Wie jüdisch ist der österreichische Humor?

Georg Markus schrieb ein neues Buch über Österreichs bedeutendste Satiriker, Kabarettisten und Humoristen. Er dokumentiert darin sowohl ihre Lebensgeschichten als auch zahlreiche Beispiele ihres Humors. NU hat das Buch im Voraus gelesen.

„Ein Conférencier ist ein Mann, der dem Publikum möglichst heiter zu erklären versucht, dass es heutzutage nichts zu lachen gibt.“
Karl Farkas

„Nein“, sagt Georg Markus, „es ist nicht so, dass es in der österreichischen Geschichte nur jüdische Humoristen gab. Ihr Anteil betrug höchstens 90 bis 95 Prozent.“ Den Beweis für seine These erbringt der Schriftsteller, Kurier- und NU-Autor in seinem eben erschienenen Buch „Wenn man trotzdem lacht, Geschichten und Geschichte des österreichischen Humors.“

Die Hauptdarsteller des Buches sind alle legendär: Egon Friedell, Alfred Polgar, Fritz Grünbaum, Karl Farkas, Anton Kuh, Peter Altenberg, Karl Kraus, Roda Roda, Hermann Leopoldi, Armin Berg, Georg Kreisler, Gerhard Bronner … – sie zählen für Markus zu den wichtigsten Satirikern und Kabarettisten der österreichischen Geschichte. Ähnliche Bedeutung misst er den „anderen fünf bis zehn Prozent“ bei, an deren vorderster Stelle Namen wie Nestroy, Girardi, Hans Moser und Qualtinger stehen. Markus widmet jedem der großen Humoristen ein Kapitel – und dem jüdischen Witz natürlich ein weiteres.

„Kennst du den? Treffen sich zwei Juden …“
„Ich bitt dich, hör auf mit deine jiddischen Witz. Weißt du keine anderen?“
„Oh ja, pass auf. Treffen sich zwei Juden …“
„Du sollst aufhören, es gibt doch auch nichtjiddische Witz.“
„Du hast recht, also pass auf: Treffen sich zwei Chinesen. Sagt der Kohn zum Blau …“

Der jüdische Witz stammt aus dem osteuropäischen Schtetl, in dem auch der Begriff vom „Lachen unter Tränen“ entstand, da die Geschichte der Juden Osteuropas eine Geschichte der Verfolgung, der Armut und der Entwurzelung ist. Groteskerweise gab und gibt es zwischen jüdischem und antisemitischem Witz viele Überschneidungen. Jüdische Komiker erzählten jiddische Witze, in denen sie sich „über die eigenen Leut“ lustig machten. Das war natürlich nicht antisemitisch gemeint, sondern eine Form der Selbstironie, unter dem Motto: „Wenn schon jemand über uns herzieht, dann machen wir das am besten selber.“ In einen solchen Witz verpackte der Komiker Heinrich Eisenbach, dass zur Jahrhundertwende viele Juden zum Christentum konvertierten:

Schmule hat sich taufen lassen.
Drauf fragt ihn Itzig: „Warum bist du Protestant geworden und nicht Katholik?“
Drauf sagt Schmule: „Weil bei die Katholiken sind mir schon zu viel Juden!“

Eines der ersten Buchkapitel handelt in den 1920er-Jahren, deren Humorkönige Fritz Grünbaum und Karl Farkas waren. „Die Zeiten waren schlecht. Und das war die beste Voraussetzung dafür, dass Kabarett und Satire mehr Zuspruch fanden als je zuvor. Die mächtige Monarchie war zur kleinen Republik geworden, deren Bewohner hungern und frieren mussten und in eine gigantische Inflation schlitterten.“ Der kürzeste Witz in dieser Zeit:

Treffen sich zwei Kaufleute: „Servus, was treibst du?“
„Preise!“

Fritz Grünbaums Stern ging wie ein Komet auf. 1880 als Sohn eines Kunsthändlers in Brünn zur Welt gekommen, begann er als Stegreifsprecher, um sein Jusstudium in Wien zu finanzieren. Schon seine ersten Auftritte waren so komisch, dass man ihn ins Kabarett Hölle holte, wo er die moderne Conférence erfand. Während sich seine Vorgänger meist durch anzügliche Witze und billige Späße hervortaten, faszinierte er durch geistreiches Wortspiel, oft mit aktuellen Bezügen. Selbst sein Äußeres beschrieb Grünbaum voll Selbstironie:

Am liebsten ließe ich mich von mir scheiden,
Ich kann nämlich Leute mit Glatze nicht leiden,
Innerlich trag ich den Lockenschatz Und äußerlich scheint mir die Sonn auf die Glatz!

