Neue Sachlichkeit: Spiel, Satz, „Endsieg“ im Leopold Museum

Lotte Laserstein, Die Tennisspielerin, 1929 © PRIVATBESITZ FOTO: LOTTE-LASERSTEIN-ARCHIV KRAUSSE, BERLIN ©BILDRECHT, WIEN 2024

Von Almuth Spiegler

Zur Neuen Sachlichkeit, wie sie in Deutschland in der Zwischenkriegszeit so nüchtern und böse zelebriert wurde, hat „der Österreicher“ an sich ja ein eher distanziertes Verhältnis. Man schätzt hier an der Moderne eher das Gefühlige, Expressionistische von Seelenherauszerrern, wie Kokoschka einer sein wollte. In Deutschland aber verweilte man bei der kühlen bis zynischen Betrachtung der Oberfläche. Diese gab es in Österreich zwar auch, bei Franz Sedlacek, Rudolf Wacker, Greta Freist. Diese Fraktion stellte die Albertina erst 2018 vor. Sie wird immer noch vergleichsweise scheel beäugt.
Jetzt wird im Leopold Museum, erstmals überhaupt, ein großer Überblick über die „Neue Sachlichkeit in Deutschland“ gegeben. Gut 100 Gemälde konnte man dafür aus großteils deutschen Privatsammlungen leihen, von Stars wie Christian Schad, Max Beckmann, Otto Dix – und von Lotte Laserstein, deren Werke mittlerweile eifersüchtiger gehütet werden als die der Kollegen.
In den vergangenen Jahren wurde die, Anfang der 1990er hochbetagt Verstorbene, wiederentdeckt. Laserstein, die 1937 nach Schweden flüchten konnte, deren Mutter von den Nazis ermordet wurde, hat ein bedeutendes Werk aus den 1920ern hinterlassen. Als Auftakt der Dauerausstellung der Neuen Nationalgalerie Berlin hängt ihr monumentales Hauptwerk, „Abend über Potsdam“, in dem sie 1930 das urbane, freie Berliner Kunstvolk schon in die Dämmerung blicken lässt.

Eine queere Tennisspielerin

Das hat Hans-Peter Wipplinger, Leopold-Direktor und Kurator der Schau, wie zu erwarten nicht bekommen. Dafür eine ähnlich mächtige „Tennisspielerin“ – heute würde man sie als „queer“ identifizieren. Traute, eines von Lasersteins Lieblingsmodellen, galt als besonders androgyn, wie das Schönheitsideal es vorschrieb. Doch der Bubikopf ist hier klar ein Herrenschnitt, Profil wie Oberarme maskulin. In ein dreifaches Gittermuster verstrickt Laserstein die Beobachterin, die nicht mitspielen darf – Zaun, Schlägerbespannung und Netzkappe. Hier warten viele Fallstricke.
Warum sich bei einer derart großen Ausstellung mit rund 50 Künstlern (davon acht Frauen) so lang mit diesem einen Bild aufhalten? Es markiert einen Hauptstrang, der hier verfolgt wird: das neue, freie Frauenbild, das nur so wenige Jahre existierte. In starken Porträts ist es zu finden, wie auch in sarkastischen Darstellungen der lüsternen Blicke darauf. Was gleich zu Beginn drastisch sichtbar wird: Sei es bei Grosz’ „Mann und Frau“ oder Heinrich Maria Davringhausens „Dirne“. Die Männer kommen darauf nicht sonderlich gut weg.
In zwölf Kapiteln durchmisst Wipplinger die thematische Spannbreite der Neuen Sachlichkeit, ihre linke, gesellschaftskritische Seite, den Blick auf die Arbeiter, die Armen, die „anderen“, wie Artisten und Tänzerinnen. Aber auch auf die Kakteen, die in Stillleben auffällig oft vorkamen. Als Symbol des Durchhaltens unter widrigen Bedingungen?
Diese traten schneller ein, als es sogar ein Franz Radziwill hoffen mochte. Der magische Dystopist war überzeugter Nazi – und bei deren Machtübernahme auch schon als „entartet“ verteufelt. Die Ausstellung endet dramatisch, mit dem ausgemergelten „Rufer“ Karl Hofers. Und seinem Schüler Felix Nussbaum, dem der ganze letzte Raum gewidmet ist. Im Zentrum sein gespenstischer, metaphysischer „Orgelmann“: die Pfeifen des Leierkastens aus Knochen, die Straße, auf der er spielt, von zerfetzten schwarzen Flaggen gesäumt. 1942/43 malte Nussbaum das Großformat im belgischen Untergrund. Wenig später wurde er mit seiner Frau nach Auschwitz verschleppt und ermordet.


Dieser Artikel ist in der Tageszeitung „Die Presse“ erschienen. Wir bedanken uns für diesen Nachdruck. 

 

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