien mit der bildenden Künstlerin, Forscherin und Kuratorin Ekaterina Shapiro Obermair einen spannenden Beitrag leisten – mein Eintritt in eine Weltgegend, die mir bis zu diesem Zeitpunkt verschlossen war.

Ende der Welt

Künstlerinnen und Künstler aus Österreich, Israel, USA und Russland reisten nach Birobidschan und beschäftigten sich vor Ort mit dem Vermächtnis des ersten staatsartigen Gebildes der Juden im 20. Jahrhundert. Und sie förderten Geschichte und Geschichten des Jüdischen Autonomen Gebiets zutage, die als Grundlagen für ihre speziell für dieses Projekt entwickelten Arbeiten dienten. Mich brachte diese Reise förmlich an das Ende der Welt.

Vom Flughafen der Stadt Chabarowsk, die am Amur liegt, führt der Weg über eine gigantische Brücke entlang der Transsibirischen Eisenbahn fast drei Stunden durch menschenleeres Gebiet, bis man zum imposanten Schild am Ortseingang kommt, wo man bereits zweisprachig begrüßt wird: russisch und hebräisch. Von hier aus ist es nur noch wenige Minuten bis zur Stadt Birobidschan. Nicht nur auf den ersten Blick fällt die Anlage der Stadt auf: die elegante Flusspromenade, gepflegte Parks, der prächtige Bahnhof mit einer Menora auf einer riesigen Stele, die Straßenschilder in hebräischer Schrift, die nicht abgetragenen Lenin-Statuen und chinesischen Marktstände. Der Zuzug aus China ist auch daran zu messen, dass die meisten Restaurants der Stadt heute von Chinesinnen und Chinesen betrieben werden, deren Kinder wiederum in den Schulen von Birobidschan Jiddisch lernen.

In der Synagoge und im jüdischen Museum wird man mit großer Freude begrüßt. Die kleine, unerschütterliche Gemeinde (man spricht von 4000 Mitgliedern) verlässt sich darauf, dass vielleicht doch einmal wieder Birobidschan als Paradies angesehen wird und hofft auf eine Zukunft. Wenn die Reise dorthin nicht so lang und beschwerlich wäre.

Der prächtige Bahnhof mit einer Menora auf einer riesigen Stele. @Danielle Spera
Nach der langen Anreise wird man vom imposanten Schild am Ortseingang bereits zweisprachig begrüßt. © DANIELLE SPERA
Die mobile Version verlassen