Im Herbst 1922 sprang dem 29-jährigen Schauspieler Karl Farkas im „Wiener Tagblatt“ das Inserat „Cabaret Simplicissimus sucht Nachwuchskräfte“ ins Auge. Er wurde als „Blitzdichter“ engagiert und forderte das Publikum auf, ihm aktuelle Themen oder prominente Namen zu nennen, auf die er in Sekundenschnelle einen Reim machte. Jemand rief ihm „Leo Slezak“ zu, worauf Farkas dichtete: „Glaubt mir, dass ich euch keinen Schmäh sag, der beste Sänger ist der Slezak.“ Als ihm eines Abends der Name des Geigers Jan Kubelík zugerufen wurde, „blitzdichtete“ Farkas gleich vierzeilig:

Wenn ich in der Stube lieg,
Denk ich an den Kubelik.
Der hat sogar bei Richard Strauss,
Die allerbeste Strichart ’raus.

Als Sohn eines Schuhfabrikanten 1893 in Wien geboren, versuchte sich Farkas als ernsthafter Schauspieler, ehe er im „Simpl“ mit Grünbaum die Doppelconférence etablierte.

FARKAS: Ich gehe vorgestern über die Straße – ein gellender Pfiff, ein Mann in jagender Hast an mir vorbei, trägt einen Frauenhut.
GRÜNBAUM: Auf dem Kopf?
FARKAS: In der Hand! Hinter ihm die Polizei. Der Mann hatte nämlich in dieser Nacht viermal in ein und demselben Modesalon einen Einbruch verübt.
GRÜNBAUM: Da muss er ja den ganzen Laden ausgeräumt haben.
FARKAS: Nein, einen einzigen Hut hat er gestohlen – für die Frau, die er liebt!
GRÜNBAUM: Warum musste er wegen eines Hutes viermal einbrechen?
FARKAS: Sie hat ihn immer wieder zurückgeschickt – umtauschen!

Im Kapitel „Die Meister aus dem Kaffeehaus“ findet sich neben anderen Großen Alfred Polgar, der 1873 unter dem Namen Alfred Polak in der Wiener Leopoldstadt als Sohn eines Klavierlehrers zur Welt kam. Polgar schrieb zur Jahrhundertwende für Wiener Blätter, ohne zunächst den Durchbruch zu schaffen. Was den berühmten Berliner Publizisten Siegfried Jacobsohn erstaunte, denn als dieser 1905 „zwecks Journalistenfang“ nach Wien kam und Polgar las, stellte er fest: „Wenn ein Stilist dieses Ranges ein Jahr in Berlin sitzt, ist er eine Berühmtheit.“

Genau das traf ein. Polgar ging nach Berlin, wurde eine Berühmtheit, schrieb für Zeitschriften und fürs Kabarett.

Im Leben hat man meistens zwischen dem guten Ruf und dem Vergnügen zu wählen. Dabei erkennt man, dass der gute Ruf kein Vergnügen ist.
Die Menschen glauben viel eher eine Lüge, die sie schon hundertmal gehört haben, als eine Wahrheit, die ihnen völlig neu ist.

Nach Hitlers Machtergreifung kehrte Polgar nach Wien zurück, wo er zum peniblen Beobachter der Vorgänge in Nazideutschland wurde und sich bereits 1937 in der Skizze „Höhere Mathematik“ mit den „Nürnberger Rassengesetzen“ auseinandersetzte, die „nichtarische“ Menschen in „Volljuden“, „Dreivierteljuden“, „Halbjuden“, „Vierteljuden“ und „Achteljuden“ einteilten. Polgar stellte eine profunde Analyse der „Berechnungsschwierigkeiten“ her:

Wenn zum Beispiel ein 3⁄4-Jude eine 1⁄8-Jüdin heiratet, bekommt das Kind aus solcher Ehe als rassisches Erbgut mit: 1⁄2 plus 7⁄8, also 7⁄8 jüdisches, und 1⁄8 plus 7⁄8, also 9⁄8 arisches Blut, was per saldo, netto Kassa, einen Reinertrag von 1⁄4 arisch für das Kind ergäbe, womit es im Dritten Reich nicht viel anfangen könnte: es wäre ja wieder ein 3⁄4-Jude. Hätte der 3⁄4 jüdische Vater aber statt der 1⁄8-Jüdin eine komplette 1⁄2- oder 3⁄4-Jüdin geheiratet, so ergäbe die Blutbilanz des Kindes 3⁄4 oder 10⁄8 jüdisch und 6⁄8 arisch, also einen Überschuss von 6⁄8, id est 1⁄2 jüdisch, und das Kind wäre ein 1⁄2-Jude, stünde also besser da als jenes, dessen 3⁄4-Vater eine 1⁄8-Jüdin geheiratet hätte.

„Da hört sich der Spaß auf“, nennt Markus das Kapitel, in dem es um Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der jüdischen Humoristen geht. Egon Friedell sprang am 16. März 1938, als Gestapo-Beamte an seiner Wohnungstür klopften, aus dem Fenster und war sofort tot. Er hatte sich wohl getäuscht, als er Jahre zuvor auf der Kabarettbühne verkündete: „In der Welt geht’s drüber und drunter, aber Österreich geht nicht unter.“ Von den Nazis ermordet wurden die großen Satiriker und Kabarettisten Paul Morgan, Jura Soyfer, Peter Hammerschlag, Fritz Löhner- Beda und Fritz Grünbaum.

