Wohltätigkeit ist Pflicht

Die Familie Rothschild in Wien: In der Mitte der in den USA geborene Enkel der Wiener Rothschilds, Geoffrey Hoguet. FOTO: DANIELLE SPERA

Der Aufstieg des Mayer Amschel Rothschild aus dem ärmlichen Frankfurter Ghetto und der Weg seiner Söhne in die Welt klingt wie ein Märchen. Doch die Erfolgsgeschichte führte zu Hass und Neid und bis heute zu den bösartigsten Anfeindungen.

Von Danielle Spera

Um kaum eine andere Familie in der Geschichte der Neuzeit ranken sich derart viele Mythen und Verschwörungstheorien wie um die Rothschilds. Unsagbarer Reichtum, Einfluss auf die internationale Politik, die Wirtschaft, die Medien, bis hin zur Kontrolle über die Welt oder sogar das Wetter, wird den Rothschilds alles nur Vorstellbare zum Vorwurf gemacht.

Mayer Amschel Rothschild (1744–1812) stammte aus einer Familie kleiner Händler, die seit dem 16. Jhd. in der dichtgedrängten Frankfurter Judengasse lebte. Bis zu dreißig Personen lebten auf engstem Raum in einem Haus, Mayer Amschel beispielsweise mit seinen Brüdern sowie seiner Frau Gutle, mit der er zwanzig Kinder hatte, von denen zehn das Erwachsenenalter erreichten. Mayer Amschel sollte auf Wunsch seiner Eltern Rabbiner werden und erhielt eine Ausbildung in einer Talmudschule in Fürth, die er allerdings nach dem frühen Tod seiner Eltern verließ und zur Lehre nach Hannover ins Bankhaus Oppenheim ging. Hier erfuhr er vermutlich eine Einführung in die Numismatik, denn im Alter von zwanzig Jahren kehrte er nach Frankfurt zurück und machte sich als Münzhändler selbstständig. In kürzester Zeit wurde er zum Spezialisten für den Handel mit antiken Münzen und Kunstwerken, beeindruckte mit seinem Wissen und wurde zu einem Lieferanten und Beamten des Erbprinzen Wilhelm von Hessen ernannt.

Bald verlagerte der erfolgreiche Münzhändler seine Tätigkeit in Richtung Bankgeschäfte und wurde zum Finanzberater des hessischen Erbprinzen. Seine fünf Söhne unterstützten Mayer Amschel Rothschild bei den rasch wachsenden Geschäften, er machte sie zu seinen Partnern und schickte sie in die Welt hinaus. Familienzusammenhalt war ihm eine wichtige Quelle der Stärke.

Bis zuletzt lebte Mayer Amschel Rothschild sehr bescheiden und weigerte sich, aus den engen Räumen in der Judengasse auszuziehen. Er starb wenige Tage nach Yom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag. Wie vorgeschrieben hatte er gefastet. In seinem Testament verfügte er, dass die wichtigen Geschäftspositionen ausschließlich in der Familie und auf die männlichen Nachkommen beschränkt bleiben sollten: „Halt mir die Geschwister beisammen, dann werd‘ ihr die reichsten Leute in Deutschland.“

In diesem Sinn zogen die fünf Söhne von Mayer Amschel Rothschild in die Welt. Sein ältester Sohn Amschel Mayer Rothschild (1773–1855) übernahm das Bankhaus in Frankfurt, Carl Mayer von Rothschild (1788–1855) wurde nach Neapel geschickt und James de Rothschild (1792–1868) nach Paris. Salomon Rothschild (1774–1855), der Begründer der österreichischen Linie, war 1821 nach Wien gekommen. Obwohl ein enger Berater von Staatskanzler Metternich, war ihm wie allen Juden ein Grundbesitz in Wien verboten. Er mietete daher ein ganzes Hotel, den „Römischen Kaiser“ in der Renngasse. Später wurden er und seine Wiener Nachkommen die größten Grundbesitzer Österreichs. Salomon Rothschild ist zu verdanken, dass Österreich die erste Eisenbahnlinie erhielt, die Kaiser-Ferdinand-Nordbahn.

