Was ist los mit der Kultur?

Der Berliner Kultursenator Joe Chialo wollte eine Antisemitismus-Klausel für Kulturfördergelder einführen. ©CC BY-SA 4.0/Jenny Michaelis

Nach dem 7. Oktober war das Schweigen der Kunst- und Kulturszene zum Massaker der Hamas ohrenbetäubend. Die Stimmen, die den Zivilisationsbruch durch die Terrororganisation Hamas und deren Handlanger anprangerten, waren verschwindend gering. Fehlende Solidarität, keine Empathie mit den Opfern in Israel, im Gegenteil: es dauerte nur wenige Stunden, bis sich die Stimmung drehte und – auch in Wien – Kundgebungen stattfanden, in denen die Rufe „From the River to the Sea“ skandiert wurden, eine Parole, die zur Zerstörung Israels aufruft. Während die Politik in den meisten westlichen Ländern diese Demonstrationen klar verurteilte und Zeichen der Solidarität mit Israel setzte, wartete man vergeblich auf derartiges aus der Kulturszene. Hier herrschte Anfangs demonstrative Gleichgültigkeit, die sich nun sogar ins Gegenteil verkehrt.
Auf der Abschlussgala der Berlinale sprachen Künstlerinnen und Künstler von einem Genozid Israels an den Palästinensern. Während des Applauses aus dem Publikum blieben die Verantwortlichen aus der Stadt und Bundespolitik Berlins und Deutschland sitzen und distanzierten sich erst spät und halbherzig. Die Filmemacherin Alice Brauner berichtet von einer aggressiven und aufgeheizten Stimmung. Außer Acht gelassen wurde, dass Israel mit dem Krieg in Gaza auf einen bestialischen Terrorangriff reagiert.
Immer mehr Stimmen aus der Kulturszene fordern einen Ausschluss israelischer Künstlerinnen und Künstler von Kulturveranstaltungen, z.B der Biennale von Venedig, selbst wenn es sich um israelische Kulturschaffende handelt, die öffentlich die Politik ihrer Heimat kritisieren. Sie sollen „gecancelled“ werden, nur weil sie Israelis sind. Hier greift eine Doppelmoral, denn niemand käme auf die Idee Künstlerinnen und Künstler zu boykottieren, die aus Ländern stammen, in denen Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind. Dann müssten wohl viele der Pavillons auf der Biennale leer bleiben.
Der 7. Oktober 2023 hat an die Oberfläche gespült, was seit Jahrzehnt brodelt. Die Diskussionen während der documenta um die antisemitische Kunst des indonesischen Kuratorenkollektivs, das Juden als Schweine darstellte, ist verpufft. Die BDS-Bewegung, die seit 2005 (dem Jahr in dem Israel komplett aus dem Gazastreifen abgezogen ist) fordert, Israel wirtschaftlich und gesellschaftlich zu isolieren, konnte ihr Narrativ erfolgreich verbreiten. Aus den Boykottaufrufen wurde offener Hass auf Israel, das als Apartheid-Staat verteufelt wird. Angesichts dieser Stimmung wollte der Berliner Kultursenator Joe Chialo eine Antisemitismus-Klausel für Kulturfördergelder einführen. Nach massiven Protesten von Kulturschaffenden musste Chialo seinen Plan zurücknehmen.
Zurecht muss man das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza betrauern, doch wo bleiben die Erwähnungen des Leidens der mehr als 130 israelischen Geiseln (der älteste ist 86, das jüngste ein Jahr alt) und der täglich weiterhin stattfindenden Raketenangriffe auf Israel? Weite Teile der Kulturszene sind auf diesem Auge blind. Und bedauerlicherweise weitet sich dieser Trend auf viele andere Bereiche aus, siehe Kunstuniversitäten, bzw. den Campus verschiedenster Universitäten von den USA angefangen.
Und in Wien ist eine Debatte um die Mitwirkung zweier prononcierter Israel-Kritiker an den Wiener Festwochen entstanden. Laut Programm sollen die französische Schriftstellerin Annie Ernaux, die einer Unterstützerin der BDS-Bewegung ist und der griechische Ökonom Yanis Varoufakis, der das Massaker der Hamas vom 7. Oktober nicht verurteilt, sondern Israel an den Pranger stellt, an den Festwochen teilnehmen. Während alle Parteien im Wiener Gemeinderat ihre Ablehnung ausdrückten und Parlamentspräsident Sobotka eine Ausladung fordert, besteht Festwochen-Intendant Milo Rau darauf, Ernaux und Varoufakis eine Bühne zu bieten. Rau hält an der Teilnahme von beiden fest, verteidigt seine Einladungspolitik und betont die Bedeutung von Meinungsfreiheit. Nationalratspräsident Sobotka kontert: Hier käme unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit der Antisemitismus durch die Hintertür herein. Und der Wiener Gemeinderat fordert Rau auf, seinen Entschluss nachhaltig zu überdenken. Bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe gab es davon noch keine Spur. Damit ist der einseitige Blick auf den Nahen Osten auch im Diskurs der österreichischen Kulturszene angekommen.
Kultur soll eine Brücke zwischen Menschen und Völkern bilden, mit klarer Sicht darauf, dass in der derzeitigen Diskussion das Thema nur vorgeblich der Krieg in Gaza ist. Hier geht es nicht nur um Israelis, um Jüdinnen und Juden, sondern um einen Angriff auf unsere Werte und letztendlich um Menschlichkeit.

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