Vom Graffiti-Sprayer zum Pressesprecher

In der Früh war er noch als Beobachter einer Übung an der Grenze zu Syrien. Jetzt sitzt er in einem der schicken Lokale im Tel Aviver Stadtteil Saronna, entspannt sich bei einem typisch israelischen Mittagessen und erzählt über seine Bemühungen, Informationen aus erster Hand an Medien und Bürger zu bringen. Für NU sprach Major Arye Sharuz Shalicar, Pressesprecher der Israelischen Armee, mit René Wachtel.

„Die ersten Früchte meiner Arbeit sehe ich schon“

 

 

Auch wenn er noch etwas abgekämpft von einem Manöver am Golan gekommen ist, nimmt sich Major Shalicar dann doch zwei Stunden Zeit, um über seine Karriere und seine heutigen Aufgaben zu plaudern.

Die Biografie von Major Shalicar ist bemerkenswert: Seine Eltern, persische Juden, kamen in den 1970er Jahren aus dem Iran nach Deutschland, er wurde 1977 in Göttingen geboren. Die Familie zog später nach Berlin – erst nach Spandau und dann, als er 13 Jahre alt war, nach Berlin-Wedding. Arye war sich seines Judentums bis zu diesem Zeitpunkt nicht sehr bewusst, doch im Wedding wurde es ihm schmerzhaft beigebracht. Der Wedding ist ein Bezirk mit einem hohen muslimischen Bevölkerungsanteil, und so wurde er plötzlich zum Außenseiter und auch zur Hass-Zielscheibe antijüdischer Jugendlicher. Sein Judentum, so sieht er das heute, wurde von den Moslems in ihn hineingeprügelt. Da man zu dieser Zeit als junger Mann dort nur in einer der Gangs überleben konnte, verbündete er sich mit der kurdischlibanesischen Gang „Kolonie Boys“. Die Gang bot ihm Sicherheit und auch Zuneigung. Arye wurde in dieser Zeit zu einem der bekanntesten Graffiti- Sprayer in der Gegend und machte die Bekanntschaft einiger Hip-Hop Musiker, wie „Frauenarzt“, „Manny Marc“ oder „MC Bogy“. Er war auch selbst als Rapper aktiv. Aber bald begann er zu verstehen, dass er seine Zukunft entweder im Gefängnis verbringen oder sogar bald tot sein würde, wenn er so weitermachte. Er erzählt, dass er damals mit 17 Jahren begriff, dass er aus dieser Szene und dieser Umgebung weg musste. Mit Hilfe seiner Eltern und seiner damaligen Freundin schaffte er das auch. 1997 machte er das Abitur und leistete seinen Grundwehrdienst als Sanitäter bei der Deutschen Bundeswehr. Danach begann er in Berlin zu studieren: Politikwissenschaften, Jüdische und Islamische Studien.

Das wichtigste Ereignis in dieser Zeit aber war sein erster längerer Aufenthalt in Israel im Jahr 1999, der ihn in einen Kibbuz führte. Er war wie verzaubert – das war das Land, in dem er sein wollte. Hier konnte er als Jude leben, wurde nicht schief angeschaut und fand auch sofort ein Zuhause. Zwei Jahre später wanderte er nach Israel aus. Er meldete sich gleich zu Zahal (Israel Defence Forces – IDF) und ging zu den Fallschirmjägern. Nach dem Militärdienst setzte er seine Studien in Jerusalem fort und beendete sie 2006 mit einem Bachelor in Politikwissenschaften und 2009 mit einem Master in European Studies. Er begann für das Studio der ARD in Tel Aviv zu arbeiten.

Auftritte in den Social Media

Über seine Jugend in Berlin hat er auch ein Buch geschrieben: Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude: Die Geschichte eines Deutsch- Iraners, der Israeli wurde ist 2010 auch auf Deutsch erschienen. Aufbauend auf diesem Buch wurde im Februar 2016 in Berlin ein Theaterstück aufgeführt, zu dem Arye Shalicar als Ehrengast eingeladen wurde.

