In der Sackgasse

Die Finanzprobleme der Israelitischen Kultusgemeinde sind mehr als besorgniserregend. Ariel Muzicants Finanzpolitik hat keinen Erfolg gehabt. Darüber hinaus lässt die Bundesregierung die Gemeinde im Regen stehen. Die Situation scheint völlig verfahren.
Von Rainer Nowak

Dass die finanzielle Lage der Gemeinde ernst ist, weiß man seit langem. IKG-Präsident Ariel Muzicant bestreitet zwar vehement, dass die liquiden Mittel nicht ausreichen, um die Junigehälter der IKG-Mitarbeiter zu zahlen, dennoch meldete er 35 Mitarbeiter beim AMS für eine mögliche Kündigung an. Und auch weitere Maßnahmen, die der Vorstand der Gemeinde beschloss, sind drastisch: Die Gottesdienste im Stadttempel werden massiv eingeschränkt, ebenso wird es weniger Religionsunterricht an Privatschulen geben. Stipendien in allen Schulen werden um fünfzig Prozent reduziert. Die Subventionen religiöser, sozialer und kultureller Vereine werden um fünfzig Prozent verringert, womit das Überleben dieser Vereine massiv gefährdet wäre. Auch die Versorgung mit koscheren Lebensmitteln könnte dann nicht mehr gewährleistet sein. Ab 1. Juli treten die Maßnahmen in Kraft.

Die IKG befindet sich in einem Dilemma. Die Regierung verweist die IKG heute an den Allgemeinen Entschädigungsfonds beziehungsweise bot nun zuletzt ein Darlehen als Vorschuss auf die Mittel aus diesem Fonds. Dies lehnt Muzicant jedoch ab. Die IKG wolle sich aus diesem Topf nichts nehmen, weil sie dadurch die Ansprüche der individuellen NS-Opfer massiv schmälern würde und weil zu befürchten sei, dass in der Folge diese Opfer trotz der großen Geldanstrengungen Österreichs enttäuscht zurückblieben.

Jährliche zusätzliche Bundesmittel von 2,7 Mio. Euro (die Höhe des Defizits) hatte Muzicant von der Regierung gefordert, um die Infrastruktur der Gemeinde aufrechterhalten zu können. Woher aber kommt eigentlich das hohe Defizit der Kultusgemeinde?

Muzicant argumentiert damit, dass die Anzahl der Mitglieder (und damit die Höhe ihrer Beiträge) im Vergleich zur Größe der Infrastruktur (und ihrer Kosten) zu gering sei. Allerdings wurde ein Großteil ebendieser Infrastruktur (Gemeindezentrum, jüdische Schulen, ESRA usw.) erst in den Jahren nach 1981 errichtet. Vor 1981 habe die IKG immer wieder Liegenschaften verkauft, argumentiert Muzicant, um ihre Defizite abzudecken, die damals zwischen fünf und zehn Millionen Schilling (zwischen 363.000 und 726.000 Euro) betrugen. Die Gemeinde hat unter seiner Präsidentschaft beschlossen, den Verkauf des Familiensilbers zu stoppen, der Schuldenberg sei dadurch gewachsen.

Es war Ariel Muzicant, der als Vizepräsident der Gemeinde durchsetzte, Immobilienprojekte abzuwickeln, aus deren Ertrag die Defizite abgedeckt werden sollten. Man träumte seinerzeit sogar von Budgetüberschüssen. 1998 sollte das erste Mal ein Nulldefizit vorgelegt werden. Bei den damals stattfindenden Wahlen warb Muzicant offen mit dieser Zielsetzung. Doch es kam ganz anders: Nach 1998 stiegen die Defizite explosionsartig an: Während das Defizit 1998 lediglich 1,74 Millionen Euro (24 Millionen Schilling) betrug, belief es sich ein Jahr später auf 2,18 Millionen Euro (30 Millionen Schilling). In den Jahren 2000 und 2001 schließlich gab es bereits einen Minderbetrag in der für die IKG geradezu astronomischen Höhe von 3,6 Millionen Euro (50 Millionen Schilling), 2002 fehlen mindestens 2,7 Millionen Euro (37 Millionen Schilling). Einer der von Muzicant immer wieder vorgebrachten Hauptgründe für das steigende Defizit sind die Kosten für die Sicherheit. Durch die zunehmende Bedrohungslage durch den Terrorismus wurden auch in Österreich die Sicherheitsmaßnahmen deutlich verstärkt. Allerdings leistet sich die Gemeinde einen eigenen Sicherheitsdienst, der viel kostet. Dass die österreichische Polizei diese Aufgabe nicht übernimmt, ist Teil des Problems. Muzicant will den eigenen Dienst behalten. Die Polizei würde nicht die gleiche Leistung erbringen. Und tatsächlich konnte die Wiener Polizei bereits mehrmals Angriffe gegen Juden nicht verhindern. Zur Verdeutlichung: Die Ausgaben für die Sicherheit stiegen im Zeitraum 1998 bis 2001 um 91 Prozent. In der Regierung argumentiert man hingegen, dass ein souveräner Staat nicht Geld für private Sicherheitsleute zahlen kann. Man würde damit ja allzu klar eingestehen, dass man nicht in der Lage ist, die jüdische Gemeinde beschützen zu können. Aber allein die Zunahme der Sicherheitskosten von rund 726.000 Euro (10 Millionen Schilling) macht das Problem nicht aus. Der Anstieg der Personalkosten in der allgemeinen Verwaltung der IKG von rund dreißig Prozent vor allem durch Neueinstellungen, durch die Erhöhung der Subventionen an eine Reihe von Vereinen innerhalb der IKG von bis zu achtzig Prozent und schließlich die Abschaffung der Kultussteuer haben in den letzten fünf Jahren ein mindestens ebenso großes Loch in das Budget gerissen. Zu all dem kommt noch ein politisch-persönliches Problem: IKG-Chef Ariel Muzicant und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel stehen einander unversöhnlich gegenüber.

Die 2,7 Millionen Euro wären für die Regierung ein verschmerzbarer Betrag, schon um sich – zynisch formuliert – die mediale Aufmerksamkeit zu ersparen, wie Regierungsvertreter offen formulieren. Doch Schüssel bleibt hart und argumentiert, dass keine andere Regierung so viel für die NS-Opfer getan habe. Die politischen Angriffe von Muzicant auf ihn vergisst Schüssel offenbar nicht. Die Abstimmung über den Antrag von SPÖ und Grünen auf Unterstützung der IKG durch den Bund stand zwar zu NU-Redaktionsschluss noch bevor, ÖVP und FPÖ hatten zuvor aber angekündigt, nicht zustimmen zu wollen. Gleichzeitig war in Regierungskreisen zu hören, dass man doch noch verhandlungsbereit sei. Scheinbar kompromissbereit hatte man sich in der Vergangenheit allerdings schon oft gegeben. Muzicant dazu mit leicht resignierendem Unterton: „Ich weiß nicht, wie es jetzt weitergeht. Im August kommt ein Bericht der Historikerkommission, in dem aufgelistet wird, wie viel Vermögen die Gemeinde durch die Nazis verloren hat“. Dann hoffe er, Muzicant, auf ein Einlenken der Regierung. Der Streit ist damit prolongiert.

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