Wenn der Rebbe hilft

In meinem Buch, das knapp vor Chanukka erscheinen wird, werden die Strophen des jüdischen Liedes Wenn der Rebbe lacht zu Titeln der einzelnen Kapitel. Ich habe aber noch einige Dinge dazu erfunden, die im Originallied nicht vorkommen. Eines der Dinge, die der Rebbe – eigentlich jeder jüdische und auch jeder nichtjüdische Mensch – tun soll, ist anderen Menschen zu helfen. Das ist eine Voraussicht auf das neue Buch, entbindet euch aber nicht, das Buch zu kaufen, wenn es herausgekommen sein wird.

Der glücklichste Tag im Leben eines Rabbiners ist, wenn jemand zu ihm kommt, ihn um Hilfe bittet, und der Rabbiner schafft es zu helfen. Ein trauriger Tag hingegen ist jener Tag, an dem ein Mann oder eine Frau den Rabbiner um Hilfe bittet, und er kann den Wunsch nicht erfüllen. Eigentlich erwarten gläubige Juden, dass der Rabbiner alles kann. Und so sollte es auch sein, aber die Realität spielt manchmal Stückerln.

Ganz einfach ist, wenn ein Bedürftiger nur Geld braucht. Dann kann der Rabbiner zwar auch nicht alle Wünsche erfüllen. Aber er kennt wohlhabende Menschen, die er für diesen Bedürftigen anschnorren kann. Das Peinlichste an der Geschichte ist, dass derjenige, der um Geld gebeten wird, manchmal glaubt, dass der Rabbiner für sich selbst schnorrt. Dann gebe ich aber immer Namen und Anliegen der bedürftigen Person bekannt. Manchmal haben dann die Reichen die Chuzpe zu sagen: „Der ist ja gar nicht so arm!“ Dann bin ich sprachlos …

Straucheln und stützen

In der Tora steht: „Wenn dein Bruder strauchelt, dann stütze ihn, damit er nicht fällt.“ Es liegt eine tiefe Weisheit darin, wie in allen Bibelversen. Wenn jemand stolpert, kann man ihn leichter auffangen, als wenn er schon am Boden liegt. Gemeint ist hier aber auch das Finanzielle. Straucheln bedeutet: er verarmt; und Stützen heißt: unterstützen. Wenn jemand knapp vor dem Konkurs ist, kann man ihm leichter helfen, als wenn er schon in Konkurs gegangen ist.

Ein besonders lustiges Anliegen ist, wenn man mich mit dem (früheren) Präsidenten der Kultusgemeinde verwechselt: „Herr Rabbiner, ich brauche eine Wohnung. Sie vermitteln doch eine Wohnung?!“ Das sind dann meistens Nichtjuden. Die haben manchmal in der Zeitung gelesen, dass der Oberste der Kultusgemeinde etwas mit Immobilien zu tun hat, und die nicht ganz zu Unrecht gemeint haben, dass ich dieser Oberste bin. Aber interessanterweise kann ich sogar da helfen: Ich gebe ihnen die Telefonnummer vom Immobilienbüro des ehemaligen Präsidenten.

Kleine Diebe, fromme Juden

Interessant ist auch, dass der Rabbiner manchmal Menschen helfen kann, wenn sie im Gefängnis sitzen. Eine junge Rechtsanwältin hat mich gefragt: „Soll man Meuchelmördern und Gewaltverbrechern überhaupt helfen?“ Ich erklärte ihr, dass man ihnen ja nicht bei ihren Verbrechen helfen soll, sondern dann, wenn sie, zu Recht, im Gefängnis sitzen. Außerdem gibt es nicht nur Gewaltverbrecher im Gefängnis, sondern auch kleine Diebe. Warum sollte man denen nicht helfen, indem man ihnen beispielsweise ein Gebetbuch bringt? Menschen sind gerade, wenn es ihnen schlecht geht, offen für jene, die ihnen helfen wollen. Klugen Rabbinern gelingt es, aus kleinen Dieben fromme Juden zu machen.

