Von Gott eingesetzt

© KURIER/Gerhard Deutsch

Das jüdische Volk ist schon etwas Besonderes, zunächst waren sie (noch als Familie) in Israel. Sie kamen auf Grund einer Hungersnot hierher, wo Josef, der Sohn von Jakob, das hohe Amt des Vizekönigs innehatte. Als sie nach Ägypten zogen, wurden sie vom Pharao noch freundlich aufgenommen und Josef ersuchte den Pharao, einen Teil des Landes, in dem nur die Israeliten wohnten, zu übergeben.

Schon damals waren sie folgsame Bürger und folgten einem Aufruf des Pharaos, Städte zu bauen. Diese Geschichte lesen wir zu Pessach aus der Haggada. Längere Zeit lebten sie schließlich in Israel. Das Land wurde von verschiedenen Herrschern erobert, und auch unter diesen waren die Jüdinnen und Juden immer brave Staatsbürger – solange man nicht von ihnen verlangte, dass sie sich von ihrer Religion abwenden (siehe Chanukka!).

Dem Pharao fiel auf, dass sich die Jüdinnen und Juden stark vermehrten. So bezeichnete er sie als Volk und stufte sie gleichzeitig als eine Gefahr für Ägypten ein. So heißt es am Beginn des zweiten Buches Moses: „Da sprach Pharao zu seinem Volke:, Sehet, das Volk der Kinder Israels wird zahlreicher und stärker als wir selbst.‘“ Das war natürlich eine Übertreibung, dennoch suchte der Pharao nach einer List, um sie zu dezimieren. Aus dieser List wurde später der erste brutale Antisemitismus.

Im Laufe von einigen Jahrhunderten lebte das jüdische Volk also in der Diaspora in Ägypten, danach in Israel unter der Herrschaft der Könige und wurde dann in die Diaspora nach Babylon vertrieben, wo es unter der Herrschaft der Babylonier stand. Dort sprach der Prophet Jeremia zu ihnen: „So spricht der Ewige zu all denen, die ich von Jerusalem nach Babylon weggeführt habe: baut Häuser und bewohnet sie, pflanzet Gärten, nehmet Frauen und zeuget Kinder… und suchet das Wohl [Friede] der Stadt und betet für sie zum Ewigen, denn in ihrem Wohle wird euch wohl sein.“ (Jeremia 29,4-11) Von hier stammt die Tatsache, dass die Juden, egal in welche Diaspora sie verschlagen wurden, immer gute Staatsbürger waren. Es begann in Ägypten, ging weiter so in Babylon und setzte sich fast zweitausend Jahre in allen Ländern der Welt fort.

Mein seliger Vater, Oberrabbiner Akiba Eisenberg, hat, wie auch andere Rabbiner in der Diaspora, daraus ein Gebet verfasst, welches dann an jedem Schabbat gebetet wird: „Wir beten für die Republik Österreich, ihr Staatsoberhaupt und ihre Regierung.“ Bezugnehmend auf verschiedene Ereignisse habe ich folgenden Satz hinzugefügt: „Mögen sie ihr verantwortliches Amt zum Wohle des Volkes ausüben.“ Es ist rund um die Welt üblich, die Staatsspitze in den Schabbatgebeten zu erwähnen. Mögen also die Regierenden, die in diesem Superwahljahr neu gewählt werden, sich daran halten. „Gewähre dem Heiligen Land Israels und der ganzen Menschheit einen lang ersehnten Frieden.“ Auch dieser Passus aus dem Gebet ist hochaktuell.

