Shoppingtempel mit jüdischer Geschichte

Das neue Kaufhaus Tyrol im Herzen Innsbrucks wirbt mit seiner Geschichte. Zumindest mit Teilen davon. Die weniger werbewirksamen, gerne verdrängten Kapitel hat Historiker Horst Schreiber in seinem neuen Buch aufgearbeitet.
Von Steffen Arora

„Ein Mythos kehrt zurück.“ Mit diesem eingängigen Slogan wurde die Neueröffnung des traditionsreichen „Kaufhaus Tyrol“ Anfang März dieses Jahres in Innsbruck zelebriert. Warum auch nicht? Immerhin kann das Einkaufzentrum auf eine über hundertjährige Geschichte verweisen. Dass diese Vergangenheit zuallererst eine jüdische ist, geprägt von Antisemitismus, der in einer besonders perfiden Arisierung gipfelte, von der Vertreibung und Ermordung der einstigen Gründer und schließlich der endlos hinausgezögerten und letztlich verwehrten Entschädigung nach Kriegsende, wurde im Zuge all des Brimboriums jedoch geflissentlich ausgeblendet. Wäre da nicht der Innsbrucker Zeithistoriker Horst Schreiber, der genau diese dunklen Flecken zeitgerecht zur Eröffnung akribisch aufgearbeitet und in Buchform erstmals einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht hat. In „Von Bauer & Schwarz zum Kaufhaus Tyrol“ zeichnet Schreiber mit seinen beiden Co-Autoren, der Historikerin und Journalistin Andrea Sommerauer sowie dem Journalisten Hannes Schlosser, den Weg vom KULTUR dereinst jüdischen Warenhaus zum heutigen Shoppingtempel nach.

Schreiber, für seine Forschung in Sachen NS-Vergangenheit bekannt, hat sich dem Zeitraum von der Gründung 1908 bis zur versagten Entschädigung der einstigen Eigentümerfamilien 1959 gewidmet. Sommerauer und Schlosser behandeln die jüngere Geschichte des Kaufhauses. Sein Werk sei nicht als Anklage gegen die heutigen Besitzer zu verstehen, betont Herausgeber Schreiber: „Das ist keine Schuldgeschichte, es geht um Geschichtsbewusstsein.“ Denn der Tiroler Investor René Benko, der mit seiner Signa Holding die leer stehende Bauruine 2004 erstanden, abgerissen und nach den Plänen des britischen Stararchitekten David Chipperfield neu aufgebaut hat, ist mit den Ereignissen von damals nicht in Zusammenhang zu bringen. Dazwischen liegen zahlreiche Besitzerwechsel. Doch Benko beschwört werbewirksam den „Mythos“, die Jahrhunderttradition seines neuen Prachtstückes. Sogar das legendäre Tanzcafé Schindler – einst jüdische Traditionskonditorei direkt neben dem historischen Kaufhaus, die ebenfalls arisiert, aber später restituiert wurde – ist als „Das Schindler“ im Kaufhaus Tyrol namentlich wieder auferstanden. Hinweise auf die weniger marketingtauglichen Facetten dieser Vergangenheit sucht man indes vergeblich. Sie sind in Schreibers Buch zu finden.

