Kvetch und Kvell

Wer in New York mit offenen Ohren durch die Straßen geht, hört viele Wörter, die ihm irgendwie bekannt vorkommen. NU hat sich auf die Spuren des Jiddischen in der New Yorker Umgangssprache begeben.
Von Peter Weinberger

A: „Did you see her? She was proudly showing off her pupik!“
B: „Her toches was’nt bad either.“

 

Wir befinden uns am Broadway in der Nähe der Wall Street. Eben ist ein Mädchen mit sehr kurzem Pullover und sehr tief sitzender Jean vorbeigegangen. Die beiden Männer, die ihr Aussehen mit diesen beiden Bemerkungen würdigten, sind mit dunklem Anzug und passender Krawatte bekleidet, einer von ihnen trägt eine Kippa. Beide haben sich fachmännisch umgedreht, um nicht nur den pubik (Nabel), sondern auch den wippenden toches (Hintern) zu würdigen.

Ähnlich wie der Wiener Dialekt enthält die New Yorker Umgangssprache zahlreiche Ausdrücke aus dem Jiddischen. Der große Unterschied zwischen den beiden Städten besteht darin, dass in New York der optische Eindruck durchaus zum akustischen passt, während in Wien das Augenscheinliche zum Gehörten und Gesprochenen fehlt. Ausdrücke wie Beisl oder gar Hals- und Beinbruch werden sehr wohl auch außerhalb des zweiten Wiener Bezirks gebraucht, sie sind Teil der lokalen Umgangssprache geworden. „Jüdisches“, insbesondere jüdischer Kitsch, der in fast allen New Yorker Stadtteilen aus Schaufenstern quillt, ist in den meisten Straßen Wiens kaum anzutreffen. In New York ist es einfach da, das „Jüdische“, spätestens nach dem übernächsten Eck bzw. zwei Blocks weiter.

Eine weitere Kostprobe: Zwei Yidine mit tief ins Gesicht gezogenen Hauberln angetan und in dicke Schals eingewickelt, sitzen im lokalen Bus direkt unterhalb der kalt hineinblasenden Klimaanlage und unterhalten sich frierend offensichtlich über den Schwiegersohn der einen. Unterhalten? Nein, sie drängen ihre Meinungen allen Busmitreisenden lautstark auf. Beide haben eher umfangreiche Taschen vor sich am Schoß stehen, die sie ununterbrochen auf- und zumachen. Klick, klick.

A: „What can I say? He simply is a klutz!“
B: „A klutz, you say? All he needs, is a hearty kick in his tukhes!“

Genauso gut könnten die beiden auch über eine Schwiegertochter schimpfen:

A: „At home she only has gehakte tsuris.“
B: „What d’ya want? She always was a JAP.“

JAP ist das Akronym für Jewish American Princess, nämlich für eine junge Jüdin, die prinzipiell Essen am Teller übriglässt bzw. auf diesem mit einem gelangweilten Gesicht lieblos herumkratzt. Oder gebrauchte Teller nie in die Küche trägt, weil am nächsten Tag ohnedies die „shwoaze“ zum Aufräumen kommt.“

„I don’t like that place, it’s too fancyshmantzy and the owner, by the way, is a real nazi-shmatzy.“

Fancy-shmantzy, ein Lieblingswort der New Yorker, bezeichnet Orte, an denen sich bloß upper classniks treffen. Nazi-shmatzy wird – ohne über das Wort nachzudenken – für alles rechts von der (politischen) Mitte verwendet. Angesprochen wurde vermutlich ein kleines Restaurant mit einem „rough neck“ (Grobian) als Besitzer, in das die Gesprächspartner ohnedies nicht gehen würden, da es garantiert für sie zu teuer ist. Fancy-shmantzy trifft auch auf Gegenstände zu, die hierzulande unter „schicki-micki“ einzuordnen sind.

Szenenwechsel. Gespräch zwischen zwei, durchaus kultivierten, etwas besser angezogenen Damen über eine lokale Berühmtheit. Beide tragen weiße New Balance Tennisschuhe zu ihren schwarzen Abendhosen aus makellosem Stoff. Sie sitzen in einem Bus auf der Upper East Side.

A: „What d’ya think of her?“
B: „Nothing, I belief, there is too much geseires about her.“

Abfällige Äußerungen mitzuhören, ist nicht gerade selten: „Just look at his ponim“, womit offensichtlich bereits alles erklärt ist. Oder in der Form einer neuzeitlichen Sprachschöpfung: „He is a mega-goi“ (genderisiert mit shikse zu lesen). Oder: „He is a shmok“. Sogar ein bisschen Rassistisches schwingt mitunter mit: „What? A shwoaza?“ Sich abfällig über einen nicht Anwesenden zu äußern, ist bekanntlich keine nationale oder ethnische Eigenheit, insbesondere, wenn es sich um eine ausgesprochene Bisgurr’n (She? What a yente!) handelt. Abfälligkeit oder Mitgefühl würde man dem Satz „he is (nebbich) a (poor) pisher“, entnehmen können, je nachdem, ob „poor“ hinzugefügt ist oder nicht. Der Zusatz nebbich agiert in diesem Zusammenhang wie eine Schutzmantelmadonna. Natürlich kann alles durch Hinzuziehung eines f-Wortes in Partizipform wesentlich schärfer gesagt werden: „he is a f….. shmok“.