Die Sprüche der Väter Pirke Awot enthalten zwei widersprüchlich scheinende Verse. Der erste (Kapitel 2, Vers 3) lautet so: „Seid vorsichtig im Umgang mit den Machthabern, da sie nur im eigenen Interesse den Menschen näherkommen. Sie zeigen sich freundlich, wenn sie profitieren können, doch stehen sie den Menschen in ihrer Not nicht bei.“ Im zweiten (Kapitel 3, Vers 2) heißt es im Gegensatz dazu: „Rabbi Chanina sagt, bete für das Wohl der Regierung, denn wenn die Menschen sie nicht fürchten würden, würde einer den anderen bei lebendigem Leib verschlingen.“

Diesen Widerspruch möchte ich auf folgende Weise lösen: Beim ersten Zitat steht das Wort Machthaber. Machthaber beschreibt Menschen, die die Macht an sich gerissen haben. Das bezog sich insbesondere auf Griechen, Römer und Babylonier, solange sie im Lande Israel herrschten. Beim zweiten, positiven Zitat ist die Rede von jüdischen Königen, die aber auch ihre Autorität zum Wohle der Menschen ausübten.

Wahlen im heutigen Sinn gab es damals nicht, es gab zwar das Sahnedrin, in dem die Rabbiner die Gebote interpretierten und im Falle eines Zweifels durch die Mehrheit entschieden haben, aber Personen wurden in jenen Zeiten noch von Gott eingesetzt – was heute vielleicht manchmal auch nicht schlecht wäre.

In den Sprüchen der Väter im zweiten Kapitel kann man im weitesten Sinn von Wahlen sprechen, dort heißt es: „Rabbi fragt: Welcher Weg ist der gerade Weg, den sich der Mensch erwählen soll?“ Da haben wir tatsächlich die Wahl – zwar nicht andere Menschen in ein Amt zu wählen, aber uns für das Gute oder Böse zu entscheiden. All das, was uns vor dem Ewigen beliebt macht und auch das, was von den Menschen gerühmt wird. Das heißt, wir sollen religiös sein und trotzdem gut.

Kehren wir nochmal zum Anfang zurück. In einigen Tagen feiern wir das Pessachfest. Unter den fürchterlichen Dingen, die am 7. Oktober in Israel passiert sind, fällt nicht jedem auf, dass dieser Tag der letzte Tag des Sukkotfestes, nämlich Simchat Torah, war. Genau vor 50 Jahren, 1973, begann auch einer der schwersten Kriege, den Israel zu kämpfen hatte, zu Jom Kippur.

Die Israeliten wurden aus der Knechtschaft des Pharaos durch zehn Plagen des Ewigen befreit, nach jeder Plage erklärte sich der Pharao bereit, die Israeliten ziehen zu lassen, wenn diese Plage aufhören würde. Doch nachdem der Ewige diese Plage wieder beendet hatte, überlegte er es sich anders und ließ sie nicht ziehen, bis zuletzt der Tod der Erstgeborenen endgültig die Freiheit bewirkte.

Im Mittelalter erfanden die Feinde des Judentums damals noch in erster Linie die Christen, den sogenannten Ritualmord. Es wurde gerade zu Pessach immer wieder den Juden vorgeworfen, dass sie zum Backen der Mazzes das Blut von Christen verwenden würden. In der berühmten Geschichte von Rabbi von Bacherach, die Heinrich Heine niedergeschrieben hat, wird von einer solchen Situation berichtet, bei der christliche Verschwörer im Haus des Rabbis ein totes Kind versteckten und der Rabbi nur durch seine Aufmerksamkeit sich und die Familie durch eine Flucht rettete.

Die Ritualmordlegende von Anderl von Rinn, nach der Juden den Buben zu rituellen Zwecken zu Pessach ermordet hätten, entstand im 17. Jahrhundert und wurde zu einem regelrechten Anderl-Kult, der bis in die 1990er Jahre bestand. Mittlerweile hat die katholische Kirche den Kult durch ein Dekret aufgelöst.

Während wir zu Pessach in der Haggada von Freiheit sprechen, vergessen wir aber nicht, dass noch heute unsere Welt voller Gewalt und Unzulänglichkeit ist. Und erst mit dem Erscheinen des Messias ein endgültiger Friede für die ganze Welt erhofft und erbetet wird.

Ich wünsche euch allen ein frohes Pessachfest.

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