Hoffentlich wissen einige meiner Leser, dass strenggläubige Juden jeden Tag Teffilim, also die Gebetsriemen, anlegen. Manchmal kommen Frauen, deren Männer gerade verhaftet worden sind, mit den Teffilim zum Rabbi und sagen: „Bitte bringen Sie das meinem Mann.“ Mir hat einmal ein Gefängnisbeamter gesagt: „Der ist doch ein Dieb und kein frommer Mann!“ Und ich fragte ihn: „Warum gibt es dann bei den Christen Seelsorger?“

Ich war einmal bei der Finissage eines jüdischen Malers, der sehr nette Bilder macht, aber nur ganz wenige verkauft. Als man mich bat, ein paar Worte zu sprechen, um die sehr sympathischen, aber nicht sehr reichen anwesenden Besucher anzuspornen, vielleicht doch ein Bild zu kaufen, habe ich zuerst demonstrativ ein Bild gekauft. Der Rabbi muss ein Vorbild sein. Und dann das bekannte Lied gesungen: „Wenn der Rebbe kauft, wenn der Rebbe kauft, kaufen alle Chassidim.“

Für ein Butterbrot

Zuletzt kamen drei Frauen mit verschiedenen Anliegen zu mir. Eine Dame aus der Gemeinde rief mich an und fragte, ob ich ihr die Telefonnummer der Witwe von Niki Lauda geben könne. Ich fragte sie, warum sie glaube, dass ich sie wisse. Und sie sagte: „Sie sind doch der Rabbi, der weiß alles.“ Ich habe ihr schonend beigebracht, dass ich fast alles weiß. Die Telefonnummer von Niki Laudas Witwe gehört nicht dazu.

Eine andere Dame, nicht aus der Gemeinde, erzählte mir, dass sie geschieden sei, der Mann das Sorgerecht für die Tochter habe und sie ihre Tochter nicht, wie ausgemacht, wenigstens einmal pro Woche sehen könne. Daher habe sie keine andere Wahl als die Tochter nach Israel zu entführen. Mir würde der Part zukommen, ihr einen falschen Pass zu besorgen und so die Einreise nach Israel zu ermöglichen. Auf die Frage, warum sie glaube, dass ich das könne, sagte sie: „Ich traue Ihnen als Rabbiner zu, dass Sie alles bewerkstelligen können.“ Das klang mir ein wenig antisemitisch, und ich sagte ihr höflich, aber bestimmt, dass sie sich einen besseren Anwalt suchen solle, um ihr wöchentliches Besuchsrecht durchzusetzen. Ich würde gern einer Frau helfen, dass sie ihre Tochter einmal in der Woche sehen kann. Aber Entführung und leicht antisemitische Anmerkungen: Das war dann doch zu viel.

Die letzte Story: Ich sah eine Nachbarin, eine fromme Jüdin (aber ich hätte das auch bei einer Nichtjüdin gemacht) weinend vor dem Hauseingang. Ich fragte, was los sei. Sie schluchzte, als sei jemand gestorben, und meinte, dass sie Handy und Schlüssel am Arbeitsplatz – einer Apotheke – vergessen habe, weshalb sie weder in die Wohnung komme, noch jemanden anrufen und um Hilfe bitten könne. Ich habe sie in meine Wohnung eingeladen, Kaffee und Butterbrot angeboten und mit ihr gemeinsam überlegt, wie ich ihr bis nächsten Tag in der Früh helfen könnte, wenn die Apotheke wieder geöffnet hat. Zunächst hatte ich angedacht, sie am anderen Ende meiner Wohnung über Nacht zu beherbergen. Aber wir entschieden, dass das keine gute Idee ist. Ich bat meine Schwester um Hilfe. Dort konnte meine Nachbarin die Nacht verbringen. Ich habe sie so von einem Häufchen Elend in eine glückstrahlende Frau verwandelt.

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