Sie sind gekommen, um zu bleiben

Wer vom digitalen Gezwitschere genug hat, kann sich ja zur Abwechslung mal echte Vögel anhören – oder dieses 1880 entstandene fantastische Aquarell von Hector Giacomelli genauer ansehen.©RAWPIXEL/CC-0

Facebook & Co. haben unsere Kommunikation revolutioniert. Ein neues Vokabular geht damit einher: Social Media, Content, Follower, Hashtag, Liken, Posten, Shitstorm und Hassposting gehören längst zum festen Bestandteil unseres Wortschatzes. 

Von Mark E. Napadenski

Es ist vermutlich die bisher einflussreichste Veränderung des 21. Jahrhunderts, denn sie greift in die Struktur, in der wir als Gesellschaft interagieren. Die Welt wächst zu einem „global village“, Hasspostings auf Facebook und in Telegram-Chatgruppen sorgen permanent für negative Schlagzeilen. Was beim Arabischen Frühling noch als innovatives Kommunikationsmittel und als Errungenschaft des Westens gefeiert wurde, ist heute Basis für organisierte rechtsextreme Gruppierungen und Verschwörungstheoretiker (m/w/*). Die perfekte Kombination aus Smartphone und Social Media bildet, wie hinlänglich bekannt, die Grundlage dieser weitreichenden Veränderungen. Auch die negativen Folgen werden längst intensiv beleuchtet, dennoch hinkt die Gesetzgebung hinter den Mediengiganten Facebook, Google, Twitter, Telegram hinterher. Auch wenn einige Gesetze bereits erfolgreich in Kraft getreten sind, bleibt es doch fast unmöglich, die Verantwortlichen vor Gericht zu verurteilen. Datenmissbrauch ist daher ebenso alltäglich wie Hass im Netz.

Rezent ist der Suizid einer oberösterreichischen Ärztin nach Monaten der Online-Terrorisierung. Obwohl es bereits rechtliche Grundlagen gibt, Täter strafrechtlich zu verfolgen, fehlt oftmals das nötige Know-how der Behörden, dies auch zu tun. Rufe nach einer eigenen Staatsanwaltschaft werden daher immer lauter, die Veränderungen ziehen sich bis in die rechtliche Grundstruktur unserer Gesellschaft. Es bleibt, so oft diese Geschichte erzählt wird, erstaunlich, wie aus dem studentischen Wohnzimmerprojekt „The Facebook“ der Tech-Gigant Meta Platforms Inc. und eine Medienrevolution wurden. Meta Platforms inkorporiert mittlerweile die Unternehmungen Facebook, Instagram, WhatsApp und Oculus, einen Hersteller von Virtual-Reality-Technologie. Die somit anfallenden Daten sind schier unvorstellbar, der damit verbundene Macht- und Einflussgewinn angsteinflößend.

Radikale Veränderung

Neben Facebook hat auch eine zweite Medienplattform unser politisches Dasein verändert: Twitter ist ein essenzieller Teil der Kommunikation von Politikern und Politikerinnen geworden. Kaum ein zweites Medium schafft eine so unmittelbare Nähe zwischen Wählern und Gewählten. Auch Nachrichtenagenturen, ja, sogar die öffentliche Sicherheit nutzt Twitter. Fast schon absurd, wenn die Polizei Sicherheitswarnungen so kommuniziert oder Donald Trump wegen Aufhetzung von der Plattform gesperrt wird. Oder nicht?

Es ist erstaunlich, wie essenziell diese Unternehmen geworden sind und wie radikal sie die Kommunikations- und Medienlandschaft verändert haben. Sie sind kaum aus unserem Alltag wegzudenken und wurden lange Zeit völlig unreflektiert genutzt.

Doch mittlerweile ist die Debatte differenzierter, so manche Befürchtung hat sich nicht bewahrheitet. Die einen wollen beweisen, dass unser Wortschatz schrumpft; die anderen, dass er wächst. Allgemein wird aber angenommen, dass aufgrund der Überreizung unsere Aufmerksamkeitsspanne drastisch reduziert wurde und Inhalte auf den Plattformen nun innerhalb von acht Sekunden transportiert werden müssen.

So trivial es für manche klingen mag, ist auch das Aufkommen einer (fast) neuen Kunstform revolutionär: Memes sind weniger das Produkt von Facebook & Co., sondern etwas, das als Internet- oder Cyberkultur bekannt ist. Es handelt sich dabei um die Kombination aus Bild und Schrift, die mal narrativ, mal suggerierend, aber immer illustrativ ist. Ein Kommunikationsmittel wie dieses hat in dieser Form noch nie existiert. Zwar gibt es Vorläufer, allerdings lässt sich durch die Vielschichtigkeit und als Folge der urheberrechtlichen Narrenfreiheit etwas beobachten, das popkulturell außerordentlich relevant ist. Vermutlich braucht es daher nicht mehr lange, bis die Memes auch im Museum landen.

Welt der Memes

Sie kodifizieren Zugehörigkeiten und markieren einen Zeitgeist. So gilt Pepe der Frosch als Identifikations-Maskottchen für rechtsextreme Gruppierungen oder wird als NFT (Non-Fungible Token) gehandelt. Auch gibt es seltene Pepes, die gesammelt und ausgetauscht werden. Einige Gruppen wollen den Konnex von Pepe dem Frosch zum rechtsextremen Milieu nicht gelten lassen, auch wenn er dort vermehrt genutzt wird. Durch Memes werden politische Inhalte und gesellschaftlich relevante Themen ebenso transportiert wie Humor und Lebensgefühl. Dadurch entstehen neue Ikonen, die nicht nur politische, sondern auch kulturelle Zusammengehörigkeit markieren. Kaum eine WhatsApp- oder Telegram-Gruppe kommt mittlerweile ohne sie aus, und eine Welt ohne Memes ist faktisch nicht mehr vorstellbar.

Generell sind die sozialen Medien gekommen, um zu bleiben. Dabei rücken primär weiße Männer ins Rampenlicht und brüsten sich mit Zukunftsfantasien. So soll Meta von Mark Zuckerberg Grundstein einer neuen virtuellen Realität werden und somit Habitat einer rein digitalen Gesellschaft. Der Beinahe-Twitter-Eigentümer und Cosmo-Fantast Elon Musk katapultiert 30.000 Satelliten in den Orbit, um die weltweiten Internetverbindungen zu verbessern. In klaren Nächten bietet sich deshalb ein stellares, von Menschenhand geschaffenes Schauspiel, das für viele wie eine Vision einer neuen Zukunft wirkt: hunderte leuchtende Objekte, aufgefädelt in einer Linie im Weltraum. Doch neben der Befriedigung von Sci-fi-Fanatsien bleibt die Frage: Um welchen Preis? Sind doch die Tech-Industrie und der daran hängende Markt enorme Faktoren für den Klimawandel. Und bekanntlich scheint es auch keine digitale Alternative für analoge Ressourcen zu geben. Dafür bräuchte es schon eine neue Revolution.

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