Mehr Lohn als Strafe

© KURIER/Gerhard Deutsch

Manche ungelehrte Juden, egal ob sehr gläubig oder weniger, haben mich gefragt, ob Corona eine Strafe Gottes sei. Ich habe darauf geantwortet: Wir Juden glauben zwar daran, dass Gott uns manchmal belohnt oder bestraft. Aber niemand von uns weiß, wegen welcher Vergehen wir welche Strafe oder wegen welcher guten Taten wir welchen Lohn bekommen. Wenn jemand also heute noch behauptet, dass die Schoah wegen unserer Sünden über uns gekommen ist, dann stelle ich das zumindest in Frage.

Ich möchte lieber von Belohnungen des Ewigen erzählen, die mir widerfahren sind. Von der ersten glaube ich zu wissen, warum ich belohnt wurde, bei der zweiten weiß ich es sicher nicht, wieso ich das verdient habe.

Vor etwa zwei Jahren wurde ich eingeladen, bei einem Wohltätigkeitskonzert in Budapest mitzusingen. Die Einnahmen waren armen Juden gewidmet. By the way: Ich habe nicht nur für arme Juden gesungen, sondern auch für arme Roma, aber darüber ein andermal.

In der Pause des Konzerts kam eine ältere Dame zu mir und brachte mir einen Stammbaum von meiner Großmutter väterlicherseits. Sie zeigte mir, dass wir Cousins dritten Grades sind und füllte einige Lücken in meinem Wissen über meine Vorfahren. Ich empfand das damals als „Lohn“ dafür, dass ich nicht nur die beschwerliche Reise nach Budapest und zurück auf mich genommen, sondern auch kein Honorar verlangt habe.

Verloren ist nicht weg

Ein Lohn muss nicht unbedingt sofort nach der Mizwa gegeben und empfangen werden. Das ist nur meine Fantasie, dass dieser für mich wichtige Stammbaum der Lohn für meinen Beitrag zum Konzert war.

Obwohl mir dieses A4-Blatt sehr wichtig war und ich es meiner Schwester zeigen wollte, war es kurz nach meiner Ankunft in Wien wie vom Erdboden verschluckt. Kurz habe ich danach gesucht, aber dann darauf vergessen.

Vor einigen Tagen kam ein Bedürftiger aus Israel zu mir nach Hause. Nachdem ich ihm eine Maske umgehängt habe, suchte  ich in einer tiefen Lade meines Schreibtisches, wo ich israelische Schekel von meiner letzten Israel-Reise aufbewahre, nach einem Geldschein. Und siehe da: Da war der Stammbaum! Und wieder weiß ich nicht, ob ich ihn gefunden habe, weil ich ein großzügiger Mensch bin. Aber ein wenig glaube ich daran.

Wessen Verdienst auch immer

Bei der nächsten Geschichte, die sich genauso zugetragen hat, wie ich sie jetzt erzähle, weiß ich nicht, für welches Verdienst ich in den Genuss dieser Belohnung kam.

Am 5. Februar 2020 heiratete mein ältester Enkel Eli, der Sohn meiner Tochter Yael und meines Schwiegersohns Ari. Eli war 21, seine nunmehrige Frau Mindy noch nicht 19. Es versteht sich von selbst, dass ich bei der ersten Hochzeit von einem meiner Enkel in Jerusalem war. Ebenso versteht sich von selbst, dass die beiden Schwestern von Yael, Tali und Ronit, die in Israel leben, mit ihren Ehemännern und allen Kindern da waren.

Aus Manchester kam mein Sohn, Rabbiner David Eisenberg, mit seiner Frau und sechs Kindern. Die Tatsache, dass seine ganze Familie mitkam, versteht sich nicht von selbst. Er hatte seinen Kindern schon lange Israel zeigen wollen, konnte günstige Tickets erstehen und eine günstige Wohnung mieten, deshalb waren alle da.

Meine Tochter Ruchi, die in New York wohnt, reiste allein an. Ihr Mann blieb mit den fünf Kindern in New York, weil die großen in die Schule gehen mussten.

Schließlich kamen auch mein jüngster Sohn Kiwi, seine Frau und ihr drei Monate altes Baby aus Toronto nach Jerusalem. Nur ihr fast dreijähriger Sohn blieb daheim, wo seine Großeltern mütterlicherseits auf ihn aufpassten.

Sie werden sich jetzt fragen: Was will uns der blöde Rabbiner hier erzählen?

In religiösen jüdischen Familien ist es üblich, dass den Buben bis zu ihrem dritten Lebensjahr die Haare nicht geschnitten werden. So wie sie bis dahin wild sein dürfen, wachsen die Haare wild.

Lockenschaden

Am dritten Geburtstag werden die Haare bei einem Fest geschnitten: Jeder Gast, vor allem die Familie, darf eine Locke abschneiden, danach repariert ein professioneller Friseur den Schaden, den die Gäste angerichtet haben. Aber es geht nicht nur um den Friseur, der dreijährige Bub wird an diesem Tag zum ersten Mal in die Talmud-Thora-Schule gebracht, lernt die ersten Buchstaben des Aleph Beth, die oft mit Honig auf einen Kuchen gemalt werden.

Auch hier ließ ich es mir nicht nehmen, am 8. März bei der Chalaka von Daniel in Toronto dabei zu sein und sah deshalb den einen Enkel, der nicht in Jerusalem gewesen war. Da ich schon in Toronto war, nahm ich ein Round-Trip-Ticket und war zu Purim in New York, wo ich auch den Mann und die fünf Kinder von Ruchi traf und wir alle gemeinsam am 10. März Purim feierten. Die Kinder habe ich noch umarmt, aber die anderen habe ich schon „elbow to elbow“ begrüßt. Am 12. März in der Früh landete ich in Wien.

Wozu habe ich euch mit diesen Daten gemartert? Der liebe Gott hat das Datum der Hochzeit meines Enkels sowie das Datum des Haarschnitts so eingeteilt, dass ich alle meine Kinder und Enkel in fünf Wochen sehen konnte. Und am Tag nach meiner Rückkehr nach Wien wurde der Shutdown verkündet. Dass alles sich so abgespielt hat, kann ich bestätigen. Aber womit ich das verdient habe, weiß ich nicht.

So etwas Persönliches schreibt man nur Menschen wie euch, die man von Herzen mag. I love you all.

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