Ärgerliches wird des Öfteren auch mit „farstonken“ charakterisiert. Farstonken kann für fast alles verwendet werden: Wörtlich für ein Lokal, einen Ort oder im übertragenen Sinn für einen beliebigen Gegenstand, wie zum Beispiel für einen leicht verblühten Blumenstrauß (ältliche Blumen zu schenken, hilft Geld zu sparen). Farstonkene flowers (bluomen), chemisch blau oder lila gefärbt und so zum Weiterleben verdammt, gibt es fast überall zu kaufen. Die ganze Lebenssituation kann farstonken sein. Zum Beispiel in einer weinerlichen Zwischenstation von „being shiker“: „My whole life is farstonken.“

Worte wie kosher, manchmal, aber eher selten auch treyf, in absolut unpassenden Zusammenhang gesetzt, gehören nicht nur zur gesprochenen, sondern auch zur geschriebenen Umgangssprache. Kosher ist ein wichtiges Wort in der Geschäftswelt. „He definitely is a kosher fellow“ bezeichnet einen verlässlichen Geschäftspartner. Ein Satz wie „The whole affair is not kosher“ könnte sinngemäß auch in Wien verwendet werden. Im geschäftlichen, wie auch im politischen Sinn.

Natürlich gibt es kaum einen Supermarkt, in dem nicht mit kosher bezeichnete Dosen oder Schachteln zumindest in den Regalen mit „ethnischen“ Lebensmitteln zu finden sind. Das amerikanische Selbstlob „American as apple pie“ sollte eigentlich der Realität angepasst eher „American as a bagel“ lauten. „A bagel with cream cheese“ bekommt man schließlich fast überall zu jeder Tageszeit serviert. Dazu muss man nicht unbedingt in ein deli gehen. Außer man möchte statt dem bagel eher ein pastrami sandwich oder eine mazoh ball soup haben. Oder man möchte bloß etwas „to nosh“ konsumieren. Im deli trifft man üblicherweise besonders unfreundliche Kellner an, mit denen es sich vorzüglich streiten lässt.

„Hej, what shall I do with all that shmutz?“ Das Wort shmutz ersetzt vielfach das weitaus kräftigere englische Wort shit und gehört somit zur Alltagssprache. Ein englisches Pendant zu shmutznik gibt es dagegen nicht. Die Nachsilbe „nik“ ist übrigens für alles Mögliche sehr nützlich: um den Wohnungsnachbarn, den nextdoornik oder den unter bzw. oberhalb Wohnenden, den downstairnik bzw. upstairnik, zu bezeichnen. „I talked to our nextdoornik. He also thinks that one of our doormen, the Irish guy, is a nudnik.“

Worte wie mazl, shlimazl, meshuge bzw. meshugene (meshugene fish sind fliegende Fische) gehören der New Yorker Umgangssprache genauso an, wie das Wort spizl. Das Chrysler Gebäude hat ein spizl, wie sonst sollte man den spitzen Aufsatz am Dach dort bezeichnen. Den Redefluss eines (einer) einschlägigen Gesprächspartners (Gesprächspartnerin) stoppt man am besten mit „don’t tell me bobe-maysn“ oder „don’t give me a droshe“. Das verstehen zwar nicht alle, aber doch sehr viele.

Ein bisschen ordinär wird es, wenn es sich um Sexbezogenes handelt, auch, weil shmuk (Penis) sich akustisch nicht sehr von shmok unterscheidet. Shvants ist ein Schimpfwort, mit dem man einen miesen Charakter bezeichnet. „He is such a shvants“ zu sagen, setzt ehrliche Entrüstung voraus. Aber nicht alles muss farshtopt sein („the whole thing is totally farshtopt“), auch wenn es gelegentlich den Anschein hat. Dortn, das weibliche Geschlechtsorgan ist sprachlich zu harmlos, um Eingang in die Umgangssprache gefunden zu haben. Da bietet sich eher das englische Pendant an, das man eventuell mit einem „fapisht“ steigern kann.

Das Wort chuzpe wird in New York zumindest so oft verwendet wie in der Wiener Umgangssprache. Auch personifiziert als chuzpenik, nämlich für eine Person, die sich durch eine chuzpe entsprechend qualifiziert hat. Es gibt eine lästige, eine ärgerliche, eine unverschämte, eine liebenswerte, eine intelligente Chuzpe, und zwischen all diesen Nuancen bewegt sich der Gebrauch dieses Wortes. Steigerungsstufen in der Form von mega-chuzpe oder gar giga-chuzpe sind möglich. Einen simplen Satz wie „I never saw such a chuzpe“ zu interpretieren, ist fast unmöglich, ohne die dazu gehörende Geschichte zu kennen. Es kann echte Empörung mit diesem Satz verbunden sein. Oder Bewunderung. Er kann aber – wie Scholem Alejchems berühmtes „damit ich nicht vergesse, Ihnen zu erzählen“ – bloß als Auftakt zu einer langwierigen, vielfach verzweigten Geschichte dienen, der man sich am besten durch Flucht entzieht.

Und Kvetch und Kvell? Bei den Verben „to kvetch“ und „to kvell“ ist man vermutlich beim onomatopoetischen (lautmalerischen) Rückgrat der New Yorker Umgangssprache angelangt. Kvetch verlangt, genauso wie Kvell, nach einer fast gesungenen Aussprache, die vielleicht dem historischen Erbe erster Einwanderergenerationen entlehnt ist, einer Generation, die nicht nur mit dem verhängnisvollen, alles verratende „th“ kämpfte, sondern sich auch durch eine entsprechende Intonation im Englischen auszeichnete. Kvetch bedeutet nicht bloß sich hinein quetschen, sondern stellt einen Seinszustand von Gehetztheit an sich dar. Und kvell kann mit allem verbunden sein, das Wohlgefühl erweckt, sozusagen vom Herumlungern am Sofa, Suhlen in der Badewanne, bis zum Schmatzen und Schlürfen im diner. Kvetch und Kvell sind das New Yorker Ying und Yang.

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