Zeichenlehrerin, Künstlerin, Kommunistin

Friedl Dicker-Brandeis, 1937/38 (Kunstsammlung und Archiv Universität für angewandte Kunst, Wien, Foto: Johannes Beckmann)

Das Lentos in Linz erzählt das berührende Schicksal der vom NS-Regime ermordeten Künstlerin Friedl Dicker-Brandeis.

Von Thomas Trenkler

Opulent ist diese Ausstellung über Friedl Dicker-Brandeis mit dem Titel Bauhaus-Schülerin, Avantgarde-Malerin, Kunstpädagogin angelegt, in einer ansprechenden Architektur präsentiert Kuratorin Brigitte Reutner-Doneus das vielseitige Schaffen der überzeugten Kommunistin: neben Zeichnungen und Gemälden auch Fotocollagen, Filmausschnitte und Stoffmuster. Ausgangspunkt ist eine riesige Tafel mit den Lebensdaten.
Friedl Dicker, 1898 in Wien geboren, studierte zunächst bei Franz Cižek und ab 1916 bei Johannes Itten. In dessen Privatschule lernte sie Franz Singer kennen, mit dem sie eine Beziehung einging und viele Jahre zusammenarbeitete. 1919 zog Itten mit all seinen Schützlingen nach Weimar ins Bauhaus; die Lehrer von Friedl Dicker waren unter anderem Paul Klee und Wassily Kandinsky.
1923 eröffneten Singer und Dicker die „Werkstätten Bildender Kunst“ in Berlin: Sie entwarfen unter anderem Kinderspielzeug und Schmuck, erhielten Aufträge für Textilien und Buchgestaltungen. In den Raumentwürfen wurden Zimmer mit mehreren Funktionen ausgestattet: Das Zusammenklappen und Stapeln der Möbel (im Lentos sind etliche Beispiele zu sehen) ermöglichte eine Mehrfachnutzung auf engem Raum.

Der Musterkindergarten

1925 kehrte Friedl Dicker nach Wien zurück, Franz Singer folgte ihr nach, die beiden gründeten das Atelier Singer-Dicker. 1930 erhielten sie den Auftrag, für den Goethehof einen Kindergarten zu entwerfen. Die Einrichtung nach Vorgaben der Montessori-Pädagogik wurde als Musterkindergarten im Roten Wien berühmt. Im Jahr darauf trat Friedl Dicker der kommunistischen Partei bei. In ihrer Wohnung wurden Utensilien zum Fälschen von Pässen gefunden, die Künstlerin wurde verhaftet und verhört, was sie in einem Zyklus verarbeitete.
Der Gefängnisaufenthalt vermochte sie nicht zu brechen: Sie entwarf weiter Propagandaplakate für die Kommunisten, in Berlin arbeitete sie an einer Verfilmung von Das Kapital mit.
1934 übersiedelte Friedl Dicker nach Prag und verliebte sich dort in Pavel Brandeis. 1938 ging das Ehepaar nach Hronov nahe der polnischen Grenze. Brandeis arbeitete als Hauptbuchhalter in der Stofffabrik Spiegler & Söhne, seine Frau gestaltete u.a. einen Stand für eine Textilmesse, die mit einer Goldmedaille für das exzellente Design ausgezeichnet wurde.

Den Juden eine Stadt

Doch im Oktober 1938 marschierte die deutsche Wehrmacht im Sudetenland ein. Freunde versuchten, Friedl Dicker-Brandeis zur Ausreise zu bewegen. Franz Singer zum Beispiel lud sie nach London ein, ein Visum für Palästina wurde organisiert. Doch das Ehepaar blieb. Aufgrund der antisemitischen Gesetze musste es mehrfach umziehen, jedes Mal in eine noch armseligere Wohnung.
1942 wurde es nach Theresienstadt (Terezín) deportiert, die „der Führer den Juden geschenkt“ hatte. Die alte Festung diente dem NS-Regime als Durchgangs- wie auch als Vorzeigelager. Friedl Dicker-Brandeis unterrichtete im Kinderheim L-410 als feinfühlige Zeichenlehrerin.
Am 28. September 1944 wurde Pavel Brandeis nach Auschwitz deportiert. Friedl Dicker-Brandeis, die ihren Mann nicht alleinlassen wollte, meldete sich für den Folgetransport. Sie kam am 8. Oktober nach Auschwitz-Birkenau. Wenig später wurde sie vergast. Pavel Brandeis überlebte den Krieg.
Ein Nachtrag: Die Kunstinitiative „Memory Gaps“ hat vorgeschlagen, den Peter-Behrens-Platz in Linz aufgrund der NS-Vergangenheit des Architekten, der unter anderem die dortige Tabakfabrik entwarf, in Friedl-Dicker-Brandeis-Platz umzubenennen.
Eine ähnliche Idee äußerte auch die Universität für angewandte Kunst in Zusammenhang mit dem Karl-Lueger-Platz in Wien. Der ehemalige Wiener Bürgermeister war ein überzeugter Antisemit. Von einer Umbenennung will die Wiener Stadtregierung aber (noch) nichts wissen.
Vielleicht führt eine Ausstellung des Wien Museums ab 24. November in der Expositur Musa zum Umdenken: Sie trägt den Titel Atelier Bauhaus, Wien – Friedl Dicker und Franz Singer.

Dieser Text erschien in der Tageszeitung „Kurier“ und wurde für NU adaptiert.

„Friedl Dicker-Brandeis“
Lentos Linz
Bis 29. 5. 2022

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