Wenn der Rebbe das Buch fertigschreibt

© KURIER/Gerhard Deutsch

Von Paul Chaim Eisenberg

Das Buch eines Rabbiners muss mit der Hoffnung auf Erlösung enden. Ich habe in diesem Buch noch nichts über den Messias geschrieben. Was den Messias betrifft, sind wir Juden uns ja einig, dass er noch nicht da war. In einem Propheten-Buch heißt es, dass der Messias zur vorbestimmten Zeit kommen wird, und auch, dass er sich beeilen wird.

Das sieht der Talmud als Widerspruch: Kommt er pünktlich oder so früh wie möglich? Der Talmud antwortet: Wenn die Menschen nicht „brav“ sind, kommt er spätestens zu der vorbestimmten Zeit, die wir allerdings nicht kennen. Wenn aber alle Menschen brav oder alle Menschen schlecht sind, dann kommt er genau zu diesem Zeitpunkt.

Warum? Wenn alle brav sind, dann verdienen sie, dass der Erlöser kommt. Wenn aber alle schlecht sind, dann muss er auch kommen – sonst ginge ja die Welt zugrunde. Deshalb gab es kürzlich eine Weltversammlung aller Juden, bei der dieses Problem besprochen wurde. Sie sahen es nicht als realistisch an, dass sie alle gleichzeitig „brav“ sein würden. Daher, so entschied man, wäre die zweite Strategie anzuwenden, nämlich, dass alle Juden den nächsten Schabbat nicht halten. Denn dann sind alle Sünder, und der Erlöser müsste sofort kommen.

Für die frommen Juden war das ein Sakrileg, aber um die Erlösung zu beschleunigen, waren doch alle einverstanden, den nächsten Schabbat nicht zu halten. Als der Erlöser dann nach dem nächsten Schabbat doch nicht gekommen war, wussten sie keinen Rat. Es gab eine neue Vollversammlung, bei der nach der Ursache geforscht wurde. Bis ein frommer Jude aus ihrer Mitte plötzlich in heiligem Zorn herausplatzte: „Ich habe es nicht über mich gebracht und den Schabbat doch gefeiert!“ Das war ein echter Fundamentalist. Also kann ich es nicht gewesen sein.

Abgesehen von der Hoffnung auf Erlösung gibt es aber auch noch kleinere Hoffnungen, die unser aller Leben prägen. Angesichts der Weltlage mit der Krise, die durch die Corona-Pandemie verursacht wurde, ist es wohl eine der größten Hoffnungen vieler Menschen – ob Juden oder nicht –, dass endlich wieder echte Normalität einkehrt, wir unser Leben wieder ohne Einschränkungen so leben können, wie wir es vor 2020 gewohnt waren. Vielleicht wird es ja schon so weit sein, wenn dieses Buch erschienen ist, und ihr sitzt damit zum Beispiel

gerade in einem belebten Kaffeehaus und freut euch, diese Zeilen in angenehmer Atmosphäre und guter Gesellschaft lesen zu können. Wenn nicht, dann gebt die Hoffnung aber nicht auf! Das Prinzip Hoffnung spielt gerade auch im Judentum eine wichtige Rolle. So wurden etwa nach der Schoa, als viele sich keine Zukunft mehr vorstellen konnten, in Israel zum Zeichen der Hoffnung Tausende Bäume gepflanzt, von denen jeder einem der „Gerechten unter den Völkern“ gewidmet war, jenen Menschen, die ihr eigenes Leben aufs Spiel gesetzt hatten, um Juden zu retten.

In den Psalmen schreibt König David, dass er auch in schlimmen Zeiten nie die Hoffnung verloren hat. Er hofft immer auf die Hilfe des Ewigen, die ihn retten wird. In einem Gebet, das wir Juden dreimal täglich sprechen, heißt es, dass wir immer darauf hoffen, dass der Ewige die Welt für uns reparieren kann! Aber wir alle können ihm dabei helfen, indem wir auf Ärzte und Wissenschaftler hören, uns sowie andere schützen und unsere Ansprüche für „nachher“ reduzieren!

Letztlich glaube ich, dass die Chance besteht, dass die Menschen aller Völker und aller Religionen durch die Corona-Pandemie und ihre weltweiten Verheerungen enger zusammenrücken (auch wenn sie vorerst noch ein bisschen Abstand halten sollten). Schließlich hat uns diese Krise gezeigt, wie eng verbunden unsere Welt heute ist und dass wir die Probleme, die uns noch erwarten, nur lösen können, wenn wir sie gemeinsam in Angriff nehmen und aufeinander Rücksicht nehmen. Wenn auch nur einige von uns diese Erkenntnis aus unserer Gegenwart mitnehmen, dann sind wir alle der Erlösung vielleicht schon wieder einen kleinen Schritt näher gekommen.

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Auszug aus dem druckfrischen Buch von
Paul Chaim Eisenberg
Lachen, Weinen, Hoffnung schenken.
Wenn der Rebbe vom Leben erzählt
Brandstätter Verlag

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