Um nicht von ausländischen Schienenlieferungen abhängig zu sein, baute Salomon Mayer Rothschild die Witkowitzer Eisenwerke auf. Aus seinem Bankhaus entstand die Creditanstalt, die zum Hauptfinancier der österreichischen Industrie wurde. Er investierte in neue Branchen wie die Dampfschifffahrt, widmete sich der Rohstoffgewinnung, errichtete Mineralölraffinerien und organisierte ein Monopol für Quecksilbergewinnung. Nathan Mayer Rothschild (1777–1836) wiederum, Begründer des Londoner Zweigs, war federführend bei der Errichtung des Suez-Kanals, einem der wichtigsten Infrastrukturprojekte für den internationalen Handel.

Humanitäre Pflichten

Im Judentum ist die Zedaka, die Wohltätigkeit, eine Pflicht. Dieser Verpflichtung kam die Familie Rothschild mehr als großzügig nach. Sie förderte nicht nur Kunst und Kultur, Museen, Konzerthäuser oder auch großzügige Gartenanlagen für die Allgemeinheit, sondern gründete auch soziale, medizinische und humanitäre Einrichtungen, Krankenhäuser, Stiftungen für notleidende Künstler, Waisenhäuser oder das Blinden- und Taubstummeninstitut.

An vorderster Stelle muss hier das 1873 eröffnete Rothschild-Spital genannt werden, das als eines der modernsten Spitäler seiner Zeit galt, oder auch die Rothschildsche Stiftung für Nervenkranke, um deren Stiftungszweck und Zukunft ein in den USA lebender Enkel der Wiener Rothschilds, Geoffrey Hoguet, bis heute mit der Stadt Wien kämpft. Hoguet setzt sich dafür ein, dass der Stiftungszweck erhalten und die Institution weiterhin für kranke Menschen bestehen bleibt und nicht für Wohnbauzwecke umgewidmet wird.

In verschiedenen Ländern wurden die Rothschilds als Dank für ihre (Wohl-)Tätigkeiten in den Adelsstand erhoben. Der Höhepunkt des Aufstiegs in die Gesellschaft kam 1877, als Albert von Rothschild für die gesamte Familie die vollständige Hoffähigkeit erlangte. Die Rothschilds waren damit die einzige jüdische Familie, die je dieses Privileg erhielt.

An das immense Wirken der Rothschilds, die ihre prachtvollen Palais in und um die heutige Prinz-Eugen-Straße im vierten Wiener Bezirk errichtet hatten, erinnert in unserem Land heute nichts mehr. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden sie noch mehr zum Kulminationspunkt der antisemitischen Hetze. Louis Rothschild, der im Gegensatz zu seinen Brüdern in Wien geblieben war, wurde unmittelbar nach dem „Anschluss“ im März 1938 verhaftet und musste 14 Monate in Isolationshaft verbringen. Das Land konnte er erst verlassen, nachdem ihm der gesamte Familienbesitz geraubt worden war. Aber er konnte noch verfügen, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Rothschild-Familie finanziell abgesichert blieben. In das Palais Rotschild in der Prinz Eugen-Straße zog der Organisator des Holocaust, Adolf Eichmann, ein. Nach dem Krieg wurde es der Arbeiterkammer übereignet.

Louis Rothschild starb 1955 beim Schwimmen in Jamaica. Trotz des gigantischen Raubzugs und des dramatischen Endes seiner Familie in Wien wollte Louis in Wien begraben werden. Seine Beerdigung fand exakt zu dem Zeitpunkt statt, zu dem mit dem Abriss des Palais Rothschild begonnen wurde. Der Marmor aus dem Palais wurde zur Renovierung des Stephansdoms genützt. Das Rothschild-Spital am Währinger Gürtel wurde dem Erdboden gleichgemacht und musste ebenfalls einem gesichtslosen Neubau der Wirtschaftskammer weichen.

Vermutlich zur Beruhigung des Gewissens wurde ein trostloser Platz beim früheren Nordbahnhof nach den Rothschilds benannt. Die Spuren der Familie sind heute verwischt. Doch die Wienerinnen und Wiener können sich in verschiedenen Wiener Museen immer noch an Teilen der großartigen Kunstsammlung erfreuen. Und in den Parks der Stadt blühen heute noch Pflanzen, die in den – heute ebenfalls nicht mehr existierenden – Gärten der Rothschilds gezüchtet worden waren.

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