Nach dem Holocaust war alles anders, musste alles anders sein – auch und gerade was den Humor betrifft. Vorerst wurde es um den jüdischen Witz ruhig, da Täter wie Opfer vergessen wollten. Erst 1960 kam es dann zu einem innerjüdischen Konflikt zwischen den Autoren Salcia Landmann und Friedrich Torberg. Torberg hatte unter dem Titel „Salcia Landmann ermordet den jüdischen Witz“ deren Buch „Der jüdische Witz“ in Grund und Boden vernichtet. Der jüdische Kritiker war der Meinung, die jüdische Autorin hätte in ihrem Bestseller „Nicht-Pointe für Nicht-Pointe und Schluderei für Schluderei transportiert, sodass vom Witz der Juden nichts weiter übrig bleibt, als nur noch die puren antisemitischen Klischees“.

Der Rebbe sitzt und klärt. Da kommt eine Jüdin hereingestürzt und schreit: „Gewalt, Rebbe, mein Mann will sich von mir scheiden lassen!“ Der Rebbe sucht in einem Folianten, im zweiten Folianten, im dritten Folianten – endlich hat er, was er gesucht hat: die Brille. Er setzt sie auf, schaut die Jüdin an und sagt: „Recht hat er.“

Karl Farkas, Hugo Wiener, Armin Berg und Hermann Leopoldi, denen die Flucht vor den Nazis gelungen war, kehrten nach Wien zurück und setzten dort fort, wo sie 1938 aufgehört hatten – als Unterhaltungskabarettisten, die über die Jahre des Terrors den Mantel des Schweigens legten. Doch neben der alten Garde etablierte sich um Gerhard Bronner, Georg Kreisler und Helmut Qualtinger ein junges, rebellisches Kabarett, das Vergangenes und Aktuelles nicht kritiklos hinnahm.

Die Renaissance des Humors aus dem Schtetl leitete schließlich Fritz Muliar ein, der ab den späten Sechzigerjahren unter dem Motto „Damit ich nicht vergesse, Ihnen zu erzählen“ die Kultur des jüdischen Witzes in einer dem Jiddischen angenäherten Kunstsprache wieder aufleben ließ:

Kohn und Lewy haben miteinander a Prozess. Sagt da Kohn zu seinem Advokaten: „Herr Doktor, iach hab a großartige Idee, wie wir den Prozess gewinnen. Ich wer dem Richter zwei scheene Gansln schicken!“
Sagt der Anwalt: „Sind Se verrickt! Das darf der Richter doch nicht annehmen! Da verlieren wir doch den Prozess umso eher!“
Sagt Kohn: „Nu, wer ich se nicht schickn.“
Die Verhandlung kommt, Kohn gewinnt den Prozess gegen Lewy.
„Sehen Sie“, sagt der Anwalt, „wer weiß, wie die Sache ausgefallen wäre, wenn Se dem Richter die Gansln geschickt hätten.“
Lacht Kohn: „Ich hab se ihm geschickt! Aber ich hab dem Lewy sei Visitkarten dazugelegt!“

Muliar war einer jener Wiener Komödianten, die bei Karl Farkas gelernt hatten. Farkas war bis zu seinem Tod im Jahre 1971 der populärste Kabarettist des Landes und konferierte im „Simpl“ und im Fernsehen, was sein Publikum von ihm hören wollte.

Ein Statistiker ist ein Mann, der 4000 Schilling monatlich dafür bekommt dass er ausrechnet, wie ein anderer mit 900 Schilling im Monat leben kann.
Die jungen Mädeln tragen heutzutage so hauchdünne Kleider, dass das sachkundige Auge konstatieren kann, ob sie ebenmäßig gebaut oder eben mäßig gebaut sind.
Die tagtäglichen Verkehrsunfälle haben zur Folge, dass man, wenn heute jemand überfahren wird, fast schon sagen muss: Er ist eines natürlichen Todes gestorben.
Ein österreichischer Patriot ist ein Mann, der böse wird, wenn ein Fremder Österreich kritisiert, wie er selbst es immer tut.

Ob ihr Anteil jetzt 90 oder 95 Prozent beträgt – eines geht aus dem ebenso informativen wie unterhaltsamen Buch von Georg Markus klar hervor: Ohne die großen jüdischen Satiriker, Kabarettisten und Komödianten wären „Wiener Schmäh“ und österreichischer Humor undenkbar.

Georg Markus
WENN MAN TROTZDEM LACHT
Geschichten und Geschichte des österreichischen Humors
Amalthea Verlag, 2012
€ 24,95, 350 Seiten, zahlreiche Abbildungen

 

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