Vom Spaß, der böse Jude zu sein

Maxim Biller hat ein schmales, autobiographisches Buch namens „Der gebrauchte Jude“ geschrieben. Wie immer sorgt er damit für ziemliches Aufsehen – zu Recht!
Von Rainer Nowak

Treffen sich zwei der prominentesten jüdischen Intellektuellen Deutschlands: „Sie fragen mich in Ihrem Brief, ob ich der letzte deutsche Jude bin, der immer noch lieber Deutscher als Jude wäre. Was für ein Blödsinn! Man kann es sich nicht aussuchen, ob man Jude ist oder nicht. Verstehen Sie?“ Das sagt der eine, meint der andere: „Ich dachte, Sie sind eine Jude, der keiner sein will.“ Marcel Reich-Ranicki antwortet darauf Maxim Biller: „Und Ihnen macht es also Spaß, Jude zu sein, ja?“

Ja, Maxim Biller macht es Spaß, Jude zu sein. Aber dieser Spaß liest sich in seinem neuen Buch „Der gebrauchte Jude“, aus dem die Konversation stammt, seltsam traurig und zynisch unterhaltsam zugleich. Der Schriftsteller, Kolumnist und Skandalautor, der auch durch Details über seine Exfreundin berühmt wurde beziehungsweise durch deren Klage gegen die literarische Verwendung, definiert sich gerne über die Abgrenzung. Das war in seinem legendären Format „100 Zeilen Hass“ in der deutschen Zeitschrift „Tempo“ so, das ist in seinen Passagen über andere prominente Juden so, das ist in den Reaktionen der anderen so. Keine deutsche Tageszeitung, die dem neuen schmalen Buch des Feuilletonschrecks nicht einen großen Text widmete – meist ein Verriss. Henryk M. Broder, nicht mehr ganz junger Edelpolemiker mit klarer politischer Mission, ist ein gutes Beispiel.

Er durfte/musste im „Spiegel“ in epischer Breite jammern, wie gemein Biller doch sei. Dabei formuliert Broder Passagen, die nicht einmal Biller über sich zu schreiben gewagt hätte: „Ich habe Biller immer ein wenig beneidet. Erstens weil er jünger, zweitens weil er größer, drittens weil er ein Literat ist (…). Vor allem aber, weil er eine Melancholie ausstrahlt, die Frauen unwiderstehlich finden.“

Daran muss jeder Mann verzweifeln. Und noch viel mehr an der eigentlichen Qualität Billers, die bei Broder unter „Literat“ läuft: Er deutet immer nur an, spielt mit Formulierungen und Atmosphäre, ohne explizit oder gar direkt zu werden. Genau das also, was in seiner bisher virtuos gespielten Rolle als Henker und Rambo mit Kolumnen unterging und was das deutsche Feuilleton so kritisierte. Da lässt sich zwischen den Zeilen viel herauslesen, wenn er etwa in Wien ganz kurz eine Begegnung mit Gustav Peichl streift, dem Architekten, „Presse“-Karikaturisten und Vater eines seiner Chefredakteure.

Da taucht das Österreich der Waldheim-Jahre auf. Natürlich ist Billers Sympathie für den Außenseiter, der sich hinaufschreibt, leicht nachzuvollziehen: Maxim Biller, Sohn russischer, in Prag lebender Juden, kommt als Zehnjähriger mit seiner Familie nach Deutschland. Nach dem Studium (Neuere Deutsche Literatur, Geschichte und Philosophie in Hamburg und München) geht er auf die Deutsche Journalistenschule in München; wirklich geheuer ist ihm der Job nicht. Er stolpert in die ersten Kolumnen, wir schreiben die 1980er Jahre, das Geld fließt, die Zeilen auch. Noch mehr Echo ruft eines seiner späteren Werke hervor: Billers Roman über die Liebe zwischen dem jüdischen Schriftsteller Adam und einer jungen Türkin namens „Esra“ wurde bald nach Verkaufsstart mit einem heftig diskutierten Verbot belegt.

Sein Selbstporträt umschifft das alles elegant-arrogant. Es geht ihm mehr um sein jüdisches Bewusstsein. Oder besser: seine Befindlichkeit. Billers These ist einfach und schwer zu widerlegen. Deutschland – und Österreich ist da nicht anders – reduziere ihn öffentlich und privat aufs Jude- Sein. Der Deutsche fühle sich durch ihn offenbar ständig unangenehm erinnert, provoziert oder bestätigt: Er sei in die Rolle des lauten Zynikers und unverstandenen Außenseiters gedrängt worden. Normalität sei ihm verwehrt. Würde man ihm antworten, dass er sich in die Rolle habe drängen lassen, dass er offenbar eben gern das Opfer sei, dann ist das schlicht antisemitisch. Das weiß Biller und hat es schon vorweggenommen. Genial.

Maxim Biller
Der gebrauchte Jude
Kiepenheuer & Witsch,
176 Seiten, 17,50 Euro

Die mobile Version verlassen