Schulden wie ein Stabsoffizier

Die Flüchtlingsbetreuerin Ute Bock wurde für ihre Tätigkeit unlängst mit der Friedrich-Torberg-Medaille ausgezeichnet. Gleichzeitig zittert sie um den Fortbestand ihres Projektes.
Von Nina Horaczek

Mit Ute Bock kann man nicht einmal in Ruhe Kaffee trinken gehen. Kaum hat sich die Flüchtlingsbetreuerin hingesetzt, stürmt auch schon der Kellner auf sie zu: „Sie sind doch die Frau aus dem Fernsehen? Die, die sich um die Afrikaner kümmert?“ Der Ober möchte ihr gleich Torten für ihre Schützlinge schenken. Doch das sind seltene Momente für die 62-Jährige, die sich seit Jahren um obdachlose Asylwerber – vor allem aus Afrika – kümmert. Denn die mehrfach ausgezeichnete Flüchtlingsbetreuerin weiß kaum mehr, wie sie ihre Wohnprojekte weiter finanzieren soll. Ihre Ersparnisse sind verbraucht und von staatlicher Seite gibt es keine Unterstützung.

 

NU: Sie sind seit zwei Jahren in Pension, könnten es sich in einem Schrebergarten gemütlich machen – wieso tun Sie sich dieses Engagement für obdachlose Asylwerber eigentlich an?

Ute Bock:Weil ich stur bin. Ich kann einfach nicht sagen: So, aus, jetzt reicht’s mir. Obwohl das eigentlich meine Kräfte übersteigt.

NU: Aber warum sind gerade Sie zur „Mama Africa“ geworden?

Ute Bock: Ich habe früher nie selbsttätig Jugendliche aufgenommen. Die jungen Afrikaner sind mir, als ich noch Leiterin des Gesellenheimes Zohmanngasse war, vom Jugendamt zugewiesen worden. Die wurden vom Innenministerium aus der Bundesbetreuung entlassen. Das Jugendamt musste sie unterbringen, weil sie minderjährig waren. Und das ging natürlich am leichtesten bei mir. Früher haben sie im Jugendamt gesagt, auf jemanden, dessen Sprache man nicht spricht, kann man nicht pädagogisch einwirken. Und von mir nimmt ja niemand an, dass ich pädagogisch einwirke (lacht).

NU: Wie ist es dann weitergegangen?

Ute Bock: Dann gab es eine Razzia in der Zohmanngasse. Damals wurden zirka fünfzig junge Afrikaner eingesperrt. Ich dachte, dass die Polizei zehn behalten wird und der Rest in ein bis zwei Wochen freikommt. Da dachte ich mir: Die werden dastehen und ich werde nicht wissen, was ich tun soll. Deshalb habe ich für sie eine Wohnung organisiert. Nur, von denen, die verhaftet worden sind, hat dort nie einer gewohnt.

NU: Wieso?

Ute Bock: Weil niemand entlassen wurde. Ich habe ja angenommen, die kommen bald wieder aus der Untersuchungshaft. Aber dem war nicht so. Dann dachte ich, bevor die Wohnung leer steht, ist es besser, es wohnt wer drinnen, der sonst auf der Straße leben muss …

NU: … und dann sind es 28 geworden.

Ute Bock: Genau.

NU: Und was machen die Leute, die Sie betreuen, den ganzen Tag über?

Ute Bock: Reden. Kochen.

NU: Das ist nicht Tag füllend.

Ute Bock: Nein. Ich hab immer gesagt, geht nicht viel fort. Auf der Straße werden sie ja dauernd verhaftet. Ein paar können bei der MA 48, also der Müllabfuhr, tageweise als Straßenkehrer arbeiten. Den Mann, der bei der MA 48 diese Tagesjobs vergibt, den muss man wirklich in Gold rahmen. Wenn der so eine Einstellung zu Ausländern hätte wie andere, würde dort kein einziger Afrikaner arbeiten. Früher war die Stimmung in Österreich schon anders. Ich habe als Erzieherin nicht nur Afrikaner betreut, sondern Österreicher, Türken, Albaner, Bosnier – alles mögliche. Früher hieß es, wir helfen den Ausländern, wir schützen sie, die sollen Deutsch lernen und eine Ausbildung machen. Bei den Bosniern war das auch so. Auch bei den Albanern. Die durften zwar nichts mehr lernen, aber wurden zumindest unterstützt. Dadurch haben sie sich gut eingelebt. Spätestens nach der dritten Geldstrafe hat jeder kapiert, dass es so nicht geht. Als dann damit begonnen wurde, gegen Afrikaner so hart vorzugehen, war ich das gar nicht gewohnt.

NU: Was meinen Sie damit?

Ute Bock: In meiner ganzen Laufbahn hatte ich vier Afrikaner, die Asyl bekamen und heute in einer eigenen Wohnung leben. Aber die haben die ärgsten Probleme mit der Arbeit. Einer ist bei einer Leihfirma für zwanzig Stunden angestellt, arbeitet vierzig bis fünfzig Stunden und kriegt nur die zwanzig Stunden bezahlt. Das gibt’s bei einem anderen nicht. Ein Albaner räumt denen sofort die Bude ab. Das passiert.

NU: Und wieso lässt er sich das gefallen?