Die Geschichte des Warenhauses Bauer & Schwarz und ihrer Gründer steht repräsentativ für das Schicksal vieler jüdischer Familien dieser Zeit. Im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts zogen in Innsbruck einige wenige, meist kaufmännisch orientierte jüdische Familien zu. Die Gemeinde war klein und doch grassierte schon damals der Antisemitismus, getragen in erster Linie durch katholische Kaufleute, die sich mit ungebetener Konkurrenz konfrontiert sahen. Mit der Eröffnung des Warenhauses Bauer & Schwarz im Jahr 1908, das für Tirol bahnbrechend war und die Moderne in Sachen Konsum einläutete, schufen die Gründer zugleich ein Feindbild für ihre Gegner. Die Jahre bis 1938 waren keineswegs goldene, dennoch lebte und überlebte die Firma und galt als verlässlicher Handelspartner. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten änderte sich die Situation dramatisch. Die Eigentümer, die die drohenden Zeichen der Zeit erkannten, versuchten noch, ihren Betrieb rechtzeitig zu verkaufen. Doch das Regime entzog ihnen sämtliche Befugnisse und führte das Unternehmen unter einer Art Sachwalterschaft innert weniger Monate in den Bankrott. Wie die sprichwörtlichen Geier stritten sich Innsbrucker und deutsche Kaufleute um das Traditionskaufhaus. Schließlich erstand der Münchner Geschäftsmann Ferdinand Kraus den Betrieb im Oktober 1938 weit unter Wert. Die Familien Bauer und Schwarz waren angesichts der Enteignung am Boden zerstört, sahen sich vor den Trümmern jahrzehntelanger Arbeit. Sie hatten sich nie als Fremde in Tirol gefühlt, waren, wie es Schreiber bezeichnet, faktisch assimiliert, lebten genau so, wie auch alle anderen Tiroler. Sie liebten die Berge, ihr Tirol und verwiesen stets mit Stolz auf ihren Einsatz fürs Vaterland im Ersten Weltkrieg. Nun war alles anders und es sollte noch schlimmer kommen. Zahlreiche Mitglieder der weitverzweigten Familien Bauer und Schwarz wurden von den Schergen des NS-Regimes ermordet. Wer konnte, floh. Heute leben die Nachfahren über die ganze Welt verstreut, von Israel bis Neuseeland. Nur zwei Nachfahren kehrten später wieder nach Innsbruck zurück, die meisten Familienmitglieder haben ihr geliebtes Tirol nie wieder gesehen.

Nach Kriegsende blieb das durch Bombentreffer schwer beschädigte Kaufhaus, das mittlerweile nach seinem neuen „Eigentümer“ Ferdinand Kraus benannt war, in dessen Besitz, es galt als deutsches Eigentum. Die Republik Österreich rechnete sich indes Chancen aus, die Immobilie zu übernehmen und zog das Restitutionsverfahren bewusst in die Länge. Diese Taktik ging zu Lasten der ehemals jüdischen Eigentümer, die ganze zwölf Jahre vor Gericht um Wiedergutmachung kämpfen mussten. Mit ernüchterndem Ergebnis: Im Jahre 1959 stimmten sie notgedrungen – die Prozesskosten nahmen erdrückende Ausmaße an und die Familien waren nach ihrer erzwungenen Flucht praktisch mittellos – einem außergerichtlichen Vergleich zu. Alle fünf klagenden Familien, die Nachfahren der Gründer, wurden gemeinsam mit mageren 1,32 Millionen Schilling abgespeist. Allein die daraus zu begleichenden Prozesskosten beliefen sich auf mehrere hunderttausend Schilling. Der durch Arisierung zu seinem Besitz gelangte Unternehmer Kraus blieb indes unbehelligt. Nur fünf Jahre später verkaufte er das Kaufhaus für 27,5 Millionen Schilling weiter.

1966 begann unter den neuen Eigentümern durch Namensänderung die Ära des heutigen Kaufhaus Tyrol. Es wurde schließlich zum Teil der Gerngross-Gruppe, bis diese 1983 von Konsum Österreich aufgekauft wurde. Es folgten Jahre des Niedergangs, die in der Konsumpleite 1995 gipfelten. Die Firmen Palmers, Wolford, die Wiener Werbeagentur GGK und Günter Jacobs erstanden aus der Konkursmasse die Gerngross-Kaufhäuser und damit auch das Kaufhaus Tyrol, immerhin Top-Immobilie in Zentrumslage. Die Konkurrenz der Einkaufszentren an der Peripherie machte dem Innenstadtkaufhaus schwer zu schaffen. Es fehlte zugleich an Ideen und Konzepten. Der Niedergang war nicht mehr aufzuhalten. 2002 schlossen die ersten Betriebe im Gebäudekomplex ihre Pforten, das Ende war besiegelt. Zum Retter der leer stehenden Ruine avancierte schließlich René Benko, der die Immobilie am 16. April 2004 erwarb.

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