2009 erfuhr er, dass die Israelische Armee für die Presseabteilung einen neuen Chef des „European Desk“ suchte. Neben der klassischen Arbeit mit Journalisten aus aller Welt wollte man gezielt Informationen der Armee auch direkt der Öffentlichkeit mitteilen. Und so wurde der „European Desk“ in der Kommunikationsabteilung installiert. Arye Shalicar bewarb sich erfolgreich und wurde zum Leiter ernannt, womit er wieder beim Militär gelandet war. Der „European Desk“ hat derzeit neun Mitarbeiter. Arye Shalicar wurde inzwischen zum Major befördert.

Die Aufgaben des „European Desk“ sind professionelle Journalistenbetreuung und auch Social-Media-Aktivitäten wie zum Beispiel Facebook. Shalicar hat eine eigene Facebook-Seite, die auf Deutsch über 10.000 Follower hat.

Die Israelische Armee nützt die Social-Media-Auftritte als eine Möglichkeit, ihre eigene Sichtweise direkt darzustellen. „Sicherheit ist ein zentrales Thema in Israel, um uns herum sind Bürgerkriege, Waffenschieber, Terrororganisationen und Tunnelbauer. Klar ist es nett, pazifistische Ansichten zu haben, aber unsere Nachbarn sind eben nicht Luxemburg und die Schweiz, sondern von ganz anderem Kaliber, das dürfen die Menschen nicht vergessen, wenn sie über uns urteilen“, sagt Shalicar.

Vor allem in Deutschland, aber auch in anderen Ländern Europas sei die Berichterstattung zu Israel und seinen militärischen Aktivitäten einseitig, sodass es notwendig sei, ein Gegengewicht zu schaffen. Die palästinensische Propaganda habe in Deutschland in den letzten Jahren viel Wirkung erzielt, meint Arye Shalicar. Es habe sich herausgestellt, dass viele Journalisten, teilweise aus Unwissenheit, diese Propaganda einfach übernommen haben. Der „European Desk“ will diesem Trend entgegenwirken, und gerade da seien Social Media heute nicht wegzudenken. Die Israelische Armee ist neben der US-Armee die einzige Streitkraft der Welt, die Facebook professionell einsetzt.

Ein gerne gesehener Gast bei Talkshows

Speziell die Facebook-Seite auf Deutsch ist für den Armeesprecher auch ein persönliches Anliegen, hier kann er in seiner Muttersprache mit Menschen aus seiner ehemaligen Heimat kommunizieren. Allgemeine politische Statements werden von der Armee jedoch nicht abgegeben.

Man findet auf der Seite tagesaktuelle Informationen, so etwa, wenn wieder ein Messer-Attentat in Israel verübt wurde, aber auch interessante Einblicke in die Arbeit der Israelischen Armee. Daneben gibt es Infos über die einzelnen Einheiten, über Berufschancen für behinderte Menschen in der Armee (es werden zum Beispiel Autisten für die Radarüberwachung eingesetzt), über junge Menschen aus Minderheiten in Israel, die sich freiwillig zur Armee melden (Drusen, Christen, Beduinen) oder auch Berichte über die vielen Juden aus aller Welt, die sich als Freiwillige melden (die sogenannten „Lone Soldiers“).

Auf die Frage, ob er schon Erfolge durch diese neue Art der Kommunikation erkennt, meint Arye: „Ja, die ersten Früchte meiner Arbeit sehe ich schon. In Deutschland bin ich inzwischen ein gern gesehener Gast bei Talkshows, werde immer wieder zu Vorträgen eingeladen, und viele Medien übernehmen meine Berichte. Interessant ist auch das Diskussionsforum, das sich auf meinem Facebook-Account entwickelt hat. Es gibt viele Fragen von Bürgern aus Deutschland an mich, die auch unseren Standpunkt hören wollen. Deswegen habe ich eine „Frageund- Antwort-Session“ auf Facebook eingerichtet, in der ich für zwei bis drei Stunden online erreichbar bin und Fragen beantworte. Ich sehe meine Arbeit schon sehr positiv. Es ist zwar nur ein kleiner Teil eines Mosaiks, aber wenn ich mir Berichte in deutschen Medien aus den letzten Monaten anschaue, bemerke ich, dass vorurteilsfreier über die Situation in Israel berichtet wird.“

Leider habe er derzeit nur wenige (rund 150) Follower aus Österreich. So zeigt sich, dass er das Gespräch mit NU auch gerne geführt hat, um ein bisschen Werbung in Österreich zu bekommen. Na dann also, der Facebook- Account lautet: www.facebook.com/ MajorAryeShalicar/

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