Torschützen und Kaffeehausjuden

Hans Menasse 1955: Österreichischer Fußballmeister mit der Vienna.
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Friedrich Torberg und Hans Menasse, die beiden bekanntesten jüdischen Sportlerpersönlichkeiten aus Wien, hatten ähnliche Schicksale und unterschiedliche Erfahrungen.

Wenn Athleten so berühmt werden, dass man noch Jahrzehnte später von ihnen spricht, dann liegt das an ihren überragenden sportlichen Leistungen. Bei jüdischen Sportlern geschieht das oft auch, weil sie auf irgendeine Weise in die Literatur eingehen. Das gilt zumindest für zwei Männer, an die man als erste denkt, wenn es um Juden und Sport in der österreichischen Geschichte geht – Friedrich Torberg und Hans Menasse. Der eine war 1928 Meister im Wasserball für seine Mannschaft Hagibor Prag, der andere 1955 österreichischer Fußballmeister mit der Vienna und Spieler im Nationalteam. 22 Jahre beträgt der Altersunterschied – im 20. Jahrhundert eine kleine Ewigkeit.
Friedrich Torbergs Begeisterung für den Sport fand in seinem 1935 erschienenen Roman Die Mannschaft ihren Niederschlag und zieht sich durch zahlreiche andere Schriften, darunter auch seine berühmte Anekdotensammlung Die Tante Jolesch oder der Untergang des Abendlandes. Bei Hans Menasse waren es seine Literaten-Kinder, die seine Fußballkarriere verewigten, allen voran Eva Menasse in ihrem großartigen Familienroman Vienna (2005). Das aktuelle Buch über Menasse The Austrian Boy hat sein Neffe Peter Menasse mitverfasst, und es ist mit einem persönlich gehaltenen Nachwort seiner Kinder Robert, Eva und Tina versehen.
Dass Menasse nicht selbst zum Buchautor geworden ist, lag wohl auch an den Umständen seiner Zeit. Nach seiner Fußballkarriere wurde er Pressechef der US-Filmgesellschaft Paramount in Österreich und war dann fast fünf Jahrzehnte als Sprachrohr Hollywoods aktiv. Er war bekannt für seinen Witz und seine Fabulierkunst. Seine Kinder beschreiben das so: „Hans Menasse war und ist ein unaufhörlicher Geschichtenerzähler, ein leidenschaftlicher Schöpfer von Anekdoten, witzigen Formulierungen und verrückten, manchmal sehr albernen Sprachspielen.“ Zu ihm passte das Prädikat, das Kurt Tucholsky dem Wiener Publizisten Anton Kuh verliehen hat: Er war ein Sprechsteller.

Schönster Tag im Leben

Menasses fehlendes schriftliches Œuvre macht er durch seine sportliche Bedeutung wett. Im Wien der fünfziger Jahre in zwei Spitzenklubs – Vienna und Austria – Fußball zu spielen, war eine große Leistung. Torbergs Fußballkarriere endete hingegen schon als 13-Jähriger, als er sich von seinen Eltern für seine Bar Mizwa die Erlaubnis wünschte, dem jüdischen Sportklub Hakoah beizutreten, was in der großbürgerlichen Familie Kantor – so hieß er damals – eigentlich als unschicklich galt. Doch für Fußball war er nicht gut genug und wurde deshalb Schwimmer; nach der Übersiedlung der Familie nach Prag landete er beim Wasserball. In seinem Leben war das keine zweite Wahl. Das 2:0 seiner Mannschaft gegen PTE Preßburg im Finale der tschechoslowakischen Wasserballmannschaft 1928, bei dem Torberg beide Tore schoss, nannte er später den schönsten Tag seines Lebens.
Im Vergleich der beiden Sportlerpersönlichkeiten bildet ein ganz anderer Aspekt den größten Kontrast, und das ist die Rolle, die das Judentum in ihrem Leben gespielt hat. Torberg ist in einer bewusst jüdischen Familie aufgewachsen, und auch wenn er nicht religiös war, bildete dies stets den Kern seiner Identität. Und verbunden mit Judentum war die Auseinandersetzung mit Antisemitismus, von dem er als aktiver Sportler und Sportfan im Prag und Wien der Zwischenkriegszeit viel mitbekam. Das „Hoppauf, Herr Jud“ eines Wiener Vorwärts-06-Anhängers, der aus taktischen Gründen ausnahmsweise auf den Sieg der Hakoah hoffte, ist eine der bezeichnenden Episoden aus der Tante Jolesch.
Torberg war ein jüdischer Sportler par excellence, auch wenn sein Schriftstellerkollege Robert Neumann Die Mannschaft folgendermaßen kommentierte: „Ich habe Ihr Buch gelesen, und ich muss gestehen, dass ich ursprünglich sehr skeptisch war, schon weil Sportromane jetzt in Mode sind. O weh, dachte ich, da will sich ein Kaffeehausjud als Sportler gebärden. Jetzt weiß ich, dass Sie ein Sportler sind, der als Kaffeehausjud posiert.“ Seine Erfahrung mit Vertreibung und Exil kam erst nach Ende seines Sportlerlebens.