Ute Bock: Weil er glücklich ist, dass er überhaupt einen Job hat. Das wäre ein Anliegen von mir, dass diese jungen Menschen arbeiten können. Dann hört sich auch der Vorwurf auf, dass die so viel Geld kosten. Dann wären sie endlich selbständig. Und für die eigene Psyche ist es auch gut, wenn man sich selbst erhalten kann. Dieses ständige Betteln ist etwas Schreckliches.

NU: Wie viele Leute betreuen Sie?

Ute Bock: Momentan etwa hundert.

NU: Bis zum 18. Lebensjahr müssen Asylwerber vom Jugendamt untergebracht werden. Was passiert danach?

Ute Bock: An ihrem 18. Geburtstag müssen die Jugendlichen aus den Heimen des Jugendamtes raus.

NU: Wohin?

Ute Bock: Auf die Straße. Die kommen zwar meist bei Freunden unter, aber das ist kein fester Wohnsitz, sondern der Anfang vom Ende. Wir Betreuer haben immer gesagt, wenn Jugendliche keine Unterkunft haben, wird’s gefährlich. Und jetzt wird genau diese Entwicklung gefördert! Bei den Afrikanern ist es das Gleiche: Die wohnen einmal da, einmal dort, dann schläft er wieder drei Tage auf der Straße und dann findet er einen Freund, bei dem er ein paar Nächte bleiben kann. Aber das ist doch schrecklich!

NU: Und haben die zumindest eine Meldeadresse?

Ute Bock: Das ist das nächste Problem. Ich frag‘ zum Beispiel oft: Wenn du dort wohnst, wieso kannst du dich dann dort nicht melden? Aber sie fürchten sich, denn wenn in so einem Loch fünf Afrikaner offiziell wohnen, ist am nächsten Tag die Polizei da. Ich versuche, ihnen zumindest eine Meldeadresse zu organisieren. Wenn sie keine Post kriegen, versäumen sie wichtige Fristen in ihrem Asylverfahren. Ich habe so an die sechshundert „Nichtmeldescheine“ – also Menschen, die nichts zum Wohnen haben, aber zumindest eine Adresse, an der sie ihre Post abholen können.

NU: Haben die Leute, die Sie betreuen, irgendeine Perspektive?

Ute Bock: Nein. Sie haben gar nichts. Was mir ein echtes Anliegen wäre, ist, dass die Leute zumindest eine Grundversorgung kriegen. Ich finde es unvorstellbar, dass jemand nicht weiß, was er am Abend isst. Dass ein Mensch heute die dreifache Portion frisst, weil er nicht weiß, wann er wieder etwas zu essen kriegt. Das Nächste ist Arbeit, Beschäftigung, Lernen, Schule. Ich kann nicht intelligente Menschen zum Nichtstun verurteilen. Das kann doch nicht sein! Und es gibt keine medizinische Betreuung. Mit einem jungen Afrikaner, der Rückenschmerzen hatte, bin ich ein halbes Jahr herumgelaufen, um einen Befund zu kriegen. Und dann hatte er das Glück, dass er verhaftet wurde – und das war wirklich ein Glück. Denn im Gefängnis sind die Leute krankenversichert. Da hat sich herausgestellt, dass er Knochen-TBC hat. Aber es hat ein geschlagenes halbes Jahr gedauert, bis der endlich eine medizinische Behandlung bekam.

NU: Vor kurzem hat der Oberste Gerichtshof (OGH) festgestellt, dass es Aufgabe der Republik ist, sich um Asylwerber zu kümmern und dass der Staat diese Verpflichtung nicht auf karitative Organisationen abwälzen darf. Laut OGH können Menschen wie Sie, die obdachlose Asylwerber betreuen, die Kosten dafür vom Innenministerium einfordern. Werden Sie Innenminister Ernst Strasser klagen?

Ute Bock: Ich habe meinen Rechtsanwalt Gabriel Lansky gebeten, sich die Sache anzusehen. Sicher freue ich mich, wenn ich Geld zurückkriege, ich hab‘ ja Schulden wie ein Stabsoffizier. Aber ich wäre schon froh, wenn das Innenministerium zumindest ab jetzt die Leute unterbringen und betreuen würde. Das wär‘ schon etwas.

 

Bock auf Bier

Ute Bock, eine der engagiertesten Flüchtlingsbetreuerinnen, kann ihre Unterkünfte für obdachlose Asylwerber bald nicht mehr bezahlen. Ihr anfänglich kleines Wohnprojekt hat sich mittlerweile auf insgesamt 28 Wohnungen ausgewachsen, in denen sie über hundert Menschen Unterkunft und Verpflegung bietet. Die monatlichen Kosten für Miete, Strom und Gas belaufen sich auf zirka 10.000 Euro und Ute Bocks Ersparnisse sind längst aufgebraucht. Nun wollen Gastwirte Ute Bock helfen: Unter dem Motto „Bock auf Bier“ erhöhen sie den Preis auf Krügerln und Seideln um zehn Cent und spenden das Geld Ute Bock. Wer nicht gerne Bier trinkt, aber trotzdem nicht zusehen möchte, wie Asylwerber in Österreich auf der Straße stehen, der kann Ute Bock ganz leicht unterstützen – mit einer Spende an den Verein Ute Bock.

Hypo Tirol Bank

Konto Nr. 520 110 174 99

Bankleitzahl 57000

Kennwort „Ute Bocks Wohnprojekt“

Informationen: http://www.fraubock.at

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