„Operation Jonathan“

In den 1970er Jahren wurde die jüdische Welt von zwei Terrorüberfällen mit Geiselnahmen erschüttert, die zu einem Paradigmenwechsel in der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus führten.
VON RENÉ WACHTEL

Emotionale Familienbegegnung nach der Rückkehr der entführten Air-France-Maschine.

 

5. September 1972: Ein palästinensisches Terrorkommando überfällt das Olympische Dorf in München und nimmt die israelische Olympiamannschaft in ihrem Quartier als Geiseln. Überall auf der Welt saßen Menschen wie paralysiert vor den Radio- und Fernsehapparaten. Der Terror hatte eine neue, nicht für möglich gehaltene Grausamkeit erreicht. In der Nacht kam zuerst die Meldung, dass die Geiseln bei einer Aktion der deutschen Polizei am Flughafen Fürstenfeldbruck befreit worden wären. Doch am Morgen des 6. September wurde das ganze Ausmaß der Tragödie bekannt. Alle elf israelischen Geiseln waren tot. Im Nachhinein erfuhr man dann, wie die Terroristen die Geiseln misshandelt hatten. Der Gewichtheber Josef Romano wurde angeschossen, vergewaltigt und kastriert. Dann ließen ihn die Verbrecher vor den Augen der anderen Geiseln verbluten.

27. Juni 1976: Palästinensische und deutsche Terroristen (Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann, Mitglieder der Roten Armee Fraktion, kurz RAF) bringen eine Air-France-Maschine auf dem Weg von Tel Aviv nach Paris nach der Zwischenlandung in Athen in ihre Gewalt und entführen sie nach Entebbe in Uganda. Der damals regierende, grausame ugandische Diktator Idi Amin ließ sie am Flughafen gewähren. Weitere Terroristen reisten an, die Geiseln wurden in einem Flughafengebäude untergebracht. In einer Selektion wurden die jüdischen und israelischen Geiseln von den anderen Geiseln, die dann später freigelassen wurden, getrennt. Die Terroristen forderten die Freilassung von 53 Gesinnungsgenossen, die in verschiedenen Ländern inhaftiert waren (Israel, Deutschland, Frankreich und der Schweiz). Die zivilisierte Welt und vor allem alle Juden bangten eingedenk der Ereignisse vier Jahre zuvor um die Geiseln. Am Morgen des 4. Juli kam aber eine Freudennachricht. Israelische Elitesoldaten hatten in einer Überraschungsaktion die Gefangenen aus den Fängen der Terroristen befreit und sie mit Hercules-Transportmaschinen nach Israel ausgeflogen. Bei den Gefechten kamen alle sieben Terroristen ums Leben.

Die befreiten Geiseln wurden am Flughafen in Tel Aviv mit Jubel empfangen. Eine ganze Nation, die Juden in der Diaspora und viele andere in aller Welt waren glücklich. Israel hatte mit der Kommandoaktion gezeigt, dass man mit Terroristen nicht verhandeln darf, aber vor allem auch, dass der Staat Israel sich nicht erpressen lässt und dass er bedingungslos und erfolgreich für seine Bürger einzutreten imstande ist.

Heldentum der israelischen Soldaten

Im vorigen Jahre wurde in Tel Aviv eine Ausstellung mit dem Titel „Unternehmen Jonathan“ eröffnet. Das einzige Opfer auf Seiten der israelischen Streitkräfte bei dieser Befreiungsaktion war der Kommandant der Einheit Jonathan Netanjahu gewesen, Bruder des jetzigen israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Auch drei Geiseln wurden zu Opfern. Dora Bloch, eine ältere Dame, war nach einem Schwächeanfall einen Tag vor der Befreiung in ein Spital gebracht worden, wo sie dann von Schergen des Diktators Idi Amin umgebracht wurde. In einer bewegenden Rede zur Eröffnung der Ausstellung sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu: „Die hier gezeigten Objekte erinnern uns an das Heldentum der israelischen Soldaten, an den Zusammenhalt der Nation in schweren Zeiten und an die Wunder, zu denen wir imstande sind, wenn wir unseren Feinden geschlossen entgegentreten.“

Diese Kommandoaktion veränderte die Haltung der Staaten gegenüber dem Terror grundsätzlich und nachhaltig. Statt sich wie vorher bei Entführungen und Geiselnahmen auf den Austausch von Geiseln gegen inhaftierte Terroristen einzulassen, wuchs nun die Bereitschaft der Regierungen, gegen bewaffnete Terroristen bzw. Flugzeugentführungen mit militärischen Einsätzen vorzugehen. Auch der Einsatz der Sondereinheit GSG 9 der deutschen Polizei bei der Befreiung einer Lufthansa-Maschine in Mogadischu eineinhalb Jahre später bewies, dass solche Aktionen erfolgreich sein können. Nach diesen zwei gelungenen Kommandoaktionen verminderte sich die Zahl von großen Flugzeugentführungen zur Befreiung von Terroristen deutlich. Flugzeugentführungen von israelischen Maschinen bzw. bei Flügen nach und von Tel-Aviv wurden keine mehr durchgeführt.

Den Juden in der ganzen Welt blieben die Ereignisse von 1972 und 1976 prägend in Erinnerung. Das Olympiamassaker in München, weil es die Ohnmacht vor dem Terror ebenso zeigte, wie die Unfähigkeit europäischer Regierungen, Juden zu schützen. Vier Jahre später Entebbe und die Kommandoaktion Jonathan, weil dadurch deutlich wurde, dass der Staat Israel nicht nur den israelischen Staatsbürgern Sicherheit gibt, sondern allen Juden auf der ganzen Welt zur Seite steht und dabei erfolgreich ist.

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