Tür an Tür

Auch Hans Menasse war und ist eine Persönlichkeit, die stark in der jüdischen Erfahrungswelt des 20. Jahrhunderts verankert ist. Seine Mutter war katholisch, was seinem jüdischen Vater in der NS-Zeit das Leben rettete, und in seinem Zuhause spielte Religion überhaupt keine Rolle. Aber sein Leben war schon früh geprägt durch antijüdische Verfolgung: Mit acht Jahren kam er Ende 1938 in einem Kindertransport nach England, wo er die Kriegsjahre ohne Eltern und bald auch mit wenig Kontakt zu seinem älteren Bruder Kurt bei mehreren Pflegefamilien verbrachte. Dort wurde jenes Fußballtalent in ihm entdeckt, das ihn nach seiner Rückkehr nach Wien mit 17 Jahren zu einem Spitzenspieler machte.
Wenn man das Buch The Austrian Boy liest, fällt eines auf: Sein Schicksal als jüdischer Flüchtling interessierte im Wien der Nachkriegszeit niemanden und beschäftigte auch ihn kaum. Damals wurde über die Vergangenheit ein dicker Mantel des Schweigens gelegt, sowohl von jüdischen Überlebenden als auch den Österreichern, die selbst an Verbrechen teilgenommen oder diese stillschweigend hingenommen hatten. Menasse spielte in der Vienna mit Kindern von Kriegsverbrechern, ohne dass ihn das irgendwie berührte. Sein Vater war nicht bereit, über Erlebnisse im Krieg zu erzählen, und die Söhne fragten nicht nach. Sie „verstanden sehr rasch, dass die NS-Ideologie noch in den Köpfen vieler Österreicher und Österreicherinnen verankert war. Wohl auch aus diesem Grund wählten ihre Eltern das Schweigen über die Umstände ihres (Über-)lebens in Wien von 1938 bis 1945 als Bewältigungsstrategie“, wird das im Buch erklärt.
Der Umgang der Menasses mit ihrer eigenen Verfolgung war typisch für diese Generation, und das Ignorieren der NS-Gräuel das prägende Merkmal im Nachkriegsösterreich. Diese Einstellung, die heute oft kritisiert wurde, diente auch der Versöhnung: Menasse spürte offenbar in der rauen Welt des Fußballs keinen Antisemitismus. Das fehlende Schuldgefühl führte auch dazu, dass ein aufstrebender Spieler mit einem leichten englischen Akzent, der seine Jugendjahre im Ausland verbracht hatte, zumindest nach außen hin stets als „einer von uns“ betrachtet wurde und nicht als „der Jud“ wie in Torbergs Jugend. Opfer und Täter lebten Tür an Tür und spielten gemeinsam Fußball, als ob nichts gewesen wäre. Der Antisemitismus war sicher nicht verschwunden, aber man stellte ihn nicht mehr zur Schau.
Erst spät in seinem Leben hat Menasse begonnen, sich mit der eigenen Fluchtgeschichte und der jüdischen Identität auseinanderzusetzen – und darüber als Zeitzeuge zu sprechen. Und als Menasse vor kurzem dem Standard-Redakteur Fritz Neumann im Rahmen eines „Sportmonologs“ über sein Leben erzählte, da drehte sich alles um Kindheit, Flucht, Leben im Exil und die schwierige Rückkehr nach Wien. Menasses Sportlerleben ist durch und durch ein jüdisches Schicksal, das auch Friedrich Torberg als Romanvorlage hätte dienen können.

Alexander Juraske / Agnes Meisinger / Peter Menasse
Hans Menasse: The Austrian Boy
Böhlau Verlag, Wien
, 180 Seiten, EUR 23,-

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